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Fragen und Antworten Wie viele Patienten ermordete Niels H.?

Niels H., der Todespfleger von Oldenburg und Delmenhorst, ist verantwortlich für den Tod von mindestens 90 Menschen.

Niels H., der Todespfleger von Oldenburg und Delmenhorst, ist verantwortlich für den Tod von mindestens 90 Menschen.

(Foto: REUTERS)

Der verurteilte Mörder Niels H. hat Dutzende weitere Menschen auf dem Gewissen. Insgesamt können ihm 90 Mordtaten sicher nachgewiesen werden. Kommen noch weitere hinzu? Und wieso wurde die Mordserie erst jetzt so umfassend aufgerollt?

Niels H. gilt als einer der schlimmsten Serienmörder in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Statt die ihm anvertrauten Patienten gesund zu pflegen, tötete er sie. Er spritzte ihnen Medikamente, die Kreislaufkollaps oder Herzversagen auslösten - und belebte sie dann wieder. Doch das gelang nicht immer. Wegen sechs Taten sitzt der Ex-Pfleger bereits wegen Mordes und Mordversuchs lebenslang hinter Gittern. Wie viele Patienten er auf dem Gewissen hat, versuchen Ermittler seit fast drei Jahren zu klären. Nun haben sie Bilanz gezogen - und die Zahl der Todesfälle, für die der heute 40-Jährige verantwortlich sein soll, bekanntgegeben.

Was legen die Ermittler Niels H. zu Last?

Nach jüngsten Erkenntnissen soll H. über Jahre hinweg mindestens 90 Intensivpatienten getötet haben. Nach Hinweisen auf zahlreiche weitere Taten hatte eine Sonderkommission alle alten Sterbefälle analysiert und weit mehr als hundert verstorbene Patienten exhumiert. Nach aktuellem Stand ließen sich H. 84 weitere Mordtaten derart sicher nachweisen, dass eine Anklage wahrscheinlich sei, sagte Oldenburgs Polizeipräsident Johann Kühme.

Wo und wie mordete Niels H. ?

Die Taten beging H. an zwei Krankenhäusern in Delmenhorst und Oldenburg, wo er zwischen 1999 und 2005 auf Intensivstationen arbeitete. Dort verabreichte er Patienten Medikamente, die zu Herz-Kreislauf-Stillständen führten, um sie danach zu reanimieren. Viele von ihnen starben.

Was war sein Motiv?

Niels H. sagte vor Gericht, das Töten sei für ihn wie eine Sucht gewesen. Die Entscheidung dafür fiel meist spontan. Hatte er ein geeignetes Opfer ausgemacht, war es eine Sache von Minuten. Er spritzte den Patienten 30 bis 40 Milliliter eines Herzmedikaments, wartete, bis sich ein Kreislaufkollaps oder eine andere Krise abzeichnete und verließ dann schnell das Zimmer. Wenn kurz darauf der Alarm losging, eilte er zurück. Bei der Wiederbelebung kam H. dann als "Rettungs-Rambo" zum Einsatz. So lautete sein Spitzname unter den Kollegen.

Wenn er bei Reanimationen den starken Retter spielen konnte, fühlte er sich tagelang gut, wie er vor Gericht aussagte. Kollegen beschrieben H. vor Gericht als zupackend und hilfsbereit. Doch es gab auch Gerede, weil sich Niels H. in kritischen Situationen gerne in den Vordergrund spielte und auffällig viele Patienten während seiner Schichten starben.

Könnten noch mehr Opfer dazukommen?

Ja. Bei 41 Toten stehen die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung noch aus. Die tatsächliche Zahl der Verbrechen von H. liegt ziemlich sicher um ein Vielfaches höher. "Die Morde, die wir belegen können, sind nur die Spitze des Eisberges", sagt Soko-Leiter Arne Schmidt. Allein am Klinikum Delmenhorst seien mehr als 130 Patienten, die während einer Schicht von Niels H. starben, eingeäschert worden. Ein Nachweis sei bei ihnen nicht mehr möglich.

Wie flog Niels H. auf?

Konkrete Hinweise, dass der Pfleger Patienten tötete, gab es nach Ansicht der Ermittler an beiden Kliniken. Doch erst als eine Kollegin Niels H. 2005 auf der Delmenhorster Intensivstation auf frischer Tat erwischte, nahmen die Morde ein Ende. H. ist bereits wegen sechs Morden und Mordversuchen verurteilt und verbüßt bereits eine lebenslange Haftstrafe.

Der frühere Stationsleiter und zwei Oberärzte vom Klinikum Delmenhorst werden sich demnächst wegen Tötung durch Unterlassen vor Gericht verantworten müssen. Gegen Verantwortliche am Oldenburger Klinikum laufen die Ermittlungen noch.

Wieso haben die Ermittler die Mordserie erst jetzt so umfassend aufgerollt?

Versäumnisse musste auch die Staatsanwaltschaft eingestehen. Obwohl es nach dem ersten Urteil Beweise gab, dass deutlich mehr Todesfälle auf das Konto von Niels H. gehen, kam es zu keiner neuen Anklage. Das passierte erst Jahre später, nachdem Angehörige der Opfer nicht locker gelassen und eine andere Oberstaatsanwältin den Fall übernommen hatte. Der damals zuständige Oberstaatsanwalt wurde später angeklagt, weil er die Ermittlungen verschleppt haben soll. Zum Prozess kam es aber nicht.

Wie gingen die Ermittler vor?

Die 15-köpfige Soko "Kardio" hat mehr als 200 Verdachtsfälle während und unmittelbar nach der Dienstzeit von Niels H. in Delmenhorst, Oldenburg und an anderen früheren Arbeitsstellen untersucht.Hunderte Patientenakten werteten die Ermittler aus. Die Ermittler haben 134 Exhumierungen auf 67 Friedhöfen durchgeführt. Die Leichen wurden auf Rückstände von Herzmedikamenten getestet. Außerdem haben die Ermittler Niels H. mehrmals im Gefängnis verhört.

Wie geht es weiter für Niels H.?

Mit dem Nachweis der weiteren 84 Opfer, 48 davon in Delmenhorst und 36 in Oldenburg, und dem Abschluss der Ermittlungen soll Niels H. noch einmal vor Gericht. Eine Klage will Oberstaatsanwältin Schiereck-Bohlemann bis Ende dieses Jahres oder Anfang des nächsten Jahres einreichen. Geht es nach ihr, soll H. sich in allen 84 Fällen wegen Mordes verantworten müssen. Ob der Klage stattgegeben wird und wann verhandelt wird, liegt beim Landgericht Oldenburg. Am Strafmaß wird ein neues Urteil jedoch nichts ändern. In Deutschland kann man nur einmal zu lebenslanger Haft verurteilt werden.

Quelle: ntv.de, dsi/dpa

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