"Bitte, bitte bleibt!" Cameron bettelt um Schottland
15.09.2014, 21:40 UhrIn Schottland läuft der Countdown: Am Donnerstag entscheidet das Land, ob es weiterhin britisch sein will oder selbstständig. Die Politiker sind im Kampagnen-Endspurt. Vor allem Premier Cameron stemmt sich nun gegen die schottische Abspaltung.
Kurz vor dem Unabhängigkeitsreferendum kämpfen d ie Regierungschefs Großbritanniens und Schottlands um die Stimmen der letzten noch unentschiedenen Schotten. Premierminister David Cameron versuchte bei seinem wohl letzten Besuch in Schottland vor der Abstimmung, mit einer leidenschaftlichen Rede für seine Sache zu werben. "Bitte, bitte bleibt bei uns", rief er den Schotten in Aberdeen zu.
Alex Salmond, Chef der in Schottland regierenden Nationalpartei SNP, traf sich in Edinburgh mit Wirtschaftsvertretern. Diese rückten mehr und mehr auf die Seite der Unabhängigkeitsbewegung, sagte der schottische Regierungschef, "weil sie wissen, dass das der einzige Weg ist, auf dem wir die benötigte Wirtschaftskraft bekommen können". Zuvor hatte Cameron Konzernchefs und Banken-Führer um sich geschart, die in dunklen Farben die finanziellen und wirtschaftlichen Folgen einer Unabhängigkeit gezeichnet hatten.
Zahlreiche Unternehmen, darunter Banken und große Kaufhausketten, hatten auf negative Folgen eines Votums für die Abspaltung hingewiesen. Nun gesellte sich die Gruppe der "Jungen Schiffsbauer" zum Kreis derjenigen, die warnten: Die "Yes"-Kampagne pro Unabhängigkeit habe keinen glaubwürdigen Plan, die Branche zu erhalten. Die Union zu verlassen, sei ein "absolut irrationales Glücksspiel".
Salmond habe sich bisher nicht mit ihnen treffen wollen, schrieben sie in einem offenen Brief an den Regierungschef. Schottlands Schiffsbau ist in hohem Maße abhängig von Aufträgen des Londoner Verteidigungsministeriums. Zuvor hatte auch die Deutsche Bank vor den Risiken eines schottischen Alleinganges gewarnt und eine Abspaltung mit den Fehlern in den USA vor der Großen Depression verglichen.
Rekord-Wahlbeteiligung erwartet
Cameron war für seine spärlichen Auftritte in Schottland kritisiert worden. Vergangene Woche hatte er in Edinburgh gesagt, ein Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs würde ihm "das Herz brechen". Ein Sprecher sagte, während der Abstimmung am Donnerstag werde er in London sein und arbeiten.
Eine der größten britischen Gewerkschaften rief Arbeitgeber in Schottland dazu auf, ihre Angestellten für die Stimmabgabe zeitweise freizustellen, um lange Schlangen vor den Abstimmungslokalen zu vermeiden. Sie haben von 8 Uhr bis 23 Uhr MESZ geöffnet, das Ergebnis soll am frühen Freitagmorgen vorliegen. Beinahe 4,3 Millionen Schotten haben sich für das Referendum registriert. Damit könnte die Wahlbeteiligung rund 97 Prozent erreichen - das wäre ein Rekord.
"Schottland, wir lieben Dich!"
Im Zentrum Londons versammelten sich mehrere tausend Gegner einer Abspaltung von Großbritannien. "Schottland, wir lieben Dich! Geh nicht" und "Lasst uns zusammen bleiben", stand auf Schildern der mehr als 2000 Demonstranten, die auf dem Trafalgar Square zusammenkamen. Über Lautsprecher wurden Poplieder wie "We are Family" und "Let's Stay Together" gespielt. Mehrere Prominente riefen dazu auf, bei der Abstimmung am Donnerstag mit "Nein" zu stimmen.
"Wir denken, dass Einheit besser als Spaltung ist und Kooperation besser als Konkurrenz", sagte der Fernsehmoderator und Historiker Dan Snow, der die Demonstration mit organisiert hatte. Der irische Rockmusiker Bob Geldof, der seit langem in England lebt, sagte, es gebe "so etwas wie ein großes, glorreiches 'Nein'". "Es ist eine Familie und wir lieben einander", sagte Geldof.
USA fürchten um "special relationship"
Indes haben die USA ihre Unterstützung für einen Verbleib Schottlands in Großbritannien erkennen lassen. "Wir haben ein Interesse zu sehen, dass das Vereinigte Königreich stark, robust, vereint und ein effektiver Partner bleibt", sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Josh Earnest. Allerdings respektiere das Weiße Haus das Recht der Schotten, über eine mögliche Unabhängigkeit abzustimmen. Ähnlich hatte sich Obama bei einer Pressekonferenz mit Cameron Anfang Juni in Brüssel geäußert.
Die USA pflegen mit Großbritannien eine Sonderbeziehung ("special relationship"), die bei einer schottischen Unabhängigkeit ebenfalls erschüttert würde. Washington befürchtet, dass einer seiner wichtigsten Verbündeten militärisch und wirtschaftlich an Einfluss verlieren könnte. So fordert das Unabhängigkeitslager den Abzug der mit Atomraketen ausgerüsteten britischen U-Boot-Flotte aus Schottland.
Quelle: ntv.de, wne/dpa/AFP