Aus der Schmoll-Ecke Natürlich ist der Weihnachtsbaum deutsche Leuchtkultur!


Nicht der Weihnachtsbaum, sondern dessen Kauf zählt zur deutschen Leitkultur. Das jedenfalls meint der CDU-Vorsitzende Merz.
(Foto: picture alliance / epd-bild)
Friedrich Merz findet es gut, wenn wir "vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum" kaufen. Recht hat er. Denn nach dem Fest wäre es blöd. Und wie geht eigentlich deutsche Leitkultur beim Erwerb eines Christbaums? Den Verkäufer beschimpfen, wenn er nicht schnell genug macht?
Wenn Sie das hier lesen, warte ich schon gespannt aufs Christkind, die Ansprache von König Olaf dem Unkommunikativen und "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" samt der fröhlichen Musik mit der süßlichen Oboe und dem Happy End. Im Kreise meiner Familie werde ich die ARD dafür loben, dass sie den Film noch immer - ohne Triggerwarnung - sendet, obwohl er nicht divers ist, nur Weiße und Heterosexuelle mitspielen, ein Kind geschlagen wird und zwei Frauen in eiskaltem Wasser landen, was manchen Flüchtling an seine gefährliche Bootsfahrt über das Meer erinnern und retraumatisieren könnte, weshalb er sich womöglich dem Islamischen Staat anschließt und einen Weihnachtsmann überfällt.
Ich werde den Kindern in unserer Runde den Tipp geben, sich lieber kein Beispiel an dem Aschenbrödel-Prinzen und seinen Kumpels zu nehmen und ständig vor dem Lehrer wegzulaufen. "Die PISA-Ergebnisse", werde ich mit freundlicher, aber ernster Stimme sagen, "zeigen, wohin das führt. Bitte geht immer zur Schule!" Pädagogisch wertvoller Rat kommt bei uns in der Familie, deren Mitglieder ich ohne Zögern durchgehend in der politisch korrekten Mitte verorte, sehr gut an.
Sie sehen, ich bin zum Scherzen aufgelegt, besserer Laune als kürzlich, aber auch zynisch wie immer - ich kann nicht anders, auch nicht vor dem Fest der Liebe. Die ganze Woche verweile ich schon im Weihnachtsmodus und genieße die weniger stressige Zeit. Ich schaue "Babylon Berlin", was nicht heißt, dass ich ins Pergamonmuseum eingebrochen bin, sondern die vierte Staffel der TV-Serie gucke. Für alle, die sie nicht sehen wollten, konnten oder durften, fasse ich sie hier gerne zusammen: Rauchen. Reden. Rauchen. Singen. Rauchen. Tanzen. Rauchen. Tanzen. Rauchen. Schlagen. Reden. Rauchen. Tanzen. Rauchen. Verhauen. Laufen. Rauchen. Reden. Rauchen. Sex. Lachen. Rauchen. Tanzen. Rauchen. Rauchen. Ermitteln.
Ja, richtig gelesen, am Rande von Tanzveranstaltungen sowie Familien- und Liebesgeschichten wird auch ermittelt. Mit den großartigen Büchern von Volker Kutscher hat das nicht mehr viel zu tun. Außer: In dem Film wimmelt es wie in den Romanen nur so von Nazis. Die sind wirklich überall. Aber ich will hier nicht politisch werden, auch wenn in diesen Zeiten alles politisch ist, das gebe ich zu. Ein Tief "Zoltan" zu nennen, ist riskant, denn der Vorname kommt von Sultan und wir wissen doch, welchem Kulturkreis Sultane zuzurechnen sind. Eine ungeschickte Wortwahl, wie ich finde. Nachher heißt es: Die Muslime bringen uns den Sturm. Und wer Sturm sät, erntet Orkan.
Solange die Lichterlieferketten funktionieren ...
Wenden wir uns lieber den Christen zu. Die sterben aus. Die Nachfrage nach Weihnachtsmännern ist bereits rückläufig. Vielleicht liegt es auch an den Preisen, die Darsteller nehmen an die 100 Euro pro Auftritt - für so viel Geld erwirbt doch ein echter deutscher Christ lieber einen Tannenbaum und behängt ihn mit Schmuck "made in China". In Yiwu werden zwei Drittel des weltweit verkauften Weihnachtsschmucks hergestellt, was der ehemals bettelarmen Bevölkerung gutes Auskommen einbringt, solange die Lichterlieferketten funktionieren. Dank des Lichterlieferkettengesetzes unserer Fortschrittskoalition werden bei der Produktion von Christbaumkugeln und anderem Schnickschnack die Menschenrechte beachtet und ordentlich Lohn bezahlt. Wenn nicht, dann setzt es was. Geld ist wichtig.
Das weiß auch Friedrich Merz, über den ich mich aufgeregt habe. Der zählt irrerweise nicht den Weihnachtsbaum zur deutschen Leitkultur, sondern dessen Kauf. "Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen." Nach Weihnachten wäre ja auch echt bekloppt, auch wenn sie da sicher billiger sind. Aber eine Fichte oder eine Tanne ein ganzes Jahr aufzuheben, geht nicht. Eine typische Merz-Äußerung also. Mensch, Sie alter Erzkapitalist im Gewande eines Christen, denken Sie immer nur ans Geschäft und ans Geld? Bestimmt hat Blackrock in Nadelwälder investiert.
Merz steht sicher auf den Nikolaus
Herr Merz sagte weiter zu seiner Empfehlung, schon vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen: "Es ist die Art von christlich-abendländisch geprägter kultureller Identität, die sich über Generationen überträgt, von der unsere Kinder geprägt sind und die sie dann so oder so ähnlich selbst weitertragen." Was der Kauf eines Weihnachtsbaumes mit christlich-abendländisch geprägter kultureller Identität zu tun haben soll, ist mir schleierhaft. Und wie geht eigentlich deutsche Leitkultur beim Einkaufen? Den Verkäufer beschimpfen, wenn er nicht schnell genug macht? Über die Frau mit Kopftuch vor einem an der Kasse lästern? Egal. Herr Merz ist ja bekannt dafür, Unsinn zu reden.
Wobei ich nichts gegen deutsche Lichtkultur habe. Ein Weihnachtsbaum muss leuchten. So wie - um hier mal ein Klischee anzubringen - die Augen der Kinder, wenn sie Geschenke auspacken, die sie spätestens eine Woche später nicht mehr beachten. Herr Merz ist Katholik, er steht sicher auf den Nikolaus. Unter Katholiken ist der Weihnachtsmann in Verruf geraten: als Werbefigur eines zum Konsumrausch verkommenen Festes, das seine christlichen Werte dem Kommerz geopfert hat. Katholisch-marxistische Kapitalismuskritik wird gerne mit Amerika-Bashing verknüpft. Schließlich hat Coca-Cola den rot-weißen Fettsack erst populär gemacht.
Den Nikolaus kennt kaum jemand mehr, Protestanten und Atheisten mögen Weihnachtsmänner. Vielen Kindern im untergehenden Abendland ist der Geschenke bringende Rotrock geistig und emotional näher als der neugeborene Jesus, um den es am Fest der Nächstenliebe - zumindest nach dem Willen der christlichen Kirchen - doch eigentlich gehen müsste. Dabei war der echte Nikolaus ein multikulturelles Vorbild aus dem Gebiet der heutigen Türkei. Er war reicher Erbe, gab Geld für gute Zwecke aus und bewahrte Frauen vor fremden Schwänzen, indem er einen Vater durch Gaben davor bewahrte, seine Töchter zu Prostituierten zu machen.
Martin Luther nutzte das aus. Der clevere Reformer wollte nicht länger am 24. und 25. Dezember Heilige feiern lassen. So wurde Weihnachten unter Protestanten zum Familienfest, bei dem man sich Geschenke machte. Die ersten Weihnachtsbäume sind schon zur Luther-Zeit nachgewiesen, allerdings im Elsass. Was prompt umstritten war, die Kirche fand es doof und mahnte, brav zu sein und das Baumaufstellen einzustellen. Doch irgendwann entdeckten auch Katholiken die Freude am Schenken. Denn auch sie haben irgendwann gelernt: Wer nicht artig ist, den bestraft der Weihnachtsmann.
Quelle: ntv.de