Leben

Gehen, um zu überleben Das Leid der Beziehungs-Ausbrecher

Viele Getrennte fühlen sich innerlich tot, bevor sie sich zur Trennung entschließen.

Viele Getrennte fühlen sich innerlich tot, bevor sie sich zur Trennung entschließen.

(Foto: imago images / Panthermedia)

Jemand wird verlassen und leidet darunter. Voller Mitgefühl wird auf diesen Verlassenen geschaut. Was aber ist mit dem, der geht? Dieser Partner hat sich oft jahrelang bemüht und fürchtete um sich selbst. Nun ist er voller Zweifel, Trauer und Schuldgefühle.

Es kommt eher selten vor, dass sich zwei Partner gemeinsam an den Tisch setzen, sich in die Augen sehen und sagen: Es ist vorbei. Sehr viel häufiger packt einer seine Sachen und verlässt den anderen. Über den, der zurückbleibt, werden Popsongs geschrieben und wehmütig-romantische Filme gedreht. Aber was ist mit dem, der geht?

"Die Geschichten derjenigen, die gehen, sind bisher unerzählt geblieben", sagt die norwegische Psychologin und Paartherapeutin Sissel Gran n-tv.de. Sie hat über Menschen ein Buch geschrieben, die ihre Partner verlassen, weil sie ihr Leben zurückhaben wollen. Gran nennt sie "Ausbrechende", weil es für diese Menschen tatsächlich um die eigene Existenz geht.

Die Beziehung erweist sich für sie als zunehmend lebensbedrohlich. Nicht weil der Partner gewalttätig ist oder in irgendeiner Weise schlecht, sondern weil sich die eigene Identität in der Partnerschaft zunehmend auflöst. "Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben mir von einem Gefühl des Erstickens, Verschwindens berichtet", erzählt Gran. "Sie alle nutzen starke Bilder für die totale Einsamkeit, sie erkennen sich selbst nicht mehr wieder. Der Schritt aus der Beziehung heraus ist der verzweifelte Versuch, sich selbst zu retten."

Ende eines Weges

Dem eigentlichen Weggehen geht eine lange Zeit des Abschieds voraus. Nach außen wirken diese Paare oft sogar glücklich und zufrieden miteinander. Doch tatsächlich ist einer der Partner mehr daran interessiert, die Beziehung weiter zu entwickeln, während der andere sich in den gegebenen Umständen einrichtet und Veränderungen ablehnt. Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen, die nach dem gleichen Schema ablaufen.

In den beinahe 40 Jahren ihrer paartherapeutischen Praxis hat Gran die Erfahrung gemacht, dass es oft die Frauen sind, die in heterosexuellen Beziehungen ihre Männer verzweifelt um Austausch bitten. Sie wollen mehr sprechen und sich auf diese Weise mit dem Partner immer wieder neu verbinden. Das kann sich in ständigem Nörgeln, sarkastischen Bemerkungen oder tränenreichen Vorträgen äußern. Die Männer hingegen fliehen regelrecht, um genau diesen Bedürfnissen aus dem Weg zu gehen. Sie verlassen die Wohnung, um viel zu arbeiten oder Sport zu treiben oder sie versenken sich in ihren Computer. Dieses Muster erweist sich auf längere Sicht als extrem zerstörerisch.

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Der erhoffte Austausch, die angestrebte Bindung kommen nicht zustande. Das "Gesetz der Liebe", wie Gran es nennt, wird immer wieder verletzt. Dabei gebe es nur zwei einfache Regeln, die man beherzigen muss. "Regel Nummer eins ist Verbundenheit: Ich möchte, dass du mich hältst, mein sicherer Ort bist. Regel Nummer zwei betrifft die Identität: Du sollst mich sehen und wertschätzen und mein Lebenszeuge sein." An diesen beiden Punkten entscheidet sich nach Erfahrung der Paartherapeutin langfristig der Bestand einer Partnerschaft. "Wenn das immer wieder verletzt wird, ist der Partner eben nicht der sichere Ort und es kümmert ihn nicht, wer du bist. Wenn du der Person nicht mehr vertrauen kannst, der du dein Herz geschenkt hast, ist das sehr beängstigend."

Der Partner, der nicht gehört wird, wird zunächst ungeduldig, dann ärgerlich, schließlich verzweifelt und irgendwann traurig. "Menschen, die ihre Partner verlassen, haben vorher alles versucht. Sie waren geduldig und voller Hoffnung, sie haben versucht, sich ihrem Partner verständlich zu machen, und sind immer wieder gescheitert. Irgendwann ist etwas in ihnen zerbrochen, es gibt diesen Punkt ohne Wiederkehr, sie haben aufgegeben."

Trauer und Schuldgefühle

Alle Hoffnung, aller Veränderungswille sind aufgebraucht, für die Beziehung ist es einfach zu spät. Selbst die Trauerarbeit über das, was das Paar gemeinsam hatte, ist häufig schon weitgehend abgeschlossen, wenn der Partner schließlich geht. Die Person, die verlassen wird, ist darauf hingegen meist überhaupt nicht vorbereitet. Auch wenn der Mensch, der geht, es deutlich angekündigt hat. "Tragischerweise verstehen Partner, um die man sich viele Jahre lang immer wieder bemüht hat, plötzlich, dass sie etwas tun müssten", beobachtet Gran. "Aber für den anderen ist es zu spät, er ist längst völlig ausgebrannt."

Die Trennung ist dann wie ein Befreiungsakt, aber keiner, der ohne heftige Schmerzen abgeht. Der Verlassende wird von Freunden oder der Familie häufig als schlecht, grausam oder selbstsüchtig angesehen. Das verstärkt möglicherweise schon vorhandene eigene Schuldgefühle. "Es ist normal, sich schuldig zu fühlen", versucht Gran ihren Klienten zu sagen, die mit diesen Gefühlen hadern. "Es kann einem auch leidtun für die Person, die man verlässt. Man kann sogar immer noch Liebe für diese Person empfinden." Es sei wirklich komplex, eine bestehende emotionale Bindung aufzulösen. "Du hast diesen Menschen geliebt, es ist wirklich schwer, ihn zu verletzen. Es ist schmerzhaft, den Schmerz des anderen zu sehen." Da sei Schuld kein so merkwürdiges Gefühl.

Die meisten der Menschen, mit denen Gran für ihr Buch gesprochen hat, sind nach der Trennung wieder in neuen Beziehungen. Jeder der Getrennten nimmt in sein weiteres Leben eine eigene Version der vorhergehenden Beziehung mit. Gran schreibt: "Die Auflösung einer Paarbeziehung ist eine persönliche Krisen- und Verlustsituation, ein schmerzhafter und unübersichtlicher Prozess, bei dem die Beteiligten überwältigt werden und sich vielleicht lange damit abmühen müssen, die Dinge psychisch und emotional einzuordnen."

Wer sich die Arbeit macht, für die zurückliegende Beziehung "Grabpflege" zu betreiben, verkraftet die Trennung besser, als derjenige, der das vermeidet - unabhängig davon, ob man verlassen wird oder geht. Im Idealfall gelingt es, eine "hassfreie Geschichte über die Auflösung der Beziehung" zu erzählen und das zurückgelassene Wir in einem sicheren Raum zu schützen. Möglicherweise wird es dann auch weniger wichtig, wer die Beziehung beendet hat. Gran hat für sich selbst entschieden, nicht schlecht über Paarbeziehungen zu denken, deren Teil sie einmal war. "Ich lasse sie in Ruhe. Sie sind ein Teil von mir und so soll es sein."

Quelle: ntv.de

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