Panorama

Deutschland sollte gewarnt sein Frühe und sehr starke Grippewelle in Australien

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
3D-Darstellung von Influenzaviren (H3N2).

3D-Darstellung von Influenzaviren (H3N2).

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Zwei Jahre gibt es durch die Corona-Maßnahmen nur sehr wenige Grippe-Infektionen, doch im kommenden Winter könnte die Saison umso heftiger ausfallen. Ein deutliches Anzeichen dafür ist eine frühe und sehr stark ansteigende Grippewelle in Australien, die so schlimm wie 2017 zu werden droht.

Ob und wie effektiv welche einschränkenden Maßnahmen Covid-19 im Zaum halten konnten, wird angesichts einer möglichen neuen Corona-Welle im kommenden Herbst noch heftig diskutiert. Fest steht aber, dass die AHA+L-Regeln dazu geführt haben, dass die Grippesaison in den vergangenen zwei Jahren praktisch komplett ausgefallen ist. Doch jetzt zeichnet sich ein Comeback der Influenza-Viren ab, wie ein Blick nach Australien zeigt, wo die Fallzahlen sehr früh sehr stark ansteigen.

Zwei Jahre keine Grippewellen

Durch die Corona-Maßnahmen ebbte die Grippewelle in Deutschland 2019/20 rund zwei Wochen früher ab und weder in der folgenden noch der vergangenen Saison gab es eine nennenswerte Zahl von Influenza-Infektionen. Brandenburg meldete beispielsweise für den Herbst/Winter 2021/22 gerade mal 672 bestätigte Fälle, in der vorangegangenen Saison sogar nur 31. Vor der Pandemie waren es über 6000.

Die Entwicklung kam für Europa nicht überraschend, da die Grippewellen zuvor auf der Südhalbkugel unter anderem in Australien und Neuseeland ausgefallen waren. Umso alarmierender ist jetzt ein Blick nach "Down Under", denn dort ist die Grippewelle bereits früh im April gestartet und die Anzahl der laborbestätigten Fälle schoss im Mai in die Höhe.

"So schlimm wie 2017"

Die aktuelle Grippewelle (rot) im Fünf-Jahres-Vergleich.

Die aktuelle Grippewelle (rot) im Fünf-Jahres-Vergleich.

(Foto: NNDSS)

Die Grippesaison sei diesmal "besonders schlimm" und mit der von 2017 vergleichbar, zitiert "ABC News" die Ministerpräsidentin des australischen Bundesstaats Queensland. Laut Gesundheitsministerium zählte das Land bis zum November 2021 nur knapp 600 bestätigte Influenza-Infektionen, während es in diesem Jahr bis zum 22. Mai insgesamt schon 38.743 Fälle waren. Das entspricht 150,5 Infektionen pro 100.000 Einwohner.

26.193 Grippefälle wurden alleine in den vorangegangenen 14 Tagen gemeldet - dreimal mehr als in den zwei Wochen zuvor. Schon seit Mitte April übertrifft die Zahl der bestätigten Grippeinfektionen in Australien den Fünf-Jahres-Durchschnitt. Den Höchstwert, den die sehr schwere Welle 2019 Anfang Juli erreichte, haben die aktuellen Infektionen bereits fast erreicht.

Wöchentliche Verdopplung

Der steile Anstieg mit aktuell einer wöchentlichen Verdopplung der Infektionszahlen ist aber eher mit der besonders heftigen Saison 2017 vergleichbar, wie Gesundheitsministerin Annastacia Palaszczuk sagte. Diese Welle startete zwei Monate später und hatte ihren Höhepunkt im August.

Die hohe Zahl der gemeldeten Infektionen kann teilweise vermutlich auf in der Corona-Pandemie gestiegene Test-Kapazitäten zurückzuführen sein, die jetzt für Influenza eingesetzt werden. Die Test-Positivrate liegt bei 3 Prozent. Allerdings wurden bereits 368 australische Grippe-Patienten ins Krankenhaus eingewiesen, wovon fast 8 Prozent intensiv behandelt werden müssen. Mindestens drei der 38.743 registrierten Fälle sind seit dem 22. April gestorben.

Vor allem Junge betroffen, aber Alte besonders gefährdet

Betroffen sind vor allem jüngere Menschen. Knapp die Hälfte der Infizierten ist jünger als 16 Jahre, rund 30 Prozent sind zwischen 16 und 64 Jahre alt, nur etwa 5 Prozent sind älter. Das höchste Risiko tragen aber mit Abstand hochbetagte Menschen, die drei bisher offiziell in Australien an Grippe Verstorbenen waren 87 bis 92 Jahre alt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Europa im Herbst eine ähnliche Entwicklung durchmacht, ist recht hoch. 2019/20 lief die Grippewelle hier vermutlich nur aufgrund der ergriffenen Corona-Maßnahmen glimpflicher ab als in Australien. Im Herbst und Winter 2017/18 traf es Deutschland wie zuvor die Südhalbkugel besonders hart, das RKI registrierte damals fast 1700 offizielle Todesfälle. Das Institut schätzt die tatsächliche Zahl der Opfer aber sogar auf 25.100, da Grippe oft nicht als Todesursache in den Totenschein eingetragen werde.

Ausreichend Impfstoff bestellt?

Die Bundesrepublik sollte also vorgewarnt sein und schon früh für den Herbst eine Impfkampagne organisatorisch, aber auch informationell vorbereiten, speziell für ältere Menschen. Ob genügend Vakzine vorrätig sein werden, ist allerdings offen. Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sollten Arztpraxen und Apotheken die Grippeimpfstoffe schon bis 1. April bestellt haben. Danach erfolge die Produktion sowie die Genehmigung der Stammanpassung der Vakzine über einen Zeitraum von etwa vier bis fünf Monaten.

Kurz vor Ende der Frist schrieb das PEI, die Anzahl der vorbestellten Impfstoffdosen weiche noch signifikant von dem ermittelten Bedarf für die kommende Grippesaison ab. Dies könne schlimmstenfalls zu Einschränkungen der Verfügbarkeit führen. ntv.de fragte beim PEI nach, ob doch noch genügend Dosen bestellt wurden, erhielt aber keine konkrete Antwort. Dies zu beurteilen gleiche einem Blick in die Glaskugel, da es letztendlich von der konkreten Nachfrage abhänge, ob die bestellten Impfstoffe ausreichten.

Hürden für Apotheken und Ärzte

Mehr zum Thema

Ein Hinweis auf das niedrige Interesse an Impfungen in den vergangenen beiden Saisons lässt eher vermuten, dass bei einer starke Grippewelle im Herbst die Vakzine knapp werden könnten. Das PEI weist daher auch auf die Notwendigkeit einer "Grippeimpfstoffrückerstattungsverordnung" hin. Das heißt, Apotheken oder Ärzte sollen für bestellte, aber nicht verwendete Impfstoffe entschädigt werden.

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) können Ärzte per Gesetz in Regress genommen werden, wenn die bestellte Menge an Influenza-Impfstoff über der verbrauchten Menge liegt. Für die Impfsaison 2021/2022 hätten Überschreitungen von bis zu 30 Prozent noch als wirtschaftlich gegolten. Es sei aber noch unklar, ob diese Regelung verlängert und damit auch für die Impfsaison 2022/2023 gelten werde.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 30. Mai 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen