NC-Urteil ist längst überfällig Nieder mit der Einserquote
19.12.2017, 15:59 Uhr
Es ist eine richtige Entscheidung, die ein pervertiertes System beendet: Das Verfassungsgericht will den Numerus Clausus für das Medizinstudium teilweise abschaffen. Das Urteil kommt nicht nur künftigen Studenten zugute.
Es hat lange gedauert, um einem pervertierten System den Garaus zu machen. Endlich hat das Bundesverfassungsgericht dem Numerus Clausus in Medizin, der vor genau 50 Jahren eingeführt wurde, ein Ende bereitet - zumindest teilweise. Statt sich vor allem an exzellenten Abiturnoten zu orientieren, soll künftig auch die intellektuelle und soziale Eignung für das Studium der Medizin und der Pharmakologie geprüft werden. Die Karlsruher Richter entschieden, dass die bisherige Zugangsberechtigung mit dem Grundgesetzartikel zur freien Berufswahl unvereinbar ist. Das ist längst überfällig und kommt künftigen Medizinstudenten und Patienten zugute.
In den meisten Studiengängen an staatlichen Universitäten gibt es deutlich mehr Bewerber als Plätze. Daher gilt in vielen Fächern der Numerus Clausus, kurz NC. Der Name ist lateinisch und bedeutet "beschränkte Zahl". Der Begriff wird häufig synonym als Zulassungsbeschränkung verwendet.
Der NC richtet sich in jedem Semester nach der Anzahl der Bewerber und den verfügbaren Plätzen. Je mehr Abiturienten sich auf dieselbe Studienrichtung bewerben, desto höher ist der NC. Im Fach Medizin liegt er fast bundesweit bei 1,0, in Schleswig-Holstein bei 1,2.
Das Urteil zwingt staatliche Universitäten, künftig Eignungsgespräche in "standardisierter und strukturierter Form" durchzuführen. Auf den ersten Blick wirken solche Interviews zeitaufwendig und kostenintensiv. Auf den zweiten Blick sind sie volkswirtschaftlich aber sinnvoll. Denn so wird gewährleistet, dass vornehmlich jene Medizin studieren, die tatsächlich für den Beruf geeignet sind. Sie brechen seltener das 200.000 Euro teure Studium ab, werden in der Regelstudienzeit fertig und zahlen somit eher in die Sozialkassen ein.
Hinzu kommt: Wer keine exzellenten Abiturnoten hat, muss sich bisher auf bis zu 15 Wartesemester einstellen. Das kostet. Als halbwegs sinnvolle Überbrückung absolvierten viele Bewerber zwar eine Berufsausbildung in medizinischen Bereichen. Bekommen sie dann einen Medizinstudienplatz, lassen sie ihre alte Arbeitsstelle hinter sich - was auch zum gravierenden Personalmangel in Kranken- und Pflegeberufen beiträgt.
Gescheitert am System
Wer spät mit dem Medizinstudium anfängt, hat noch andere Nachteile: Statistisch gesehen brechen etwa 40 Prozent der Studenten mit vielen Wartesemestern wieder ab. Das ist nur allzu verständlich. Links und rechts im Hörsaal sitzen Kommilitonen, die etwa zehn Jahre jünger und noch ans Lernen gewöhnt sind. Mit ihnen mitzuhalten, ist schwierig - gerade mit Familie. Viele ältere Studenten geben dann auf, gescheitert am System.
Und nicht zuletzt ist die Aussagekraft einer Abiturnote sehr begrenzt. Zwar zeigen Studien, dass Einserschüler das anspruchsvolle Medizinstudium meist auch besser durchhalten. Allerdings fallen die Noten je nach Bundesland und Schule höchst unterschiedlich aus. Außerdem spielen gerade in ärztlichen Berufen noch andere Eigenschaften eine wesentliche Rolle: emotionale Intelligenz, Einfühlungsvermögen und eine Leidenschaft für den Beruf. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts trägt dem nun Rechnung.
Quelle: ntv.de