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"Es stimmt alles nicht mehr" Warum Paare sich nach Jahrzehnten noch scheiden lassen

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Auch nach vielen Jahren kann in einer Beziehung das Gefühl entstehen, eingeengt zu sein.

Auch nach vielen Jahren kann in einer Beziehung das Gefühl entstehen, eingeengt zu sein.

(Foto: imago/Ikon Images)

Die Kinder sind aus dem Haus, der Renteneintritt steht bevor. Plötzlich wird vielen Menschen bewusst, dass sie sich auseinandergelebt haben. Die langjährige Beziehung wird zur Belastung. Eine Trennung nach 25 und mehr Jahren Ehe ist nicht einfach, kann aber auch eine große Befreiung sein.

Selbst nach 25 und mehr Jahren Ehe sind Paare nicht davor gefeit, sich noch scheiden zu lassen. Das zeigt auch die alljährliche Aufstellung des Statistischen Bundesamtes zur Entwicklung der Scheidungszahlen. Knapp 17 Prozent der Geschiedenen waren demnach 2023 mindestens im 25. Jahr verheiratet. 1997 wurden hingegen nur etwa zehn Prozent im Jahr ihrer Silberhochzeit oder danach richterlich getrennt.

Die Münchner Rechtsanwältin Renate Maltry hat immer wieder mit Paaren zu tun, die am Ende doch nicht der Tod scheidet, sondern ein Familiengericht. Die Gründe für diese späten Trennungen sind erstaunlich unspektakulär. "Lange Beziehungen scheitern daran, dass man sich einfach auseinanderlebt", sagt Maltry ntv.de. Die Umstände, unter denen den Partnern diese Entwicklung klar wird, können dabei sehr unterschiedlich sein. Häufig sei es aber so, dass es eine zeitliche Nähe zum Auszug der Kinder oder zum Renteneintritt eines Ehepartners gebe. "Dann entsteht eine Leere und dann merkt man oft erst, ob man sich noch was zu sagen hat oder nicht."

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Maltry, Fachanwältin für Familienrecht, hat über ihre Erfahrungen gemeinsam mit dem Psychologen Heinz-Günter Andersch-Sattler das Buch "Doch noch scheiden oder weiter leiden?" veröffentlicht. Sie sehe häufig, dass sich Menschen in oder jenseits der Lebensmitte fragten, was sie mit ihrem Leben noch wollen. "Das heißt bei vielen: Will ich das jetzt so weitermachen? Manche leiden in der Ehe, manche sind einsam oder einfach nicht glücklich."

Weltreise oder Seniorenheim?

Auch in langjährigen Partnerschaften können sich unterschiedliche Lebensvorstellungen entwickeln, einer möchte reisen, der andere sehnt sich nach ruhigen Zeiten mit den Enkeln. Auch Erkrankungen können eine Ehe belasten, das Verblassen der Gefühle oder ein spätes Coming-out können ebenso Gründe für eine Trennung sein. Bei einigen Paaren hat sich die Entfremdung über Jahre angebahnt, bei anderen geht es ganz schnell.

"Wenn eine schwere Krankheit auftaucht, wie Demenz oder Krebs, dann wird manchen Partnern oder Partnerinnen bewusst, dass es ja eigentlich alles schon nicht mehr stimmt." Es sei schwierig, sich vorzustellen, jemanden zu pflegen, dem man sich nicht mehr nahe und verbunden fühlt. Auch unterschiedliche Auffassungen, beispielsweise zur Corona-Politik, hätten Beziehungen belastet. "Wenn das eine gute Beziehung ist, dann kann ich darüber reden. Aber es kann auch ein Knackpunkt sein, dass ich sage: Nein, dann geht es gar nicht mehr."

Das Ergebnis ist in vielen Fällen das gleiche, eigentlich wollte man gemeinsam alt werden, nun will oder muss man sich unverhofft neu erfinden. Natürlich sei eine Trennung nach vielen Jahren nicht einfach, meint Maltry, aber "sie kann auch eine sehr große Befreiung sein".

Die erfahrene Juristin ist in zweiter Ehe verheiratet und betont, dass sie selbst in den späten Trennungen keine Katastrophe sieht, auch wenn sich das für viele Menschen zunächst so anfühlen mag. "Eine Katastrophe machen manche Menschen daraus, mit Drama und Rosenkrieg. Aber ich kann ja auch gut auseinandergehen und einfach akzeptieren, dass jeder seinen eigenen Weg geht", sagt Maltry. "Diese Hass-Ehen, die es früher gab, in denen die Partner immer zusammengeblieben sind und sich beschimpft haben bis zum Lebensende, die gibt es jetzt einfach nicht mehr."

Erbe von Eltern und Großeltern

Leicht fällt diese Entscheidung trotzdem nicht. Manche stellen ihr ganzes Leben und auch die Beziehung grundsätzlich infrage. Es wird oft zurückgeschaut, wie ist diese Ehe eigentlich mal zustande gekommen? Wie hat man bisher miteinander gelebt? Welche Kompromisse hat man gemacht und warum? Maltry empfiehlt den Menschen, die zu ihr kommen, deshalb auch eine innere Auseinandersetzung mit der Trennung. Das kann in Paargesprächen, Paar- oder Einzeltherapie geschehen. Schon 1986 gründete sie den Verein TuSch (Trennung und Scheidung - Frauen für Frauen), der Frauen bei Trennungen und Scheidungen berät und psychologisch unterstützt. "Wir sind verfangen in unseren Familiengeschichten, in dem, was uns unsere Mütter, Großmütter, Väter und Großväter vorgelebt haben. Zu verstehen, warum bin ich so und warum habe ich mir diesen Mann oder diese Frau ausgesucht, warum war unsere Ehe so, und dann aus diesem System ausbrechen zu können, kann eine große Befreiung sein."

Ein wesentlicher Punkt bei den Trennungen um die 60 ist die steigende Lebenserwartung, die vielen Menschen dann noch 20 bis 30 Jahre Lebenszeit beschert. Diese Zeit wollen die meisten in einer liebevollen Beziehung oder vielleicht auch ohne Paarbeziehung verbringen. Das betreffe Männer und Frauen tatsächlich gleichermaßen, lediglich mit dem Unterschied, dass die Männer häufig die finanzielle und Frauen meist die emotionale Versorgungsrolle leid sind.

Wenn der Scheidungswunsch immer konkreter wird, rät die Anwältin auf jeden Fall dazu, sich beraten zu lassen. Juristisch gehe es bei den späten Scheidungen oft um andere Dinge als bei deutlich jüngeren Paaren. Die Kinder sind meist aus dem Haus und stehen auf eigenen Beinen, stattdessen müssen das gemeinsam erwirtschaftete Vermögen oder die Renten eines ganzen Arbeitslebens aufgeteilt werden. "Die wichtigsten Fragen sind die Versorgung und der Unterhalt, vor allem, wenn es eine Einverdiener-Ehe war", sagt Maltry. Wie viel es zu verteilen gibt, ist nicht unbedingt ein Indiz dafür, wie einvernehmlich die Trennung verläuft. "Bei manchen Paaren ist es schwieriger, wenn was da ist, als wenn nichts da ist", sagt Maltry aus Erfahrung. Wenn keiner etwas habe, würden die Rentenansprüche aufgeteilt, dann sei die Sache erledigt. Bei diesen Paaren stelle sich eher die Frage, wer in der Wohnung bleiben könne. "Ich kämpfe immer darum, dass meine Mandantinnen oder Mandanten nach der Scheidung auch leben und wohnen können."

Manchmal zeigten sich dann auch die Schattenseiten eines Menschen, mit dem man bereits viele Jahre verbracht hat. Viele suchten aber sehr aufrichtig nach guten Lösungen, wie es für beide nach dem Ende der Ehe weitergehen kann, ist Maltrys Eindruck.

In Maltrys Buch sind die meisten Menschen nach der Trennung mit ihren neuen Lebensumständen durchaus zufrieden. "Es soll ein Mutmacherbuch sein", sagt die Juristin, die darin keinesfalls eine Absage an Liebe und Ehe sehen will. Mitte 50, Ende 60 oder sogar in den 70ern, es könne immer passieren, dass man sich neu verliebt. Sie nennt es das Glück jenseits der Angst und der Trennungsarbeit.

Quelle: ntv.de

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