Stadt wird zum "Propagandafeld" Bautzener Stadtchef will mit Rechten reden
16.09.2016, 17:52 Uhr
Alkoholverbot und Ausgangssperre für junge Flüchtlinge in Bautzen - wie die Stadt auf die Zusammenstöße mit Fremdenfeinden reagiert, ist umstritten. Nun bietet der Oberbürgermeister Rechtsextremen Gespräche an.
Nach den gewalttätigen Ausschreitungen zwischen jungen Flüchtlingen und Rechtsextremen in Bautzen will Oberbürgermeister Alexander Ahrens (parteilos) auch mit Rechten reden. "Zu einem sachlichen Gespräch bin ich immer bereit", sagte das Stadtoberhaupt. Zuvor hatten rechte Gruppierungen ihre für diesen Freitag angekündigte Demonstration in Bautzen abgesagt.
Die Gruppierungen mit Namen wie "Nationale Front Bautzen" und "rechtes-kollektiv.BZ" verbreiteten nach den Ausschreitungen eine Erklärung. "Ab sofort werden wir Bautzens Politikern die Möglichkeit geben, Taten folgen zu lassen. Wir erwarten eine deutlich spürbare Verbesserung der Situation in unserer Stadt. Wir werden uns die Veränderungen anschauen und wöchentlich gemeinsam entscheiden, ob wir neu mobilisieren, oder ob die Veränderungen spürbar sind", hieß es darin.
Der Oberbürgermeister erwiderte: "Gerne können wir über Versäumnissen und Missstände sprechen, wobei ich diesen Themenkreis nicht auf die Verwaltung beschränkt sehen möchte. Es geht ausdrücklich auch um Missstände auf Seiten der Unterzeichner des Redeangebotes."
Regierung: Krawalle sind "unseres Landes nicht würdig"
Am Mittwochabend hatten sich auf dem zentralen Kornmarkt etwa 80 Fremdenfeinde und 20 Asylbewerber mit Flaschen und Steinen beworfen. Nach Darstellung der Polizei ging die Gewalt zunächst von den Flüchtlingen aus. Rechtsextreme vertrieben die Flüchtlinge und verfolgten sie bis zu ihrer Unterkunft, wo sie von der Polizei in Sicherheit gebracht wurden. Am Abend darauf versammelten sich laut Polizei etwa 350 Menschen in der Bautzener Innenstadt. Etliche waren augenscheinlich der rechten Szene zuzuordnen.
Die Polizei in Bautzen stellt sich auf weitere Einsätze in den nächsten Tagen ein. Es werde auch am Wochenende eine "hohe polizeiliche Präsenz" geben, um Krawalle zu verhindern. Für Sonntag rufen rechte Aktivisten aus Westdeutschland im Netz dazu auf, nach Bautzen zu kommen.
Die Bundesregierung verurteilte die Ausschreitungen. Sie seien "unseres Landes nicht würdig". In Deutschland sei kein Platz für derartige Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Extremismus, sagte Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. Sie fügte hinzu: "Ohne jetzt auf den konkreten Fall einzugehen, müssen wir natürlich dafür sorgen, dass die Gesetze sowohl von Flüchtlingen als auch von einheimischen Bürgern eingehalten werden."
"So haben die Nazis erreicht, was sie wollten"
Die knapp 30 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge hatten sich nach Polizeiangaben seit Monaten auf dem zentralen Kornmarkt - dem Ort der Auseinandersetzungen - versammelt und dort teils alkoholisiert für Unmut bei Anwohnern gesorgt. Für sie gelten nun seit Donnerstag ein Alkoholverbot und eine abendliche Ausgangssperre. Die als "störend Empfundenen" würden dadurch als Sündenböcke stigmatisiert, kritisierte die Linke-Landtagsfraktion. "So haben die Nazis erreicht, was sie wollten."
Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth hält die Ausgangssperre hingegen als "kurzfristige Maßnahme" für richtig, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. "Das ändert aber nichts daran, dass wir mittel- und langfristig Strategien entwickeln müssen, wie wir sozusagen die eine und die andere Seite zusammenkriegen", sagte der CDU-Mann bei SWR Info. Auf der rechtsextremen Seite gehe es um bildungs-, toleranz- und demokratieferne Schichten. "Diese Schichten müssen wir einbinden." Dafür gebe es aber kein Patentrezept.
Verwaltung und Zivilgesellschaft in Bautzen müssten sich jetzt in einer offenen Diskussion dem Problem stellen, forderte der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, im ZDF. "Sachsen hat ein vergleichsweise großes Rechtsextremismusproblem", meinte er. Es werde "auch nicht von heute auf morgen verschwinden".
Rechte instrumentalisieren Ausschreitungen
Die Rechten in Bautzen benutzen die Krawalle für ihre Zwecke, warnt Sachsens Vizeministerpräsident Martin Dulig. Sie hätten die Stadt "als ihr Propagandafeld entdeckt, um diese schwierige Situation für ihre Zwecke auszunutzen", sagte der Wirtschaftsminister. "Und sie schrecken auch vor Gewalt nicht zurück." Schon seit Wochen komme es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen rechtsextrem Gesinnten, besorgten Bürgern und Flüchtlingen auf dem Bautzener Kornmarkt.
"Mir ist völlig egal, wer angefangen hat", sagte SPD-Mann Dulig weiter. Niemand habe das Recht zur Selbstjustiz. "Jeder hat sich an unsere Gesetze zu halten - überall. Für Ordnung und Sicherheit sorgt die Polizei." Die Probleme mit jungen Flüchtlingen in Bautzen zeigten, dass Integration kein Selbstläufer sei. "Wir brauchen ausreichend Personal, um diese große Aufgabe zu lösen. Gerade geflüchtete Kinder und Jugendliche brauchen unsere besondere Hilfe."
Als Reaktion auf die Krawalle kündigte Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch eine intensivere Betreuung jugendlicher Asylbewerber an. "Sie sind entwurzelt. Wir müssen uns stärker mit ihnen auseinandersetzen und überlegen, welche Angebote und Integrationsmaßnahmen besser greifen", sagte die CDU-Politikerin. Die Ministerien für Wirtschaft, Kultur, Integration und Soziales müssten das gemeinsam bewältigen: "Wir brauchen passgenaue Konzepte." Zudem verurteilte Klepsch das Vorgehen aller Gewalttäter: "Das ist unentschuldbar."
Quelle: ntv.de, hul/dpa