Panorama

Es gibt Pioniere und Nachzügler Tonnenweise Lebensmittel landen im Müll

Jährlich wirft der Durchschnittsdeutsche rund 90 Kilogramm Lebensmittel in die Mülltonne.

Jährlich wirft der Durchschnittsdeutsche rund 90 Kilogramm Lebensmittel in die Mülltonne.

(Foto: picture alliance / Christian Cha)

Lebensmittel, die weggeworfen werden, sind eine Schande. Vergebens produziert, teuer gekauft, und satt machen sie auch niemanden mehr. Der WWF legt zum Ausmaß des Phänomens neue Zahlen vor.

Die Bundeslandwirtschaftsministerin ist in ihrem Element. Bei der Verleihung von Preisen für das Engagement gegen Lebensmittelverschwendung, erzählt Julia Klöckner vom Leben auf dem Land: Als die CDU-Politikerin zur Schule ging, durften die Äpfel noch Dellen haben und schmeckten trotzdem. "Mein Ziel ist klar", sagt Klöckner - und nennt ein Ziel, das Parlamentarier auf EU-Ebene schon lange fordern: die Lebensmittelverschwendung bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren.

Es klingt wie eine Replik auf einen Bericht, in dem die Umweltorganisation WWF der Bundespolitik zwei Tage später das Fehlen einer nationalen Strategie vorwerfen wird. Auf 18 Millionen Tonnen beziffert die Umweltorganisation das Ausmaß der jährlichen Lebensmittelverschwendung in Deutschland. Berechnet hat den Wert das Institut für nachhaltige Ernährung der Fachhochschule Münster. 60 Prozent der Abfälle fallen demnach in der Wertschöpfungskette an, etwa 40 Prozent werfen die Verbraucher weg. Anhand ihres Engagements gegen Lebensmittelverschwendung wurden die Bundesländer in drei Gruppen eingeteilt: Pioniere, Mittelfeld und Nachzügler. Für die Einstufung sei überprüft worden, wer sich schon lange und systematisch mit dem Thema befasse - und wo nur ganz vereinzelt Maßnahmen zur Abfallvermeidung ergriffen würden, heißt es beim WWF.

In der Spitzengruppe stehen Länder wie Bayern, das die landesweiten Lebensmittelverluste seit 2012 erhebt und sichtbar macht. Dazu Baden-Württemberg, das die Vermeidung von Lebensmittelabfällen im Abfallwirtschaftsplan verankert habe. Außerdem Nordrhein-Westfalen, das als erstes Bundesland einen Runden Tisch zum Thema eingerichtet hat. Auch Klöckners Heimatland, Rheinland-Pfalz, wird lobend erwähnt. Als Nachzügler gelten dagegen Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Hier sind Maßnahmen nach WWF-Angaben entweder kaum vorhanden oder deren Wirksamkeit nicht nachvollziehbar.

WWF erkennt positive Signale

Dass die Befunde so unterschiedlich ausfallen, lasten Forscher und Umweltaktivisten vor allem der Bundespolitik an: Sie verpasse es, die Maßnahmen der Länder bundesweit zu koordinieren und eine gemeinsame Strategie auf den Weg zu bringen. Bis 2020, so die Forderung, möge die Bundesregierung nachbessern. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist das Thema schon berücksichtigt, drei Mal kommt das Wort "Lebensmittelverschwendung" vor. "Eindämmung Lebensmittelverschwendung", heißt es beispielsweise lapidar. Die Koalition wolle "die ganze Wertschöpfungskette" in den Blick nehmen. Der WWF wertet es als positives Signal.

Die konkreten Daten zum Ausmaß der Verschwendung in den einzelnen Bundesländern haben Schwächen. So wird etwa in jedem Bundesland die gleiche Menge an verschwendeten Lebensmitteln pro Kopf unterstellt. In vielen Bereichen basieren Annahmen auf der bereits 2015 veröffentlichten WWF-Studie "Das große Wegschmeißen". Die wesentlichen Kennziffern stehen jedoch nicht im Widerspruch zu Studien, die das Bundeslandwirtschaftsministerium beauftragt hat. Zwar spricht man in Berlin von insgesamt 11 Millionen Tonnen verschwendeter Lebensmittel, basierend auf einer Studie der Universität Stuttgart von 2012. Allerdings fehlen darin die Verluste, die in der Landwirtschaft entstehen. Erfasst wurden nur Privathaushalte, Industrie, Handel und Großverbraucher. Dies erkläre die Diskrepanz, heißt es beim WWF, der allerdings in allen Werten leicht über den Annahmen des Ministeriums liegt und das mit der Methodik begründet.

12 Milliarden Menschen könnten mit den weltweit produzierten Lebensmitteln ernährt werden, erklärt die Chefin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, den größeren Zusammenhang. "Wir wissen, dass ein Drittel dieser weltweit produzierten Lebensmittel vernichtet wird und verschwendet wird." Dafür werde Boden in Anspruch genommen und Wasser, außerdem CO2 ausgestoßen.

Anschaulich wird Dieckmanns Befund durch eine Studie an der US-Universität Vermont. Sie stellt die etwa 90 Kilogramm "Lebensmittelverluste" eines jeden Verbrauchers in Deutschland fast in den Schatten. Etwa ein Pfund Lebensmittel - 422 Gramm - warfen US-Bürger zwischen 2007 und 2014 demnach durchschnittlich täglich weg - über 150 Kilogramm pro Jahr. Etwa 354.000 Tonnen Pestizide und mehr als 816.000 Tonnen stickstoffhaltiger Dünger würden daher in den USA pro Jahr umsonst verwendet. Eine globale Strategie ist nicht in Aussicht.

Quelle: ntv.de, Oliver Beckhoff, dpa

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