Die DDR, zehn Morde und der NSU Beate Zschäpe lässt ihre Sicht erzählen
09.12.2015, 06:13 Uhr
Zschäpe am Tag vor ihrer Aussage.
(Foto: dpa)
Beate Zschäpe, 40 Jahre, ist Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess und mutmaßliche Rechtsterroristin. Doch wer ist die Frau, deren Aussage nun alle mit Spannung erwarten?
Beate Zschäpes Lebenslauf liest sich, als habe in diesem Leben einfach nur alles schiefgehen können. Als sie am 2. Januar 1975 geboren wird, ist sie kein Wunschkind. Ihre Mutter, die zu dieser Zeit in Bukarest Zahnmedizin studiert, soll die Schwangerschaft erst bemerkt haben, als im Heimaturlaub schon die Wehen einsetzten. Ihr Vater, wahrscheinlich ein rumänischer Studienkollege, erkennt die Vaterschaft bis zu seinem Tod im Jahr 2000 nicht an. Zschäpes Mutter überlässt die Tochter nach zwei Wochen der Oma, sie will ihren Studienplatz nicht gefährden. Später wird Zschäpe sagen, sie sei ein "Oma-Kind" gewesen.
Der forensische Psychiater Henning Saß vom Universitätsklinikum Aachen, der Zschäpe im Auftrag des Gerichts begutachtet, spricht von einem zerrütteten Mutter-Tochter-Verhältnis. Die Beziehungen der Mutter halten selten lange. Einen richtigen Vater bekommt Beate nicht. Immer wieder ziehen Mutter und Tochter in Jena und Umgebung um. Zschäpe wechselt in den ersten drei Lebensjahren dreimal den Nachnamen.
Den nächsten Bruch erlebt die Heranwachsende mit dem Untergang der DDR, die Mutter verliert den Job und kämpft zunehmend mit ihrer Alkoholsucht. Für den Teenager Beate mischt sich in die Unsicherheit der Pubertät das Gefühl, dass auf nichts wirklich Verlass ist. Sie will Kindergärtnerin werden, doch das klappt nicht. Also schlägt sie sich mit Hilfsarbeiten durch, macht dann schließlich noch eine Gärtnerlehre. Doch auch danach wechseln sich nur Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Gelegenheitsjobs ab.
Im Sog des Rechtsextremismus
Sie will dazugehören, zunächst bei einer eher links eingestellten Clique. Doch dann verliebt sie sich in den Professorensohn Uwe Mundlos. Gemeinsam geraten sie in den Dunstkreis der Neonazis, radikalisieren sich. Zschäpe verweigert sich zwar dem typischen Nazi-Look jener Jahre, trägt weder Bomberjacke und Springerstiefel noch die Haare raspelkurz. Eine Mitläuferin ist sie dennoch nicht. Sie meldet eine Demonstration "zur Bewahrung Thüringer Identität" an und ist an Übergriffen auf linke Jugendliche und vietnamesische Zigarettenverkäufer beteiligt.
Gemeinsam mit Mundlos, Uwe Böhnhardt, André K. und den nun mitangeklagten Ralf Wohlleben und Holger G. bildet sie die besonders radikale "Kameradschaft Jena", die Teil des Thüringer Heimatschutzes ist. Sie legen am Denkmal für die Opfer des Todesmarsches von Buchenwald eine Bombenattrappe nieder, werfen Eier auf das Mahnmal für die Opfer des Faschismus in Rudolstadt, nehmen an Kreuzverbrennungen nach dem Vorbild des Ku-Klux-Klan teil.
Mundlos muss zur Armee und Zschäpe kommt in dieser Zeit Böhnhardt näher. Doch alle drei arrangieren sich miteinander, Eifersucht soll angeblich keine Rolle gespielt haben. Die Zwickauer Nachbarn glauben, Zschäpe lebe mit ihrem Freund und dessen Bruder zusammen. Den drei jungen Leuten sei es gelungen, trotz wechselnder Intimbeziehungen eine funktionierende Dreiergruppe zu bilden, schreibt der Gutachter dazu. Mundlos hat nach ihr offenbar nie wieder eine andere Freundin.
Leben und Morden im Untergrund
Als nach einer Hausdurchsuchung im Jahr 1998 und dem damit verbundenen Ermittlungsverfahren wegen der Versendung von Briefbombenattrappen die Entscheidung fällt, unterzutauchen, gehen sie zu dritt. 23 Jahre ist Zschäpe damals alt. Der Staatsanwaltschaft zufolge übernimmt sie die "unverzichtbare Aufgabe", dem Leben des Trios den Anschein von Normalität und Legalität zu geben. Sie wäscht und kocht, sie kümmert sich um die Katzen, hält den Kontakt zu den Nachbarn, organisiert Urlaube.
Offenbar sucht sie aber auch Unterkünfte in der Nähe von Überfallzielen und Anschlagsorten, mietet einige der Campingmobile, die als Fluchtfahrzeuge dienen. Sie archiviert Artikel, in denen über die Morde berichtet wird. Auch deshalb ist sie nun als Mittäterin angeklagt.
Am 4. November 2011 bricht dieses mühsam organisierte Leben zusammen. Nach einem Banküberfall in Eisenach stellt die Polizei Böhnhardt und Mundlos in einem Wohnmobil, Mundlos tötet Böhnhardt, setzt das Fahrzeug in Brand und tötet sich selbst. Zschäpe erfährt davon und zündet die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße an, bevor sie selbst flüchtet. Wahrscheinlich verschickt sie die Bekennervideos, die die Gruppe vorbereitet hat. Nach mehreren Tagen, in denen sie sich auch mit Selbstmordgedanken getragen haben soll, stellt sie sich schließlich der Polizei.
Ihr Mund, seine Feder
Dort spricht sie noch mit den Beamten, um schließlich in Schweigen zu verfallen. Die letzten vier Jahre ihres Lebens hat sie in Untersuchungshaft verbracht, in den bisher zweieinhalb Jahren des NSU-Prozesses in München hat sie offiziell kein Wort gesprochen. Medienberichten zufolge ist die 40-Jährige inzwischen psychisch und physisch angeschlagen.
Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel hat angekündigt, sie wolle umfassend zu allen Anklagepunkten aussagen. Zschäpes ganzes Leben steht zur Debatte, von der schweren Kindheit über die rechtsradikale Jugend bis zu ihrer Verhaftung. Auch um die Morde des NSU soll es gehen, sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Die Morde werden nicht nur in ein, zwei Sätzen abgehandelt. Es wird in der Erklärung genau dargestellt, was sie von den Aktionen gewusst hat und was nicht." Die Worte, die er im Gerichtssaal verlesen wird, stammen demnach aus ihrem Mund und seiner Feder. Eineinhalb Stunden soll die Verlesung der Aussage dauern, viel Zeit, sich Zschäpes Persönlichkeit und ihrem mutmaßlichen Taten noch einmal neu anzunähern.
Quelle: ntv.de