Fälle zwischen 1945 und 1990 München lässt Jugendamt auf Missbrauchsnetzwerke untersuchen
04.02.2025, 19:18 Uhr Artikel anhören
"Die meisten Opfer der Heimerziehung in Deutschland sind bereits im Rentenalter", sagt ein Sprecher einer Betroffeneninitiative.
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Auch wenn es für einige Opfer zu spät kommen mag - die Stadt München übernimmt eine Vorreiterrolle, was die Aufklärung von Missbrauch an Jugendlichen angeht. Nun widmet sich eine wissenschaftliche Studie dem Thema und soll dabei auch der Frage nachgehen, ob und wo es pädokriminelle Missbrauchs-Netzwerke gab.
Gab es in der Vergangenheit pädokriminelle Missbrauchs-Netzwerke im Münchner Jugendamt? Dieser Frage geht die Stadt mit einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt nach, das Missbrauchsfälle in Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien systematisch aufarbeiten soll.
Betroffene vermuteten, dass es derartige Netzwerke gegeben haben könnte, sagte die Direktorin des projektleitenden Deutschen Jugendinstituts (DJI), Sabine Walper. Die Studie soll untersuchen, ob Mitarbeiter des Jugendamtes "beim Missbrauch von Kindern und Jugendlichen untereinander und mit Beschäftigten anderer Einrichtungen kooperiert" haben könnten. Untersucht werden Fälle zwischen 1945 und 1990, in denen Minderjährige vom Münchner Jugendamt in Heimen oder Familien untergebracht wurden.
"Es geht darum, die Mauern der Scham und des Schweigens zu durchbrechen", sagte Walper laut Pressemitteilung im Rathaus München. "Wir wollen herausfinden, welche Gewalttaten in der Vergangenheit geschehen sind und was diese Taten ermöglicht hat."
210 Anträge auf Soforthilfe eingegangen
Die DJI-Forschenden werden demnach der Frage nachgehen, welche Formen physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt Betroffene erlebt haben. Dazu führen sie Interviews mit Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend in Heimen oder in Pflege- oder Adoptivfamilien gelebt haben, zu denen sie das Münchner Jugendamt vermittelt hatte. Auch werden Akten analysiert, heißt es in der DJI-Mitteilung.
Die bisherigen Informationen stützen sich auf die Aussagen von Betroffenen, die sich seit 2021 bei der eigens dafür eingerichteten Anlaufstelle beim Münchner Kinderschutz gemeldet haben. 210 Anträge auf Soforthilfen oder Anerkennungsleistungen sind dort bislang eingegangen. Wie Sozialreferentin Dorothee Schiwy von der SPD mitteilte, wurden bislang 4,3 Millionen Euro an Soforthilfen ausgezahlt und 930.000 Euro an Anerkennungsleistungen. 35 Millionen hat der Stadtrat für die Anerkennungsleistungen insgesamt bereitgestellt.
München ist die erste Kommune in Deutschland, die sich die systematische Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und die Unterstützung Betroffener auf die Fahnen geschrieben hat und Millionen dafür zur Verfügung stellt. "Das Vorgehen der Stadt München bei der Aufarbeitung der Heimerziehung ist beispielhaft", sagte der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch. "Auch wenn es spät kommt - für manche Betroffene sogar zu spät. Denn: Die meisten Opfer der Heimerziehung in Deutschland sind bereits im Rentenalter." Er bekräftigte seine Forderung nach mehr politischer Unterstützung für die Aufarbeitung - und forderte einen Staatsakt im Parlament für die Betroffenen.
Quelle: ntv.de, mpe/dpa