Jugendbanden kontra Polizei "Verlorene Stadtteile" in Berlin?
13.01.2008, 10:44 UhrDie Glitzerwelt des Potsdamer Platzes ist fast noch in Sichtweite, doch die Potsdamer Straße nebenan im Berliner Stadtteil Schöneberg strahlt keinen Glanz aus. Der Verkehr dröhnt vorbei an greller Sexshop-Reklame, kleine Läden verkaufen billige Döner, ein riesiger Wohnblock - übersät von Satellitenschüsseln - dominiert die Straße. Junge Männer mit Schirmmützen lehnen gelangweilt an Hausecken. Unweit von Konzerthäusern und Luxushotels liegt einer von mehreren angeblich "verlorenen Stadtteilen" der Metropole.
Das meint zumindest der Berliner Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg. Mit seiner bewussten Provokation hat er ein unbequemes Thema auf die Tagesordnung gebracht: Immer öfter akzeptieren Jugendbanden die Polizei nicht mehr in ihrem "Kiez". Neben Moabit, ein Ortsteil von Mitte, Teile von Wedding, Kreuzberg, Neukölln sowie Marzahn und Hellersdorf im Osten der Stadt zählt Schönberg zu den Quartieren, in die sich Streifenbeamte nicht mehr hineintrauten, weil dort gewaltbereite Jugendliche ohne Respekt vor der Polizei lauerten.
Als Polizist von Jugendlichen umringt
Scharfe Kritik an dieser Aussage folgte prompt. Doch in den Vierteln ist zu hören, dass es die Beamten tatsächlich immer schwerer haben mit den Jugendbanden. Beispiel Neukölln: "Wenn ich in der Gropiusstadt Personalien überprüfe, bin ich sofort umringt von 10 bis 15 Jugendlichen", berichtet Polizeioberkommissar Pascal Klotz (Name auf Wunsch geändert). "Dann heißt es gleich: 'Ey, was willst Du? Lass meinen Kumpel los!'"
Erst werde geschubst, dann drohten 15-Jährige mit Messern und Totschlägern, berichtet der 39-jährige Beamte. Seit 16 Jahren geht der sportliche 1,90-Meter-Mann in Neukölln und Kreuzberg auf Streife, doch seit einigen Jahren spürt er zunehmend Gegenwind. "Die Polizei ist gerade bei Arabern ein echtes Feindbild", meint Klotz. "Da geht man schon mit einem mulmigen Bauchgefühl an die Jugendlichen heran." Oft fordere er schon vorsorglich Verstärkung an.
Von "verloren" kann keine Rede sein
Beispiel Wedding: Dort wurden im vergangenen Jahr mehrmals Beamte gezielt angegriffen. In einem Fall rotteten sich in Windeseile 30 junge Männer zusammen, um einen Festgenommenen zu befreien. Als Beamte zwischen die Fronten eines Krachs zweier Familien gerieten, bekamen sie es gleich mit mehr als 100 Gegnern zu tun. "Die Polizei ist da nicht mehr der Freund und Helfer", sagt Heinz Lochner, Stadtteilmanager aus der nahen Ackerstraße. Auch er wählt das Wort "Feindbild". Von einem "verlorenen Stadtteil" will er deshalb aber nicht sprechen.
Ebenso wenig die Politik: "Abenteuerlicher Quatsch", befindet der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). "Völlig überzogen", meint die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Und Polizeipräsident Dieter Glietsch hält die These für "absolut unverständlich". Seine Leute trauten sich noch überall hin. Zudem bemüht sich die Polizei seit dem vergangenen Jahr, wieder mehr Beamte von der Wache auf die Straße zu bringen. Das ändert aber nichts an der wachsenden Gewaltbereitschaft Jugendlicher, die die Beamten seit längeren spüren.
"In Pariser Vororten ist es schlimmer"
Auch der Soziologe Hartmut Häußermann von der Berliner Humboldt-Universität meint, dass noch kein Quartier verloren sei. Zustände wie in manchen US-Großstädten oder Pariser Vororten seien noch weit weg. Häußermann sagt aber auch, dass es Viertel gibt, mit denen es weiter abwärts gehe, während die Staatsmacht noch immer zu wenig Gesicht zeige. Die Beamten hätten kaum noch Gelegenheit, als Helfer aufzutreten, sondern nur noch als Verfolger. "Dort erscheint der Polizist dann nur als jemand, von dem man nichts Gutes erwartet."
Von Burkhard Fraune, dpa
Quelle: ntv.de