Politik

Corona-Brennpunkt Krankenhäuser "Brauchen eine Revolution im Gesundheitswesen"

Karl Lauterbach (v.l.), Christina Berndt, Lisa Schlagheck, Klaus Holetschek und Martin Machowecz diskutieren mit Moderator Frank Plasberg.

Karl Lauterbach (v.l.), Christina Berndt, Lisa Schlagheck, Klaus Holetschek und Martin Machowecz diskutieren mit Moderator Frank Plasberg.

(Foto: WDR/Oliver Ziebe)

Masken-, Impf- und Isolationspflicht - geht der Streit um Corona auch im dritten Pandemie-Winter weiter? Was macht das mit den besonders betroffenen Krankenhäusern? Bei "Hart aber fair" diskutiert unter anderem Gesundheitsminister Lauterbach darüber, wie die Kliniken wieder gesund werden können.

Auf die Krankenhäuser könnte erneut ein harter Winter zukommen. Das befürchtet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Der Grund: eine neue Corona-Variante, die Deutschland nach Expertenmeinung im Winter erreichen könnte. Die sei ansteckender als alle anderen Varianten, jedoch weniger tödlich, so Lauterbach. Darum plädiert er für eine Beibehaltung der Maskenpflicht im Innenraum.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist plädiert für eine Maskenpflicht in Innenräumen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist plädiert für eine Maskenpflicht in Innenräumen.

Ganz anders sieht das der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek. In der ARD-Sendung "Hart aber fair" erklärt er, diese Regelung sei Ländersache. Man sei sich einig geworden, "lageangepasst" zu entscheiden. Das gelte sowohl für die Maskenpflicht in Restaurants als auch für die Ausrichtung von Weihnachtsmärkten im Dezember. Diese Regelung habe sich bereits bei der Ausrichtung des Münchner Oktoberfestes bewährt.

Über die Einschätzung der Corona-Lage gibt es bei den Experten aktuell sehr unterschiedliche Meinungen. So befürchten einige von ihnen einen deutlichen Anstieg der Werte durch Public-Viewing-Veranstaltungen während der am 20. November startenden Fußball-WM, andere glauben, das Ende der Corona-Pandemie sei inzwischen erreicht. Sie reden von einer Epidemie. Zu ihnen gehören Virologe Christian Drosten oder der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens.

Trotzdem befürchtet auch die Krankenpflegerin und Gewerkschaftsfunktionärin Lisa Schlagheck im Winter Probleme durch eine Überbelastung der Krankenhäuser - doch aus einem anderen Grund. "Die Annahme, dass wir wegen der Corona-Welle überlastet sind, ist falsch. Meiner Ansicht nach sind wir überlastet wegen der Ökonomisierung im Gesundheitswesen und wegen der Personalknappheit. Corona ist dann das I-Tüpfelchen, das uns belastet", sagt sie.

Prekäre Lage auf Notfallstationen

Tatsächlich ist gerade auf vielen Notfallstationen die Überbelastung des Pflegepersonals ein Problem, das gefährlich werden kann. "Ich würde einen Krankenhausaufenthalt tunlichst vermeiden", resümiert Pflegerin Schlagheck am Ende der Sendung. Sie arbeitet als Notfallpflegerin am Universitätsklinikum Münster. In der Region gibt es zahlreiche weitere Krankenhäuser, die jedoch ihre Notfallstationen bei Überlastungen schließen müssen. Das käme fast täglich vor, berichtet Schlagheck. Dann kommen die Patienten zu ihr und ihren Kollegen.

Immer wieder müssten Patienten auf Gängen liegen, um auf ihre Behandlung zu warten, beschreibt sie die Situation. Oft müssten sie nach der Erstbehandlung in Münster in andere Krankenhäuser gebracht werden, weil es in der Klinik keine freien Betten für sie gibt. Es könne vorkommen, dass Patienten zur Weiterbehandlung in Kliniken transportiert werden müssten, die über hundert Kilometer entfernt seien. Bis vor kurzem habe sie Nachtschichten als einzige Pflegerin bewältigen müssen - auf einer Notfallstation, die sich über zwei Stockwerke erstreckt.

"Wir werden das jetzt mit Reformen in den Griff bekommen"

Wenigstens in Nordrhein-Westfalen könnte sich die Situation auf den Notfallstationen bald ändern. Dafür haben die Pfleger gestreikt - 77 Tage lang. Bundesweit könnte es etwas länger dauern, doch auch hier kämpft Minister Lauterbach für eine Veränderung. Das sei auch dringend notwendig, sagt sein bayerischer Kollege Holetschek: "Wir brauchen eine Revolution im Gesundheitswesen." Die soll noch in dieser Legislaturperiode kommen.

Am Mittwoch will Lauterbach im Gesundheitsausschuss einen Teil eines Gesetzes vorstellen, mit dem unter anderem die Fallpauschalen abgeschafft werden sollen. Die waren vor 20 Jahren eingeführt worden. Fallpauschalen regeln, wie teuer eine Krankenhausbehandlung sein darf. Lauterbachs Ziel: Sind für bestimmte Pflegeleistungen zu wenig Pfleger auf den Stationen, können bestimmte Krankheiten nicht mehr behandelt werden. "Wir machen auf dem Rücken des Pflegepersonals sehr viele Eingriffe, die man ambulant machen kann oder die man gar nicht machen muss", erklärt Lauterbach. So sei es zum Beispiel unnötig, dass Patienten wegen einer Kniespiegelung stationär aufgenommen werden.

Das neue Gesetz hat auch schon einen Namen: Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. "Das ist eine dramatische Entökonomisierung der Krankenhäuser", beschreibt es Lauterbach. Das Gesetz werde sofort helfen, ist sich der Minister sicher. Schon bei seiner Einführung werde es Pflegekräfte entlasten, und am Ende würde es mehr Auszubildende für Pflegeberufe geben, und die Pfleger würden länger im Beruf bleiben.

"Notfallstationen bekommen das nicht"

Für Pflegerin Schlagheck hat das neue Gesetz einen entscheidenden Fehler. "Es bezieht sich nur auf die Betten- und die Pflegebereiche", klagt sie. Transportdienst, Reinigungskräfte, aber auch Notfallstationen seien davon ausgeschlossen, auch auf Hebammen werde es nicht angewendet. "Das ist nicht tolerabel", sagt Schlagheck, die zudem bemängelt, dass es keine Sanktionen für Krankenhäuser gibt, die ihr Personal nicht entlasten. Lauterbach setzt in diesem Punkt erst einmal auf Vertrauen und verspricht, das Gesetzeswerk solle noch nachgebessert werden.

Auch Holetschek kritisiert das Gesetz. Ihm dauert das alles zu lange. "Wir laufen auf eine humanitäre Katastrophe zu, auch in der Langzeit- und Altenpflege. Das zentrale Thema ist, die Arbeitsbedingungen der Pfleger zu verbessern", fordert er. Doch auch Schlagheck hat Zweifel, dass das Gesetz für sie Arbeitserleichterungen bringt - auch wenn Lauterbach ankündigt, dass über den Wegfall der Fallpauschalen schon Ende November erstmals gesprochen werden könnte. Für Schlagheck ist klar: Sie kann sich nicht mehr vorstellen, ihr gesamtes Berufsleben als Pflegerin zu arbeiten. "Ich will nicht bis zu meiner Rente auf Verbesserungen warten", sagt sie. In diesem Jahr ist Lisa Schlagheck dreißig Jahre alt geworden.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen