Panorama

"Alles in Ruinen" Schiere Verzweiflung nach Unwettern in Spanien

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Die Bürger lassen ihrer Wut freien Lauf.

Die Bürger lassen ihrer Wut freien Lauf.

(Foto: dpa)

Die Gemeinde Paiporta gilt als "Ground Zero" der jüngsten Flutkatastrophe in Spanien. Allein hier kamen Dutzende Menschen ums Leben. Das Aufräumen ist eine gewaltige Aufgabe - und in die Verzweiflung mischt sich Zorn.

Die Bilder der lächelnden Kleinkinder an der Wand haben irgendwie überlebt. Fast alles andere in der Tagesstätte - die Wiegen, die Hochstühle, die Spielzeuge - wurde ruiniert, als die Fluten durch Paiporta stürzten und die 30.000-Seelen-Gemeinde in den Ausläufern der Stadt Valencia zu einer Art Epizentrum der tödlichsten Naturkatastrophe Spaniens seit Menschengedenken machten.

"Wir haben alles verloren", sagt Xavi Pons. Das Wasser in dem Gebäude, das einst die Kindertagesstätte war, sei über seine Kopfhöhe hinaus gestiegen, schildert er und zeigt auf die kniehohen Spuren des Schlammes, der mit dem Wasser in die Einrichtung kam. Die Familie seiner Frau hatte sie seit einem halben Jahrhundert betrieben - und nun das. "Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. So etwas war noch nie zuvor geschehen, und keiner hätte gedacht, dass es geschehen würde", sagt Pons. "Ganz Paiporta ist wie dies hier, es ist alles in Ruinen."

Nach Behördenangaben sind allein in dieser Gemeinde mindestens 62 Menschen durch die verheerende Flutkatastrophe ums Leben gekommen, die in der vergangenen Woche weite Teile des Ostens und Südens Spaniens traf. Insgesamt wurden bislang mehr als 200 Todesfälle bestätigt, der größte Teil davon in der Region von Valencia. Örtliche Medien haben Paiporta als so etwas wie den "Ground Zero" der Überschwemmungen bezeichnet. Auch mehrere Tage nach den Tsunami-ähnlichen Fluten in den südlichen Ausläufern der Stadt Valencia, die Riesenmengen an Schlamm zurückließen, wurde weiter nach etwaigen Überlebenden und Opfern gesucht, und das Aufräumen bleibt eine gewaltige Aufgabe.

Inmitten von Haushaltsgerümpel

Die schiere Verzweiflung in Paiporta entlud sich am Sonntag bei einem Besuch des spanischen Königs Felipe VI. in wütenden Protesten von Dutzenden Einwohnern. Sie beschimpften den Monarchen und hochrangige Regierungsmitglieder als "Mörder", bewarfen sie mit Schlamm und schwangen drohend Schaufeln und Stangen. Berittene Polizisten mussten eingreifen, um die Protestierenden zurückzuhalten.

Königin Letizia wird von Schlamm getroffen und ist schwer schockiert, zeigt aber Verständnis.

Königin Letizia wird von Schlamm getroffen und ist schwer schockiert, zeigt aber Verständnis.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Viele Straßen in Paiporta sind nach wie vor für alle Fahrzeuge - außer Bulldozern - unpassierbar, es türmen sich durchweichte Möbel und Hausratsgegenstände auf - gepaart mit zahllosen demolierten Autos. Und es ist so schlammig, dass manche Einwohner Stangen benutzen, um ihr Gleichgewicht zu halten, während sie sich den Weg durch den Sumpf bahnen.

In einem Laden mit einer fehlenden Außenwand liegt ein riesiger Baumstamm und auf einem Kirchenvorplatz eine Waschmaschine auf ihrer Seite, inmitten von anderem Haushaltsgerümpel. Eine antike Kommode, Gemälde und ein Teddybär sind noch in all dem Treibgut auszumachen, das der Morast festhält und zum großen Teil unkenntlich gemacht hat.

Ohne einen Tropfen Regen

Lidia Giménez, eine Schullehrerin, hat vom Fenster ihrer Wohnung im zweiten Stock aus gesehen, wie der gewöhnlich trockene Kanal, der Paiporta durchquert, innerhalb von 15 Minuten so stark mit Wasser anschwoll, dass er über die Ufer trat. Sie nennt das, was nach der Flut übrig war, ein "Schlachtfeld ohne Bomben". Und es geschah, ohne dass auch nur ein Tropfen Regen auf Paiporta fiel. Die massiven Wolkenbrüche, die zur Katastrophe führten, hatte es flussaufwärts gegeben, und das Wasser stürzte dann in Richtung des Ortes und anderer Gebiete in größerer Nähe zur Mittelmeerküste, die von den Fluten verwüstet wurden.

Die Einwohner erhielten keine rechtzeitigen Warnungen der Regionalregierung auf ihren Handys, sie kamen erst zwei Stunden, nachdem das gefährliche Wasser durch den Ort geflutet war. Die Wucht riss Gebäude in Ufernähe und eine Fußgängerbrücke weg, eine andere Brücke verlor ihr Metallgeländer. Autos wurden in den Kanal geschwemmt. Acht Räder sind die einzigen Teile, die noch von einem umgestürzten Lastwagen zu sehen sind, der auf den schlammigen Grund des Flusses sank.

Im Stich gelassen

Das Aufräumen könnte Wochen dauern. Tausende Freiwillige gingen von der Stadt Valencia über eine Stunde zu Fuß, um den Leuten in Paiporta zu helfen, wateten mit Eimern, Besen und Schaufeln ausgerüstet in den Schlamm. Hausbesitzer Rafa Rosellón wartete auf schwereres Gerät, zur Entfernung von zwei Autos, die das Wasser vor seine Haustür gespült hatte und nun - eines zur Hälfte oben auf dem anderen - den Eingang blockierten. Er musste durch ein Fenster kriechen, um die schlimme Bescherung im Innern des Hauses begutachten zu können. "Ich kann nichts tun, solange diese Autos nicht entfernt worden sind", sagt Rosellón.

Er fühlt sich von der regionalen Regierung und der in Madrid im Stich gelassen, sie könnten etwas tun, sagt er, "aber haben nichts getan, um uns zu helfen. Es sind wir, die Einwohner und Freiwilligen, die all die Arbeit verrichten."

"Ich kann meinen Mann nicht finden"

Etwa 2000 Soldaten sind neben 1800 nationalen und fast 2500 Angehörigen der Zivilgarde in den Überschwemmungsgebieten im Einsatz, suchen nach Überlebenden, helfen beim Aufräumen und verteilen Güter des täglichen Bedarfs. Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez sagte am Samstag, dass diese Kräfte ungefähr 4000 Menschen gerettet und "mehr als 3000 Leuten in Häusern, auf Straßen und in überfluteten Gewerbeparks geholfen haben". Doch nur ein kleines Kontingent von Soldaten entfernte am Samstag Schlamm in Paiporta, während Sánchez versicherte, dass weitere 5000 Soldaten und 5000 Polizisten auf ihrem Weg ins östliche Spanien seien.

Ein paar Türen entfernt von dem Haus, in dem Rosellón wohnte, bricht eine Frau, die schlammiges Wasser von ihrem Eingang wegfegt, in Tränen aus. "Ich kann meinen Mann nicht finden", sagt sie. "Deswegen ist das alles hier egal."

Quelle: ntv.de, Joseph Wilson, AP

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