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Mindestlohn-Beschluss vertagt Bidens Demokraten gehen ins Risiko

US-Präsident Joe Biden muss sich dem Druck zweier Senatoren beugen - vorerst.

US-Präsident Joe Biden muss sich dem Druck zweier Senatoren beugen - vorerst.

(Foto: AP)

Den ersten inhaltlichen Machtkampf bei den US-Demokraten verliert der linke Flügel im Senat. Im Konjunkturpaket fehlt die Mindestlohnerhöhung für Millionen Arbeiter. Zuvor sendet Biden ein Signal an Arbeiter und Gewerkschaften.

Die Demokraten haben Mehrheiten in beiden Kongresskammern, im Weißen Haus sitzt Joe Biden - aber das erste große Wahlversprechen schieben sie nun bei erster Gelegenheit auf die lange Bank. Der Mindestlohn wird zunächst nicht erhöht. Stattdessen streichen die Demokraten es aus dem 1,9 Billionen Dollar großen Pandemie-Konjunkturpaket, das im US-Senat vor der Abstimmung steht. Dabei wäre die Erhöhung dringend nötig, um die Löhne zumindest der Lebensrealität in den Vereinigten Staaten anzunähern.

Laut dem Vorhaben sollte der verpflichtende Mindestlohn in den kommenden fünf Jahren stufenweise von derzeit 7,25 Dollar auf 15 Dollar steigen. Damit hatten die Demokraten Wahlkampf gemacht, Biden gewann die Präsidentschaft auch wegen einer großen Mehrheit bei unteren Einkommensschichten und insbesondere Schwarzen. Bei der Senatsnachwahl in Georgia vertrieben die beiden demokratischen Kandidaten mit diesen Ankündigungen die republikanischen Amtsinhaber und verschafften ihrer Partei damit eine knappe Mehrheit im Senat. Die überwältigende Mehrheit der demokratischen Wähler in Georgia waren Schwarze.

Der geltende landesweite Mindestlohn ist seit 2009 in Kraft. Insbesondere untere Einkommensschichten würden damit ihre Lebenssituation verbessern. Laut offiziellen Zahlen verdient keine ethnische Gruppe in den USA weniger als Schwarze oder Afroamerikaner. Das mittlere Haushaltseinkommen liegt mehr als ein Drittel unter dem von Weißen. Die Mindestlohnerhöhung würde 31 Prozent aller schwarzen Arbeiter helfen und 32 Millionen US-Amerikanern insgesamt, analysiert die Denkfabrik Economy Policy Institute. Aktivisten gehen sogar von bis zu 40 Prozent aller schwarzen Arbeiter und insgesamt 62 Millionen US-Amerikanern aus.

Sogar 15 Dollar zu wenig

Doch damit das Konjunkturpaket zur Unterschrift im Weißen Haus landet, brauchen die Demokraten sämtliche Stimmen plus Vizepräsidentin Kamala Harris als Senatspräsidentin. Der Widerstand dagegen kam nicht nur von den oppositionellen Republikanern, sondern auch von zwei demokratischen Senatoren: Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona. Beide hatten ankündigt an, nicht für das Paket zu stimmen, sollte es die Mindestlohnerhöhung enthalten.

Aktivisten in der Nähe des Kongresses in Washington - der dortige Kampf um die Erhöhung ist vertagt.

Aktivisten in der Nähe des Kongresses in Washington - der dortige Kampf um die Erhöhung ist vertagt.

(Foto: AP)

Die beiden gelten als moderat. Insbesondere Manchin muss an konservative Wähler denken, sein Bundesstaat wird von Republikanern regiert. Die meisten von ihnen halten 15 Dollar für zu hoch, ergaben Umfragen. Doch anhand von Daten aus dem US-Arbeitsministerium und dem Massachusetts Institute for Technology lässt sich errechnen, dass selbst ein Stundenlohn von 15 Dollar nur in der Hälfte der Bundesstaaten für das Existenzminimum eines Alleinstehenden ausreichen würde. Im nun verschobenen Projekt sollte der Mindestlohn zudem ab 2025 an das mittlere Einkommen gekoppelt werden.

Die beiden Senatoren beriefen sich bei ihrer Ablehnung auch auf eine Regel, nach der im Senat nur Haushalts- und Steuervorhaben mit einfacher Mehrheit verabschiedet werden können. Wegen der "Byrd Rule" schnüren die beiden Parteien häufig unterschiedliche Gesetzesvorhaben zusammen und lassen darüber im Paket abstimmen. Die Empfehlung der dafür verantwortlichen offiziellen Beraterin ist nun: Der Mindestlohn gehört nicht in das aktuelle Bündel. Verpflichtend sind solche Empfehlungen nicht, die Demokraten hätten es mit ihren eigenen Stimmen trotzdem durchdrücken können.

Nachdem deutlich geworden war, dass es nicht dazu kommen wird, gab es Alternativvorschläge, etwa große Unternehmen zusätzlich zu besteuern, sollten sie ihren Arbeitern weniger als 15 Dollar pro Stunde bezahlen. Aber auch dieser Vorschlag ist nun vom Tisch. Führende Demokraten sagen, weil die Zeit dränge. Am 14. März laufen Arbeitslosenhilfen aus, neue wöchentliche Zusatzzahlungen und eine Einmalzahlung per Scheck sollen helfen.

Nicht ohne Risiko

Der progressive Flügel zweifelt nun daran, dass Biden den Mindestlohn wirklich will und alles versuchte, um Manchin und Sinema zu überzeugen. Denn für die Demokraten birgt die Verschiebung auch ein Risiko, wieder Wähler zu verlieren. Eine Mehrheit von rund 60 Prozent von ihnen spricht sich in Umfragen für eine graduelle Mindestlohnerhöhung aus. Sollten die Demokraten das Projekt verwässern oder gar beerdigen, könnten sie deshalb nach den Zwischenwahlen im kommenden Jahr ihre Kongressmehrheiten wieder los sein.

Biden gilt auch als Freund von Gewerkschaften, die für Arbeiterrechte und höhere Löhne eintreten. Und während die Demokraten in den vergangenen Tagen über den Mindestlohn und politische Motivationen der Akteure diskutierten, veröffentlichte Biden eine Videonachricht: "Arbeiter in Alabama und in ganz Amerika stimmen über Gewerkschaften am Arbeitsplatz ab", sagt er darin: "Es ist eine überaus wichtige Entscheidung, die ohne Einschüchterungen oder Drohungen des Arbeitgebers getroffen werden sollte."

In Birmingham, der größten Stadt des südlichen Bundesstaats Alabama, findet derzeit eine Briefwahl unter den fast 6000 Arbeitern im dortigen Lager des Versandhändlers Amazon statt. Es wäre der erste Unternehmensstandort in den USA, an dem eine Gewerkschaft vertreten wäre und hätte damit Signalwirkung. Die überwiegende Mehrheit der dortigen Arbeiter sind Schwarze. Amazon ist während der Pandemie enorm gewachsen und inzwischen der größte Arbeitgeber der Vereinigten Staaten. Die Organisatoren der Abstimmung berichten über permanente Einschüchterungsversuche des Unternehmens gegenüber den Arbeitern.

Frühere Präsidenten hielten sich bei solchen Entscheidungen größtenteils heraus. Bidens ungewöhnliche Nachricht könnte auch eine Botschaft der Selbsthilfe sein: Auch wenn wir den Mindestlohn aktuell nicht durchdrücken, könnt ihr versuchen, euch selbst zu helfen.

Quelle: ntv.de

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