"Eisberge sind wie Menschen" Sebastian Copelands Sicht auf die Arktis


Das Licht! Manchmal muss man tagelang darauf warten - nicht nur als Polarfotograf.
(Foto: Sebastian Copeland)
Die Arktis, das ist auf Sebastian Copelands Bildern - Wildnis, Abenteuer und Schönheit. Seine Mission ist es jedoch nicht nur, unglaubliche Fotos zu machen und atemberaubende Bildbände herzustellen, sondern zu zeigen, welche Folgen das Schmelzen der Eisberge für unsere Welt hat. Ein Gespräch mit einem begnadeten, furchtlosen Fotografen und Umweltschützer.
"Ich bin ein etwas langweiliger Typ", sagt Sebastian Copeland gleich zu Beginn des Gespräches, "ich mache seit Jahren immer wieder dasselbe." Er lacht, das heißt, er kokettiert ein wenig mit seinem Dasein. "Ich warte auch sehr viel, und es macht mir überhaupt nichts aus," fügt er noch hinzu. Kurze Pause. "Meine Frau kann das bestätigen. Ich bin sehr geduldig. Und ich bin fokussiert." Gut, dann hätten wir das geklärt: Ideale Voraussetzungen also, um Polarforscher, Klimaaktivist, Fotograf und erfolgreicher Buchautor zu sein. Wie Copeland. Und auch sonst - perfekt, der Mann. Er spricht so angenehm, nicht zu viel, nicht zu wenig, er hört zu, man hört ihm gerne zu, er ist interessiert, und vor allem: Alles, was er sagt, ist interessant. So wie sein jüngstes Buch: "The Arctic - A Darker Shade of White", das mit wirklich unübertroffenen Fotografien, die Copeland während mehrerer seiner Expeditionen aufgenommen hat, in die Arktis entführt.
Die Arktis - eine der letzten echten Wildnis auf unserem Planeten. Copelands Mission ist es jedoch nicht nur, atemberaubende Bildbände herzustellen und Ausstellungsräume mit riesigen Bildern zu bestücken (so wie vor Kurzem bei "Camera Work" in der Berliner Kantstraße), sondern aufzuzeigen, welche Folgen das Schmelzen der Eisberge für die niedrigeren Breitengrade auf dieser Welt hat. Sein vielseitiger Hintergrund als Polarforscher, preisgekrönter Fotograf, etablierter Autor, Journalist und engagierter Umweltschützer bietet einen einzigartigen Blickwinkel auf diesen einsamen Ort.
Stichwort einsam: Ist das Fotografieren im Ewigen Eis - das so ewig nicht mehr da sein wird, wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher - nicht doch ein sehr einsamer Prozess? "Ich bin Tausende Kilometer, hauptsächlich auf Skiern, gelaufen (lacht), ich schlafe manchmal 36 Stunden nicht, dusche tagelang nicht, da habe ich offen gestanden gar keine Zeit, mir Gedanken über Einsamkeit zu machen. Erst hinterher, wenn ich wieder zu Hause bin, wenn ich meine Kinder sehe, und die etwas gewachsen sind oder etwas Neues gelernt haben, dann merke ich, dass ich eine Weile weg war, dass ich wohl auch etwas verpasst habe. Dafür nutze ich dann aber meine Zeit zu Hause umso intensiver. Meine Frau, und auch meine Kinder, kennen das zur Genüge."
Carpe Diem
Auch bei der letzten Expedition war das nicht anders: Copeland schläft in einem Zelt, von einer heißen Dusche kann er nur träumen, denn sobald sich die Gelegenheit ergibt, schnappt er sich seine Kamera und geht los. "Manchmal laufe ich zehn Stunden, aber es kann wie eine Offenbarung sein - das Licht, die Reflexion, der Moment, wenn du deine eigenen Bilder im Kopf in den Eisberg hineinprojizierst. Und der dann beispielsweise aussieht, wie ein gefrorener Dinosaurier." Im Eis muss man die Gelegenheit also beim Schopfe packen? "Ja! Der Himmel könnte nie wieder so blau sein wie jetzt, die Spiegelung des Eisbergs nie wieder so perfekt, so glatt. Das habe ich schon erlebt, dass man da fünf Tage sitzt, eine Woche, und es ist nur nebelig. Oder alles ist grau." Da heißt es dann, zuzuschlagen. "Für ein bestimmtes Foto habe ich 15 Jahre auf die perfekte Möglichkeit gewartet. Eine gewisse "Carpe Diem"-Einstellung zu haben, ist von Vorteil."
Die Reisezeit ist begrenzt, für Copelands Zwecke eignet sich am besten Ende Juni, Anfang Juli. "Man muss schon auch Glück haben, um DAS Foto zu machen. Es kann passieren, dass man fünfmal anreisen muss." Manche Eisberge hat er aus den verschiedensten Winkeln fotografiert, unter verschiedensten Bedingungen: "Eisberge sind wie Menschen. Einige sind attraktiver als andere - dementsprechend möchte man diese auch eher fotografieren." Obwohl die im Bildband dargestellte Vision auf den ersten Blick poetisch wirken mag, ist das Ziel des Buches pragmatisch: Es soll inspirieren und einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Zukunft fördern. Das betont der Fotograf, der sich vollkommen damit identifiziert, auch ein Klimaschützer zu sein, immer wieder.
Der Sound des Eises

Einige Eisberge sind attraktiver als andere (dieser hier heißt "Monument Valley").
(Foto: Sebastian Copeland)
"The Arctic" ist eines der Tore zu Copelands unerschrockenen Reisen, auf die er uns mitnimmt. Uns, die davon träumen, eine solche Reise zu machen, oder auch die, die niemals eine solche Reise erwägen würden, einfach, weil sie auch irre unbequem - und kalt - ist. Er zeigt Regionen auf diesem Globus, die selten, wenn überhaupt, einen menschlichen Fußabdruck gesehen haben. Das Buch ist eine berührende und visuell fesselnde Hommage an das wohl nie enden wollende menschliche Streben nach Entdeckung.
Eisberge bewegen sich, verändern sich, formen sich neu. Sie treiben, sie brechen, sie kalben, sie sind nie gleich, und vor allem sind sie ein Teil der Faszination für Copeland, an den Polen zu fotografieren. "Es ist der konstante Wandel, die stetige Veränderung, man sieht nie etwas zweimal, und das hat etwas geradezu Buddhistisches", erklärt Copeland beim Treffen in Berlin. Man sollte den Moment genießen, will er das damit sagen? Ja, und gerade bei Eis - denn Eis ist immer in Bewegung, weil es der Schwerkraft folgt. Und auch, wenn es ein sich stets wiederholender Prozess ist - Eis schmilzt, fließt ins Wasser, stößt auf einen Gletscher, wird quasi wieder geboren, treibt weiter. So ist es doch ein Schauspiel, von dem der zu den besten Fotografen der Welt zählende, in Frankreich geborene und in München und Los Angeles lebende 60-Jährige nie genug bekommen kann. "Allein die Geräusche sind faszinierend, das Knacken und das Ächzen des Eises", schwärmt er.
Naturliebhaber, Fotointeressierte, Promis und Politiker sind Fans: "2006 habe ich Präsident Gorbatschow meinen "Eisberg 1" geschenkt, ein riesiges Bild, ein wichtiges Bild. Er liebte es sehr." "Eisberg 1" erinnert Copeland an die Autos der 50er-Jahre, und tatsächlich: Das Foto hat eine zeitlose Eleganz, und ist gleichzeitig so simpel. "Als ich das Foto geschossen habe, hat es sehr stark geregnet, deswegen sieht es so milchig aus, fast unscharf oder grobkörnig." Gorbatschow hatte damals das Vorwort zu Copelands erstem Buch geschrieben, "es war eine andere Zeit", sagt er fast wehmütig.
Schönheit ist wichtig
Dieses Mal stammt das Vorwort von Jane Goodall: "Wir haben am selben Tag Geburtstag. Als sie 90 wurde, wurde ich 60, und ich muss sagen: Ich fand das nicht so einfach", erzählt er und lacht. "Ich bewundere Jane, seit ich denken kann. Eines Tages habe ich sie über Freunde getroffen. Sie ist eine Naturgewalt, eine fantastische Frau, immer in Bewegung." Ist sie sein Vorbild? "Irgendwie schon, denn sie gehört zur Generation der Entdecker, sie ist eine Wegbereiterin." Ist das aber nicht frustrierend, wenn man seit Jahrzehnten unterwegs ist, forscht, beobachtet, lehrt, schreibt, und dann bemerken muss, dass es nichts bringt? Dass all die Erkenntnisse zwar da sind, wahrgenommen werden, aber sie im Endeffekt nur wenig ändern? Ja, das sei schon frustrierend, lenkt er ein, aber: "Für meine Arbeit ist die Schönheit wichtig, die Schönheit dieser Erde. Man muss zuhören, man muss versuchen zu verstehen. Wir denken, dass wir in den letzten drei, vier Jahrzehnten viel erreicht haben, aber wir sind gerade dabei, alles wieder zu zerstören. Das Gute ist, dass Fotos dabei helfen können, etwas zu sehen, was man vielleicht nicht gehört hat. Und wir können nicht alle unsere Sinne täuschen."

Copeland wird nicht so bald in Rente gehen, es gibt noch zu viel zu entdecken.
(Foto: IMAGO/Eventpress)
Wir haben also einen riesigen Pool an Wissen - aber was tun wir damit? "Er wächst immer weiter, das steht fest. Was wir damit anfangen, steht auf einem anderen Blatt. Wir werden immer klüger, theoretisch. Ich versuche, etwas in meine Bilder hineinzubringen, das bei aller Schönheit auch darauf hinweist, wie fragil diese Schönheit ist." Besonders deutlich wird das auf den Bildern, bei denen die Spiegelung eine große Rolle spielt: "Es ist die Dualität, die dem Bild noch mehr Power gibt."
Was ihn antreibt
Mit einem Mann wie Sebastian Copeland kann man stundenlang sprechen, über alles: Kindererziehung, das Leben in 30 Jahren oder zumindest wie es sein könnte, über Elektromobilität und Reisen, die Eroberung des Weltraums, Leben auf dem Mars - aber vor allem über den Planeten, auf dem wir wohnen. "Es ist eine wirklich spannende Zeit."
Sebastian Copeland ist Polarforscher, Klimaanalytiker und Fotograf. Seine Bücher wurden in mehr als 70 Ländern veröffentlicht. Im Jahr 2017 wurde Copeland als einer der weltweit größten 25 Abenteurer der letzten 25 Jahre ausgezeichnet. Als Fotograf hat Copeland zahlreiche rekordverdächtige Expeditionen geleitet und dokumentierte dabei mit der Kamera die gefährdeten Polarregionen. Er legte zu diesem Zweck mehr als 10.000 km auf Skiern über das Eis zurück. Seit 2000 warnt er vor systemischen Veränderungen in den Polarregionen und deren geoökonomischen Folgen. Er wurde mehrfach zum "Fotograf des Jahres" gekürt, darunter allein zweimal im Jahr 2020 für sein Werk "Antarctica: The Waking Giant". Copeland erhielt zahlreiche Auszeichnungen: 2018 bekam er einen "Bambi" in der Kategorie "Unsere Erde", von der französischen Regierung wurde er zweimal zum Ritter geschlagen.
Hat Sebastian Copeland Angst vor irgendetwas? Er ist an wirklich unwirtlichen Orten unterwegs, wochenlang, er ist fast erfroren, wurde von Eisbären angegriffen - in diesen Momenten verspürt er jedoch keine Angst, nur den Gedanken, wie er aus der Situation herauskommt. Doch manchmal träumt er später, immer in der "Was wäre gewesen, wenn ..."-Variante: "Angst hat auch was Gutes", sagt er, "man ist sehr konzentriert." Und natürlich gibt es viele Gründe, Angst zu haben: Krieg, Hunger, Armut, Krankheit , "all diese Umstände können Menschen um den Verstand bringen", glaubt Copeland. Was ihm konkret Angst macht, ist die Sorge um seine Töchter: "Wenn sie das Haus verlassen, was ihnen da alles passieren könnte!" Und auch die Sorge, in welcher Welt sie später leben werden, treibt ihn um. Dass es eine gute, lebens- und liebenswerte Welt bleibt, dafür wird er weiterhin sorgen, mit allem, was ihm zur Verfügung steht. Und das wird wohl hauptsächlich seine Kamera sein.
Was fasziniert ihn nach all den Jahren noch immer an seinem Beruf? "Es hat sich geändert, ich mache, seit ich Vater bin, nicht mehr so gefährliche Trips. Es kann immer etwas passieren, klar, aber ich denke, wir sind optimal vorbereitet. Was mich antreibt ist, dass ich die Wissenschaft mit der Kunst verbinden kann. Das wird mich bis zu meinem Lebensende faszinieren und beschäftigen. Ich werde also nicht so bald in Rente gehen", lacht er.
Quelle: ntv.de