Abstand oder neue Nähe zu China? Blutiges Hongkong überschattet Taiwan-Wahl
11.01.2020, 06:09 Uhr
In Taiwan sind 19,3 Millionen Menschen wahlberechtigt.
(Foto: REUTERS)
Taiwan sieht sich selbst als souveränen demokratischen Staat. Die chinesische Führung betrachtet das Land als abtrünnige Provinz, die mit der Volksrepublik wiedervereinigt werden will. Bei der Präsidentschaftswahl vertreten die Spitzenkandidaten beide Lager - eine Position liegt klar vorne.
Mit dem Slogan "Widerstand gegen China, Taiwan verteidigen" will sich die taiwanische Staatschefin Tsai Ing Wen bei der Präsidentschaftswahl eine zweite Amtszeit sichern. Ihr Rivale Han Kuo Yu von der oppositionellen Kuomintang-Partei vertritt die Gegenseite: Er will die Beziehungen zu Peking wieder aufwärmen. Die Wahl dürfte also maßgeblich darüber entscheiden, welchen Ton der Inselstaat künftig gegenüber der Volksrepublik einschlagen wird.
Favoritin Tsai, die in den letzten Umfragen deutlich vorn lag, punktet vor allem bei jungen Leuten, von denen die meisten China eher kritisch gegenüberstehen. Die 63-Jährige ist eine offene Befürworterin der pro-demokratischen Bewegung in Hongkong, gegen die Peking massive Gewalt einsetzen lässt. Sie hat die Wahl zu einer Entscheidung über Taiwans Freiheit und Demokratie erklärt.
Taiwan sieht sich selbst als souveränen demokratischen Staat, es spaltete sich 1949 nach der Machtübernahme durch die Kommunisten von Peking ab. Die Regierung in Taipeh erklärte aber nie formell ihre Unabhängigkeit. Peking hingegen sieht Taiwan als abtrünnige Provinz, die eines Tages wieder mit der Volksrepublik vereinigt werden soll - notfalls auch mit militärischer Gewalt.
Heiß begehrte Jungwähler
Seit dem Amtsantritt von Unabhängigkeitsverfechterin Tsai 2016 haben sich die Spannungen zwischen Peking und Taipeh zusehends verschärft. Peking hat den wirtschaftlichen und militärischen Druck auf Taiwan erhöht und hält regelmäßig Militärmanöver nahe der Insel ab.
Nach offiziellen Angaben sind rund 3,1 Millionen der 19,3 Millionen Wahlberechtigten in Taiwan unter 30 Jahre alt - etwa 1,8 Millionen Menschen sind zudem Neuwähler. Sowohl Tsai als auch ihr Rivale Han buhlten in den vergangenen Wochen daher insbesondere um die Gunst der jungen Wähler - sie starteten Sympathie-Offensiven mit humorvoll ausgerichteten Kampagnen in Onlinenetzwerken und im Fernsehen.
Internationale Isolation

Han Kuo Yu von der Kuomintang-Partei will die Beziehungen zu Peking wieder aufwärmen.
(Foto: REUTERS)
Die Unabhängigkeitsverfechterin Tsai gilt vor allem in Gesellschaftsfragen als progressive Politikerin. Im vergangenen Jahr legalisierte ihre regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) die gleichgeschlechtliche Ehe. Taiwan war damit das erste asiatische Land mit einer solchen Entscheidung. Die DPP tritt seit Jahrzehnten zudem für die Unabhängigkeit Taiwans ein.
Auf der internationalen Bühne ist Taiwan jedoch zunehmend isoliert. Nur noch 15 Länder pflegen diplomatische Beziehungen mit dem Inselstaat - überwiegend ärmere Länder in Lateinamerika und in der Pazifikregion. In Europa ist der Vatikan der letzte europäische Staat, der Taiwan offiziell anerkennt.
Tsais Rivale Han will daher im Gegensatz zu Tsai eine Annäherung an Peking. Sein Hauptargument: Die feindselige Politik gegenüber China bedrohe die taiwanische Wirtschaft - und damit die Zukunft der jungen Menschen. Ihnen gegenüber machte der 62-Jährige während seines Wahlkampfes zahlreiche Versprechen. Unter anderem stellte er finanzielle Hilfen für Studienaufenthalte im Ausland sowie Darlehen für junge Startup-Unternehmen in Aussicht.
Quelle: ntv.de, chr/AFP