Und Österreich rückt doch nach rechts Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
23.05.2016, 19:26 Uhr
Die Bundespräsidentenwahl hat FPÖ-Vize Norbert Hofer verloren - der Rechtsruck ist aber nicht vorbei.
(Foto: dpa)
Um 31.026 Stimmen schlägt der Grüne Van der Bellen in der Stichwahl um Österreichs Präsidentenamt den Rechtspopulisten Hofer. Trotzdem strotzen die Rechten vor Stärke. Taktisch gesehen könnte die Niederlage der FPÖ sogar nützen.
Mit ziemlich genau einem Tag Verspätung hat Österreich nun endlich einen neuen Präsidenten. Um 16.14 Uhr gestand der rechte Kandidat Norbert Hofer auf seiner Facebook-Seite die Niederlage ein, nur 31.206 Stimmen hatte er am Ende weniger als der Grüne Alexander Van der Bellen. Man kann darin einen großen Sieg des weltoffenen Conchita-Wurst-Österreichs gegen die österreichische Abteilung der europäischen Rechtspopulisten sehen – das würde allerdings ein falsches Bild von diesem Land zeichnen, und von den Erschütterungen, die ihm noch bevorstehen könnten.
Als sich gestern das Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnete, hatte Hofer gesagt: "Wer auch immer gewinnt, muss das Land einen." Das Problem ist nur: Beide haben ihren Wählern etwas anderes versprochen. Norbert Hofer warb für eine aktivere Rolle des Bundespräsidenten und kündigte an, notfalls die Regierung zu entlassen.
Und der neue Mann in der Hofburg, Alexander Van der Bellen, ist angetreten mit dem Versprechen, den FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nicht zu vereidigen, selbst wenn dessen Partei eine absolute Mehrheit haben sollte. Das klingt nicht nach Harmonie und einigender Kraft, das klingt nach Konflikt – in einem Land, das gerade auseinanderzudriften scheint. Und in dem ein stramm rechter Burschenschafter nur um ein paar zehntausend Stimmen nicht Präsident geworden ist.
Ein bisschen Gerüchte, ein bisschen Geraune
Schon am Wahlabend bastelte die FPÖ an ihrer Version ihrer Niederlage: Irgendetwas sei nicht mit rechten Dingen zugegangen, schrieb Parteiboss HC Strache auf Facebook. Dort, in den sozialen Medien, in den Kommentarspalten der Online-Newsseiten, tummeln sich die Wähler und Wählerinnen der Rechten. Sie misstrauen dem ORF, den Wahlbehörden, allem, was sie zum "Establishment" zählen. Da entsteht eine Parallelgesellschaft, die HC Strache glaubt, wenn er ungeprüft auf Facebook einen gefälschten Bericht teilt, laut dem in Wien-Döbling Asylbewerber einen Supermarkt "gestürmt" haben.
Diese Menschen glauben, dass nicht mehr sie im Mittelpunkt des Interesses der österreichischen Politiker stehen, sondern Migranten. Sie glauben, dass die EU nur für Regulierungswut, Abgaben und das verhasste TTIP-Abkommen steht. Aber: Diese Menschen sind nur ein Teil des Wählerpotenzials der FPÖ. Rund 12 Prozent der Hofer-Wähler stimmten für ihn, weil sie gegen einen angebliche "Islamisierung" sind, weitere 18 Prozent gaben an, dass der rechtsnationale Hofer ihre persönliche politische Einstellung widerspiegele. Und der Rest?
Die neue Partei der Mitte
Je nach Studie sind 70 bis 80 Prozent der Wähler in Österreich unzufrieden mit der Politik im Land. Jahrelange Blockadepolitik in der Großen Koalition und der jahrzehntelange Parteibuch-Klüngel von SPÖ und ÖVP haben die Bevölkerung systemmüde gemacht. Die beiden Großparteien haben die Zweite Republik nach 1945 unter sich aufgeteilt, diese Zeiten sind vorbei. Jörg Haider hat ab Mitte der 1980er Jahre daran gearbeitet, seine Partei als die einzige richtige Opposition zu positionieren. Diese Arbeit trägt nun – mal wieder – Früchte.
"Wir sind die neue Partei der Mitte", das hört man in diesen Tagen von vielen FPÖ-Granden, und es fällt schwer, ihnen zu widersprechen. Über 2,2 Millionen Österreicher haben ihr Kreuz hinter einem Kandidaten der Rechten gemacht, das ist tatsächlich eine Zeitenwende – und lässt die Freiheitlichen von Neuwahlen träumen. In aktuellen Umfragen liegen sie bei rund 33 Prozent, jeweils zehn Prozentpunkte vor SPÖ und ÖVP. Sie haben die Arbeiter hinter sich, viele Selbstständige, sogar Migranten aus den Balkanländern, die sich gegen muslimische Zuwanderung wehren.
Taktisch gesehen kommt diese sehr knappe Niederlage den Rechten sogar entgegen: Sie können die Opferrolle einnehmen, einen Teilerfolg bei den Wählern für sich verbuchen – und müssen nicht beweisen, dass sie ihre Versprechen auch halten. Ein Freiheitlicher in der Hofburg hätte auch Angst schüren können vor einer zu großen Dominanz der Rechten in der österreichischen Politik.
Stand jetzt könnte tatsächlich Heinz-Christian Strache Kanzler werden, nicht der erste Mann im Staat, aber der mächtigste. Nur nebenbei: Dann würde einer Kanzler, der in seiner Jugend enge Kontakte zu Neonazis pflegte, der seine Mitgliedschaft in der Burschenschaft noch 2004 so ernst nahm, dass er sich mit dem Säbel duellierte, der einen Teil der Wehrmachtsdeserteure für Mörder hält, offen gegen den Islam und die EU hetzt und eine Chemtrail-Verschwörung für möglich hält.
Ob ein Präsident Van der Bellen sein Versprechen halten könnte und HC Strache nicht vereidigt? Wahrscheinlich nur um den Preis neuerlicher Wahlen, mit ungewissem Ausgang.
Die Regierung hat es noch in der Hand
Die FPÖ dürfte den Wahlkampf schon morgen einläuten, auch wenn die nächsten Parlamentswahlen offiziell erst im Herbst 2018 anstehen. Einen Zusammenschluss aller Parteien gegen die FPÖ wird es dann nicht geben. Rund 40 Prozent der Van-der-Bellen-Wähler haben hauptsächlich für den Grünen gestimmt, um Norbert Hofer zu verhindern – dieses Bündnis gegen die Rechten zerfällt sofort wieder in seine Einzelteile.
Um die FPÖ am Griff nach der Macht zu hindern, braucht es schon einen Linksruck und den kann nach Lage der Dinge nur einer auslösen: Christian Kern, der neue Hoffnungsträger der Sozialdemokraten. Der Ad-hoc-Kanzler hat schon erklärt, dass er nur noch diese eine letzte Chance für die Große Koalition sieht. Schafft er es, zusammen mit der ÖVP ein paar Reformen anzuschieben, die Arbeitslosigkeit von ihrem Rekordniveau herunterzuholen und eine Aufbruchstimmung im Land zu verbreiten, dann wird die Zweite Republik zwar immer noch am Ende sein – aber die blaue Republik vielleicht nie Wirklichkeit werden.
Quelle: ntv.de