Politik

Wie konsensfähig sind die Grünen? "Angst bringt keine Ergebnisse"

Dieter Janecek stellt sich mit einem Antrag gegen die Abschaffung des  Asylbewerberleistungsgesetzes.

Dieter Janecek stellt sich mit einem Antrag gegen die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Grünen wollen das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. Dieter Janecek stellt sich mit einem Antrag dagegen, dann zieht er ihn kurz vor dem Parteitag zurück. Das habe aber nichts mit mangelnder Debattenkultur oder Konsensfähigkeit zu tun.

n-tv.de: Sie haben ihren Antrag, das Asylbewerberleistungsgesetz vorerst zu erhalten, kurz vor dem Parteitag zurückgezogen. War der Widerstand in der Partei zu groß?

Dieter Janecek: Die Diskussion wird sicher auch emotional geführt, aber daran lag es nicht. Ich halte es ja auch für richtig, Asylbewerber bei Jobsuche und Sozialleistungen gleichzustellen. Gleichzeitig wissen alle, dass eine Umstellung in einem überlasteten System bei der Masse an Menschen, die gerade zu uns kommen, nicht möglich ist. Das überfordert die Verwaltung und die Kommunen. Die Kosten wären unkalkulierbar. Das wollte ich mit meinem Antrag klarstellen. Der neu gefasste Antrag des Bundesvorstands geht darauf ein, das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz nun erst "perspektivisch" abschaffen zu wollen. Erste Priorität hat der unmittelbare Zugang zur ärztlicher Versorgung. Deswegen ist der Anlass für meinen Antrag entfallen.

Das klingt so, als hätte sich die Parteispitze ihrem Antrag angenähert, als trenne sie und den Rest der Grünen gar nicht viel. Warum dann Anfangs diese Entrüstung?

Die Fragen von Asyl und Menschenrechten sind grüne Identitätsthemen. Die ganze Flüchtlingsdebatte wird mit viel Emotionen geführt. Es wühlt die Menschen auf, Kinder zu sehen, die im Mittelmeer ertrinken oder eine CSU, die die Anschläge von Paris missbraucht, um gegen Menschen Stimmung zu machen, die vor Krieg und Vertreibung fliehen. Ich verstehe die Emotionen und Ängste. Aber gerade, wenn wir wirksam helfen wollen, tun wir Grünen gut daran, unsere Instrumente stets zu überprüfen – auch angesichts der begrenzten Ressourcen. Was nicht umsetzbar ist, muss man benennen dürfen. Das habe ich getan.

Der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer schrieb kürzlich in einem heftig umstrittenen Gastbeitrag, dass in der Partei ein sachlicher, konsensorientierter Dialog kaum noch möglich sei, weil nur noch in den Extremen "Willkommens-Teddy-Bären" und "Pegida-Galgen" gedacht werde. Hat er etwa recht?

Ich finde, er geriert sich da zu sehr als eine Stimme der Vernunft, die er in meinen Augen in dieser Frage nicht wirklich ist. Dabei leistet er in Tübingen doch Vorbildliches für die wirksame Integration von Flüchtlingen. Vor allem aber erweckt er leider den Eindruck, dass wir es nicht schaffen. Ich glaube im Gegenteil, wer soll es denn schaffen, wenn nicht wir? Aber natürlich beobachte auch ich eine große Ängstlichkeit in den Debatten. Diese Ängstlichkeit müssen wir ablegen. Mit Ängstlichkeit kommt man nicht zu guten Ideen und Ergebnissen.

In einem Dringlichkeitsantrag formuliert der Bundesvorstand harsche Kritik am Kurs der Großen Koalition, die irgendwie versucht, die Sache zu managen. Ist die Partei wirklich schon kompromissbereit genug, um es zu schaffen?

Kritik an der Großen Koalition ist richtig in den Fragen, wo sie von den humanitären Grundwerten abweicht. Da ist zum Beispiel die geplante Einschränkung des Familiennachzugs zu nennen. Mit einem christlichen Menschenbild, wie die Union es hochhält, ist dies nicht zu vereinbaren. Eine Einschränkung würde übrigens auch enorme Integrationsprobleme produzieren. Da müssen wir angreifen.

Beendet die Flüchtlingsdebatte Phantasien einer schwarzgrünen Regierung 2017?

Die Frage von Schwarz-Grün steht jetzt nicht an. Aber wer unsere Grundwerte infrage stellt, kann nicht damit rechnen, dass wir mit ihm regieren. Die Koalitionsentscheidung fällt sicher negativ aus, wenn die Union sich gegen den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel entscheidet.

Sie regten Änderungen des Kurses der Parteispitze nicht nur beim Thema Flüchtlinge an. Sie stellen in etwa so viele Änderungsanträge wie die Grüne Jugend. Was ist Ihnen besonders wichtig?

Ich möchte, dass wir uns bei der Familien- und Arbeitszeitpolitik stärker mit den lebensweltlichen Realitäten auseinandersetzen. Wie definieren wir einen neuen Begriff von Arbeit in einer Zeit, in der sich einerseits viele ausgebrannt fühlen, andererseits die Unternehmen aufgrund von Fachkräftemangel mehr denn je gezwungen sind, Arbeitnehmern flexible Angebote zu machen? Welche wirksamen Instrumente brauchen wir insbesondere, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können? Die im Leitantrag vorgeschlagene massive Ausweitung des Elterngelds halte ich für den falschen Weg. Es ist sozialpolitisch nicht geboten, dass wir zwischen fünf und sieben Milliarden Euro zusätzlich investieren, damit vor allem Akademiker-Eltern profitieren. Wir haben andere Schwerpunkte. So muss die Kita-Betreuung deutlich flexibler und bedarfsgerechter werden und Erzieherinnen und Erzieher ordentlich bezahlt werden.

Sie unterstützen auch den Antrag, nicht darauf zu beharren, 2030 vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Das klingt in etwa so brisant wie ihr Antrag zum Asylbewerberleistungsgesetz.

Die Energieversorgung mit Strom ist nur ein Teil der Energiewende, und zwar der kleinste. Die Erneuerbaren werden wachsen, es ist aber nicht entscheidend, ob wir 2030 genau 100 Prozent haben, denn gerade die letzten 20% sind besonders teuer. Wenn wir 80 Prozent hinbekommen, kann das auch in Ordnung sein. Viel wichtiger ist, Strategien in den Vordergrund zu stellen, wie wir auch bei Wärme und Mobilität vorankommen, denn sie zeichnen für mehr als 80% der CO2-Emissionen verantwortlich. Einige Grüne haben Angst, dass wir uns durch eine Abkehr von den 100 Prozent beim Strom bis 2030 von unseren ambitionierten Zielen verabschieden, aber diese Angst ist nun wirklich unbegründet.

Mit Dieter Janecek sprach Issio Ehrich

Quelle: ntv.de

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