Aus der Schmoll-Ecke Was wirklich ätzend ist an Superreichen (und Easyjet)


Elon Musk hatte etwas mehr Startkapital, hat aber auch kein Haus am Comer See.
(Foto: picture alliance / abaca)
Unser Kolumnist hat das Pech, nur in untergehenden Branchen zu werkeln. Weil alles teurer wird, muss er immer mehr für seinen Lebensunterhalt arbeiten. Derweil wartet er, dass sich sein Tagtraum erfüllt. Denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Wenn Sie das lesen, vielleicht während Ihr Kind auf einer Spiel- und Aktionsfläche aus Ärger über die gesperrte, da immer noch nicht reparierte Rutsche heult, vom Spross eines Clan-Bosses "Kartoffel" genannt wird oder aus Versehen in die Kacke eines Hundes oder die gebrauchte Spritze eines Drogenabhängigen gegriffen hat, dann arbeite ich. Wenn Sie Torben-Oliver oder Lisa-Marie trösten und erklären, dass die Stadt sparen muss, das Clan-Mitglied und sein Zögling rassistische Erfahrungen auf ihre eigene Art verarbeiten, Hunde auch mal müssen und drogenabhängige Menschen wie wir alle sind, arbeite ich.
Und während Sie daheim oder im Café Ihrem Partner, Ihrer Freundin oder wem auch immer erklären, dass Sie, weil Sie weiter zu den Guten gehören wollen, ab sofort nicht mehr "Spielplatz", sondern "Spiel- und Aktionsfläche" sagen, um dem erweiterten Inklusionsgedanken und der Diversität der BürgerSTERNCHENinnen im Rahmen ihres Alters, ihrer kulturellen Hintergründe und möglicher Behinderungen Rechnung zu tragen und sich dafür zumindest im Stillen auf die Schulter hauen, dass Sie zu jenen gehören, die die Welt durch Sprache besser machen wollen - auch dann arbeite ich.
Nicht mehr ganz jung, braucht das Geld
Ja, ich arbeite sehr, sehr viel. Ich habe gerade jede Menge zu tun, was gewissermaßen für meinen beruflichen Erfolg spricht. Das ist indes nur ein Teil der Wahrheit. Der andere geht so: Ich brauche das Geld. Denn das Leben ist teuer geworden. Und ich muss immer mehr werkeln, um das zu verdienen, was ich für Essen, die stets steigende Miete, Telefon, Gebühren, Benzin und diverse Versicherungen benötige. Obendrein habe ich das Pech, aus der Ostzone zu stammen, rein gar nichts von meinen Eltern geerbt zu haben, im Gegenteil war meine Mutter am Ende ihres langen Lebens ein familiäres Zuschussprojekt: Das Seniorenheim, in dem sie ihre letzten Monate verbrachte, kostete mehr, als sie Rente erhielt, die alles andere als gering war. So zahlten meine Schwester und ich dazu. Haben wir gern gemacht.
Die ewige Schufterei zehrt mich zunehmend aus. Allerdings - es ist mehr als ein Trost - liebe ich das, was ich tue; so was wie Burn-out-Gefahr existiert für mich nicht. Es ist eher so, dass ich depressive Zustände kriege, wenn es nicht läuft. Denn dann übermannt mich - darf man "übermannen" noch sagen oder ist das nicht geschlechtersensibel? - die diffuse Angst, finanziell abzuschmieren. Ich vermute, ich bin nicht der einzige Mensch, dem es so geht in diesen Zeiten, in denen immer noch haufenweise Leute, die es sich leisten können, Tag für Tag Angela Merkel als halbgöttliche Lichtgestalt anbeten, obwohl sie uns maßgeblich die Suppe eingebrockt hat, die wir jetzt kollektiv auslöffeln müssen.
Zu viele Superreiche?
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Schlecht geht es weder uns noch mir. "In Deutschland wächst die Zahl der Superreichen rasant - 3900 Menschen besitzen nun fast ein Drittel des gesamten Finanzvermögens. Nur zwei Länder der Welt haben noch mehr Superreiche als Deutschland", las ich kürzlich bei Tagesschau.de, wobei hier der Hinweis an die Kollegen erlaubt sei, dass "rasant" und "nur" Wertungen sind, die eine gewisse Wertung oder Haltung durchschimmern lassen. Man könnte schließlich auch sagen, "leider" haben zwei Länder noch mehr Superreiche und - etwa aus meiner Sicht -, dass die Zahl "schleppend" und keineswegs rasant wächst. Denn wissen Sie, was das wirklich Ätzende an den Superreichen ist? Dass ich nicht zu ihnen gehöre. Das bedauere ich, wann immer ich solche Nachrichten lese.
Meine Chancen, superreich oder wenigstens reich zu werden, liegen nahe null, wenn nicht im Minusbereich. Ich verdiene mein Geld in zwei untergehenden Branchen: im Journalismus und am Buchmarkt. Echt schwierig, sage ich Ihnen. Mein Tagtraum geht daher so: Ein Mann in nicht mehr ganz jungen Jahren und nicht mehr ganz neuem Anzug klingelt bei mir, ich öffne und er berichtet von Nachforschungen, mit dem Ergebnis, mich und meine Schwester gefunden zu haben. Dann verkündet er die furchtbar traurige Nachricht: Unser uns bis soeben unbekannter Verwandter ist verstorben und hat uns seine Millionen und seine Villa auf einer Trauminsel vermacht. Ich würde vor Glück heulen und dem unbekannten Toten posthum danken.
Dann würde ich, falls meine Schwester nicht umziehen will, die Hütte auf der Trauminsel verhökern, mir von dem Geld ein Häuslein am Comer See kaufen, nie mehr arbeiten, keine Nachrichten mehr schauen, endlich mal wieder die "Buddenbrooks" und den "Zauberberg" lesen, joggen gehen, wunderbaren Wein trinken, viel reisen und ansonsten sorgenfrei die Resttage meines Lebens genießen. Ich muss nicht zwingend gegen Honorar das Internet vollmachen und Mails dieser Art bekommen: "Behalten Sie Ihre dummen Weisheiten für sich. Durch solche Kommentare werden nur Rechtsextremisten gestärkt."
Nächstes Ziel: Nie mehr Easyjet
"Dumme Weisheiten" ist lustig. Wäre ich weise, hätte ich vor 20 Jahren die richtigen Entscheidungen getroffen, würde ich zu den Reichen oder Superreichen gehören und müsste nicht sparen. Ich gehe kaum noch ins Restaurant und kaufe nur noch selten gute Weine, sondern trinke meine Sammlung leer. Allein beim Reisen - ich bin beruflich und privat recht viel mit Flieger, Bahn und Auto unterwegs - trete ich noch (!) nicht kürzer, auch wenn ich mir bestimmte Hotels schon jetzt nicht mehr leisten kann, die ich noch vor zwei oder drei Jahren gebucht habe. Das ist kein Jammern, darauf lege ich großen Wert. Es ist eine Zustandsbeschreibung. Denn ich bin alles in allem ein glücklicher und zufriedener Mensch.
Falls mir Easyjet nicht den Tag versaut. Vor gar nicht langer Zeit cancelte die Airline einen Flug nach Neapel in der Nacht ungefähr acht Stunden vor dem Abflug. Das hat mich extrem frustriert, weil ich alles umkrempeln musste, was mich kostbare Lebenszeit und Geld gekostet hat. Man bot mir alternativ Flüge über London oder Kreta nach Neapel an, ich wäre den ganzen Tag unterwegs gewesen, von der Sinnhaftigkeit ganz zu schweigen. Ich dachte: Geht's noch?!
Den Mietwagen für gut 200 Euro konnte ich nicht mehr stornieren. Das Hotel war kulant und ließ mich kostenfrei umbuchen. Auch Easyjet musste meiner Bitte nachkommen, da ich Vielflieger war. Während ich in Italien weilte, erhielt ich die Nachricht: "Nach unserer letzten Überprüfung ist Ihre Flight Club-Mitgliedschaft leider abgelaufen." Besten Dank aber auch. Ich schwöre, wenn mein mir unbekannter schwerreicher Verwandter stirbt, ich erbe und doch noch heirate, dann feiere ich groß in Venedig. Und wehe, ein einziger Gast kommt mit Easyjet geflogen.
Quelle: ntv.de