Was darf Satire im Nahen Osten? "Bei Religion hört der Spaß auf"
17.01.2015, 07:20 Uhr
Der Großvater von Joseph Moukarzel gründete "Ad-Dabbour" in den 1920er Jahren.
(Foto: Juliane Metzker)
Auf den Putz zu hauen gehört für Ad-Dabbour ("Das Wespennest") zum Selbstverständnis wie für jede Satirezeitung. Doch ganz so einfach ist das in einem komplizierten Land wie dem Libanon nicht. Der Chefredakteur sprach mit n-tv.de über die Grenzen des Humors.
n-tv.de: Herr Moukarzel, seit wann gibt es das Satiremagazin Ad-Dabbour im Libanon?
Joseph Moukarzel: Ad-Dabbour hat eine lange Tradition im Libanon. Mein Großonkel Joseph Moukarzel gründete die Zeitung 1922. Das war kurz nachdem die Osmanen aus dem heutigen Libanon abzogen, die das Land bis zum Ende des ersten Weltkrieges besetzt hielten. Wer sich gegen sie aussprach, drohte der Tod. Viele Journalisten wurden damals erhängt. Das hat das libanesische Volk stark geprägt. Danach wollte es mehr Meinungs- und Pressefreiheit. Das war der perfekte Nährboden für eine Satirezeitung.
Im libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) wurde Ad-Dabbour eingestellt. Sie legten die Zeitung vor 15 Jahren neu auf. Wie gut kommt Satire heute bei den Lesern an?
Die Libanesen lieben guten Humor und handfeste Satire. Denn die libanesische Gesellschaft ist bei weitem nicht so konservativ, wie sie häufig im Ausland dargestellt wird. Sie lacht besonders gerne über politische Satire. Die Kritik an Politikern ist unser Steckenpferd.
Wer schreibt für Ad-Dabbour?
Ein guter Satiriker ist unabhängig und muss mutig genug sein, zu sagen, was er denkt. Wir haben muslimische und christliche Journalisten. Diese Pluralität ist uns sehr wichtig, da auch der Libanon aus vielen verschiedenen Religionsgemeinschaften besteht. Wir achten daher sehr darauf, ihre Gefühle nicht zu verletzen.

Musliminnen in Beirut demonstrieren gegen die neue Ausgabe von "Charlie Hebdo". Auf ihrem Plakat steht: "Die Beleidigung des Propheten Mohammed ist eine Beleidigung aller Propheten und aller Religionen."
(Foto: Reuters)
Das heißt, Sie würden keine Mohammed-Karikaturen wie die westlichen Medien veröffentlichen?
Natürlich nicht. Bei religiösen Themen hört der Spaß für uns auf. Wir kritisieren keine Glaubensgemeinschaft im Libanon durch Satire. Damit könnten wir uns viel Ärger einhandeln. Besonders jetzt, da in der Region – Syrien und Irak – ein großer, religiöser Krieg wütet.
Sie hatten engen Kontakt mit der französischen Redaktion Charlie Hebdo. Haben Sie mit ihnen über die Mohammed-Karikaturen gesprochen?
Ja. Ich sprach damals auch mit den Journalisten, die in Paris ermordet wurden. Es war ihr gutes Recht, zu sagen, was sie denken. Man muss die Meinungsfreiheit akzeptieren und kann nicht auf solch eine grausame Art und Weise auf Karikaturen reagieren. Auf der anderen Seite tragen wir als Satiriker eine große Verantwortung. Nicht nur für uns, sondern auch für andere Menschen. Schon als die Mohammed-Karikaturen 2005 in der dänischen Zeitung Jyllands Posten erschienen, zog das eine Welle der Gewalt nach sich.
Also gibt es Grenzen der Meinungsfreiheit?
Man muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Das Attentat auf Charlie Hebdo hat auf brutalste Weise gezeigt, dass Terroristen überall zuschlagen können. Europa ist, wenn man so will, genauso betroffen wie der Libanon. Hier gibt es immer wieder Bombenanschläge. Wir aber leben und rechnen mit der Gefahr. Ich möchte damit sagen, dass man, egal wo auf der Welt, vorsichtig sein muss. Man braucht keine Angst zu haben. Aber man muss Augen und Ohren stets offen halten.
Auch einige Ihrer Kollegen starben in einer Anschlagsserie 2005 im Libanon: Jebran Tueni, der Chefredakteur der libanesischen Tageszeitung An-Nahar, und der Journalist Samir Kassir. Wie gingen Sie damit um?
Jebran und ich waren sehr gute Freunde. Wir hatten große Pläne für die Pressefreiheit im Libanon. Außerdem kritisierten wir die Syrer offen, die auch lange nach dem Ende des libanesischen Bürgerkrieges ihre Truppen nicht aus dem Libanon abzogen. Dann wurde er ermordet. Das war für mich eine schwere Zeit. Wem nützte sein Tod? Tatsächlich machten ihn seine Mörder noch berühmter, mehr noch, sie schufen einen Helden.
Wie meinen Sie das?
Ich bin Professor für Information und Kommunikation an der libanesischen Universität Antonine. Daher weiß ich, dass die neue Generation von Journalisten Jebran Tueni verehrt. Damals töteten sie einen Jebran, aber sie erschufen dadurch hundert neue Jebrans.
Gilt das auch für Charlie Hebdo?
Auch im Falle von Charlie Hebdo erreichten die Mörder genau das Gegenteil, von dem, was sie wahrscheinlich bezweckten. In Solidaritätskundgebungen auf der ganzen Welt zeigen die Menschen nun, dass sie keine Angst vor ihnen haben. Wer einen Cartoonisten oder Journalisten tötet, kann dessen Geist nicht auslöschen. Denn seine Ideen leben weiter und bekommen sogar mehr Gewicht.
In Ad-Dabbour kritisieren Sie durchaus den Islamischen Staat, der in Syrien immer näher an die Grenzen des Libanons vorrückt. Haben Sie manchmal Angst?
Nein, ich habe niemals Angst. Was sollen sie mir denn antun? Mich töten? Ich würde sagen, es ist doch das Ziel eines jeden Journalisten, in die Geschichte einzugehen. Und das ist der einzige Weg für ihn, Geschichte zu schreiben. Die Journalisten von Charlie Hebdo sind in die Geschichte eingegangen, genauso wie Jebran Tueni und Samir Kassir. Sie wären nicht in die Geschichte eingegangen, hätte man sie nicht ermordet. Das ist meine Philosophie.
Mit Joseph Moukarzel sprach Juliane Metzker
Quelle: ntv.de