Zwei Jahre nach Flut-Katastrophe Langsam kehrt das Leben ins Ahrtal zurück
14.07.2023, 09:24 Uhr Artikel anhören
Der 90-jährige Franz Kluckert steht vor seinem Haus. Als die Flutwelle kam, hatte er sich in letzter Minute ins Obergeschoss retten können.
(Foto: dpa)
Im Juli 2021 verwüsten starke Niederschläge Rheinland-Pfalz und NRW, Dutzende Menschen sterben. Zwei Jahre danach gibt es immer noch etliche, völlig zerstörte Häuser. Der Aufbau zieht sich. Betroffene berichten von ihrem Leben nach der Katastrophe.
Der 90 Jahre alte Franz Kluckert zieht rund zwei Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal wieder in sein Haus im Weinort Dernau ein. Noch wohnt er zusammen mit seiner Frau in einem provisorisch aufgestellten Tiny-Haus auf der anderen Seite des Flüsschens. "Es geht langsam vorwärts, ich hätte nicht gedacht, dass es so lange dauert", sagt Kluckert, der aus Ostpreußen stammt und seit rund 40 Jahren in dem idyllischen Tal zu Hause ist.
Einige Nachbarn von Kluckert leben bereits wieder in ihren sanierten Häusern und sind mit den letzten Arbeiten beschäftigt, etwa den Vorgärten. Dazwischen hat jemand an die schlammbespritzte Fassade eines von der Flutwelle schwer beschädigten Hauses "Danke Euch" geschrieben und ein Herz daneben gemalt. Gemeint sind die zahlreichen freiwilligen Helfer. Die Besitzerin dieses Hauses sei nach der Katastrophe nicht mehr zurückgekehrt und inzwischen gestorben, berichten Nachbarn.
Bei der Flutkatastrophe vom 14. auf den 15. Juli 2021 im Westen Deutschlands sind allein in Rheinland-Pfalz mindestens 136 Menschen ums Leben gekommen - davon 135 im Ahrtal und ein Mann in der Eifel. Ein Mensch wird noch vermisst. 766 wurden verletzt. Im benachbarten Nordrhein-Westfalen starben bei Hochwasser nach extremem Starkregen 49 Menschen.
Im Ahrtal wurden auf einer Länge von 40 Kilometern Straßen, Brücken, Gas-, Strom- und Wasserleitungen sowie rund 9000 Gebäude zerstört oder schwer beschädigt. Rund 42.000 Menschen waren betroffen. Noch immer finden sich im Ahrtal schwer beschädigte Häuser und Brücken, die so aussehen, als ob die stinkenden, zerstörerischen Wassermassen gerade erst durch das Tal gerauscht seien. Es werden noch immer Häuser abgerissen. Aber auch Bagger, Bauzäune und Baugerüste prägen das Bild in dem Tal mit dem Steillagenweinbau - dem größten zusammenhängenden Rotweinanbaugebiet Deutschlands.
"Hier ist weniger Leben als früher"
Am Abend der Katastrophe habe er im Dunkeln versucht, die Türen im Erdgeschoss zu öffnen, um zu sehen, wie hoch die Ahr steht, erzählt Kluckert. Glücklicherweise habe er sie aber nicht mehr aufbekommen - weil die Wassermassen bereits so stark dagegen drückten. "Sonst wäre ich auch tot." Er rettete sich mit seiner Frau ins oberste Stockwerk und wurde am Tag darauf von einem Hubschrauber der Bundeswehr aus seinem vollgelaufenen Haus herausgeholt, erzählt er. "Vor einigen Tagen hat die Bäckerei wieder aufgemacht", sagt eine 75 Jahre alte Nachbarin Kluckerts, in deren Haus das Wasser in der Katastrophennacht bis in den ersten Stock stand. "Aber hier ist weniger Leben als früher." Vor allem die Tourismus-Infrastruktur lasse auf sich warten.
"Bitter", sagt ein Lehrer aus Remscheid und schluckt. "Ich kann es nicht fassen, dass das Wasser so hoch gestanden hat." Der 57-Jährige zeigt auf immer noch deutlich sichtbare Ränder in fast zehn Metern Höhe im Weinort Mayschoß. Er ist mit dem Rad und dem Wohnmobil einige Tage im Ahrtal unterwegs - zum ersten Mal seit der Flut und fühlt sich dabei nicht besonders wohl, "wie ein Katastrophentourist". Seinen Namen will er daher auch lieber nicht sagen.
"Das ist erschreckend, dass das nach zwei Jahren immer noch so aussieht. Das sind ja Familienschicksale", sagt der Lehrer aus Nordrhein-Westfalen betroffen. "Meine Frau und ich waren früher häufiger hier." Denn das enge Ahrtal sei etwas ganz Besonderes, an Rhein und Mosel kenne er nichts Vergleichbares. Diesmal kann seine Frau nicht dabei sein, aber er vergleicht mit ihr digital Fotos von der letzten Reise 2019 und heute. "Ich bin gespannt, wie lange das noch dauert, bis man hier wieder so einigermaßen leben kann."
"Das kann nicht in fünf Jahren wieder aufgebaut werden"
"Warten, Warten, Warten", beschreibt Tim Himmes aus einer Schaustellerfamilie in Schuld die Stimmung. "Wir haben ja immer noch keine richtige Straße vorm Haus", sagt der 23-Jährige. Und mit dem Wiederaufbau des Hauses seiner Familie gehe es zwar weiter, aber viel langsamer als gedacht. Seine Schwester Anna muss ihren kleinen Sohn immer ganz genau im Auge behalten. "Hier gibt es noch keinen Spielplatz, nicht mal eine Schaukel oder eine Rutsche", sagt die 25-Jährige. "Die älteren Kinder spielen im Bauschutt."
Die denkmalgeschützte Nepomukbrücke im Ahr-Ort Rech hat den Menschen im Ahrtal in der Flutkatastrophe viel Leid gebracht und ist inzwischen bundesweit bekannt. An den Pfeilern der Brücke von 1723 zerschellten Wohnwagen, Trümmerteile stauten die Wassermassen, die Brücke wurde schwer beschädigt und Teile des Ortskerns komplett weggerissen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und der Deutsche Verband für Kunstgeschichte wollen trotzdem den Erhalt des Bauwerks. Es gibt aber eine Abrissgenehmigung.
Im Streit um die Zukunft der Brücke trat der Bürgermeister zurück. Sein Nachfolger Thomas Hostert betont, der Beschluss sei weiterhin gültig, aber es seien auch erneut Eingaben gegen den Abriss gemacht worden. Die Flut habe vieles kaputtgemacht, was über Jahrhunderte entstanden sei, sagt der Vorstandsvorsitzende der Wiederaufbaugesellschaft Zukunft Mittelahr, Martin Schell, an der Nepomukbrücke. "Das kann nicht in fünf Jahren wieder aufgebaut werden."
Quelle: ntv.de, Ira Schaible und Boris Roessler, dpa