Putins üppige Weltkriegs-Sause "Danke für den Sieg, Opa"
09.05.2015, 18:58 Uhr
Na sdorowje! Am 9. Mai mischt sich das Gedenken an die Schrecken des Kriegs mit Lebensfreude und Nationalstolz.
(Foto: picture alliance / dpa)
Panzer, Jubelmeilen, Veteranen: In Moskau sind Hunderttausende auf den Beinen. Wie zelebrieren die Russen den Sieg über Hitler-Deutschland? Ein Spaziergang durch eine Stadt, die mit Tränen in den Augen feiert.
Die Moskauer Petrovka, die von Norden ins Zentrum führt, liegt am Morgen um 7 Uhr ruhig und verschlafen da. Kaum Autos auf der Straße, nur einige Gestrandete, die die Nacht zum Tag gemacht haben. Es könnte ein typischer Samstagmorgen sein, aber das ist es nicht. Ein 9. Mai ist eben kein normaler Tag in Russland.
Rasch füllen sich die Straßen der Hauptstadt. Wer heute in Moskau ist, erlebt eine Zeitreise ins Jahr 1945. Die Menschen tragen Uniformen, Barette, und wollen vor allem eines: möglichst nah dran sein bei der Feier zum 70. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland.
Um kurz nach acht marschieren Soldaten in Uniformen der sowjetischen Marine vom Kreml-Ufer zum Roten Platz hinauf. Der Trommelwirbel schallt bis zur anderen Seite der großen steinernen Brücke hinüber. Von hier bietet sich der beste Blick - wäre das Gebiet nicht weiträumig gesperrt. Dennoch drängeln sich Tausende an den Zäunen. Wer kein Fernglas hat, sieht nichts. Aber da hinten, zwischen Kreml-Mauern und Basilius-Kathedrale, geht’s gleich los.
Die meisten Russen wählen eine andere Taktik. Sie stellen sich dorthin, wo es später interessant wird. Zum Beispiel an die Hauptstraße Novy Arbat, westlich des Kreml. Um kurz vor zehn schießt hier eine von Polizei-Fahrzeugen eingekesselte Stretchlimousine in Richtung Zentrum. "War das Putin?", ruft ein Mann am Rand der abgesperrten Straße.
Soldaten grüßen - das Volk jubelt
Fünfzehn Minuten später eröffnet der Präsident auf dem Roten Platz die Feier. Die Menschen an der Novy Arbat verfolgen die Rede über Kopfhörer oder auf einer Leinwand. Aus Lautsprechern dudeln die russischen Kriegs- und Volkslieder, die seit Tagen in der Stadt zu hören sind. Ein kleiner Knirps mit Uniform und dem orange-schwarzen Sankt-Georgs-Band marschiert im Stechschritt und salutiert. Auf einem Stromkasten sitzt ein Junge, in der Rechten eine riesige rote Fahne, in der anderen ein Radio. Auch auf den Balkonen in den 25-stöckigen Hochhäusern füllt es sich. Die Premiumplätze werden von einigen Anwohnern vermietet.
Und dann geht es los. Aus der Ferne ertönt das Dröhnen der über den Asphalt ratternden Militärfahrzeuge. Jubel brandet auf, Handys werden gezückt. Einige steigen auf Telefonzellen und Bushaltestellen, andere klettern auf einen Bagger. Was folgt ist etwas für Liebhaber: Große Panzer wie der neue T14, kleine Panzer, Kettenfahrzeuge, Abwehrraketen, Jeeps. Von den Fahrzeugen grüßen Soldaten, das Fußvolk winkt begeistert zurück. Am lautesten jubeln die Menschen, als die Fahrzeuge mit den riesigen ballistischen Raketen hupend vorbeifahren. Nach etwa 20 Minuten endet die Flotte, Reinigungsfahrzeuge spritzen die Fahrbahn ab.
Aber die Russen gehen noch lange nicht nach Hause. Sie gehen spazieren, zum Beispiel auf dem grünen Tverskoy Boulevard. In alten Eisenbahnwagen - ein Waggon für jedes Kriegsjahr - gibt es eine Ausstellung. Einige Meter weiter stehen Holztafeln, die Wand der Erinnerung. Viele Menschen hängen hier Nachrichten auf mit Bildern verstorbener Vorfahren. "Lieber Großvater, danke für den friedlichen Himmel über unseren Köpfen. Danke für den Sieg. Deine Enkelin", steht auf einem Zettel.
Burger und Soljanka nach dem originalen Kriegsrezept
Die noch lebenden Veteranen, erkennbar an den mit Medaillen bestückten Uniformen, sind an diesem Tag besonders begehrt. Kinder und Erwachsene stecken ihnen Blumen zu. "Es ist schön, so viele fröhliche Menschen zu sehen", sagt ein Veteran, der sich auf einen Stock stützt.
Am Pushkinskaya-Platz wird es immer voller. Männer, meist aus früheren Sowjetrepubliken, verkaufen Russland-Fahnen für umgerechnet fünf Euro. "Wir müssen Geld verdienen. Heute läuft das Geschäft besonders gut", sagt einer. Ein ordentliches Geschäft macht auch die nahgelegene McDonalds-Filiale. Ausgerechnet am 9. Mai in eine amerikanischen Fastfood-Restaurant? Ein Mann zuckt mit den Schultern. "Ich habe Hunger und hier bekommt man schnell etwas zu essen."
Auch die Tverskaja ist ein beliebtes Ziel. Mitten auf der mehrspurigen Hauptverkehrsstraße laufen Tausende Russen prozessionsartig in Richtung Innenstadt. Viele haben Holzpfosten in der Hand, die Bilder ihrer Eltern und Großeltern zeigen. "Hurra" schallt es aus der Menge. Ein Mann steht auf dem Bürgersteig und kippt Flüssigkeit aus einem Behältnis auf die Straße. "Das ist Wein. Ich bete für die gefallenen Soldaten", sagt der Tourist aus Taiwan. Einige Meter weiter bildet sich eine Menschenschlange. Es gibt Soldatenküche, Brei und Soljanka, originale Rezepte aus dem Jahr 1945.
Ein Veteran sammelt für den Donbass
Vollkommen überfüllt sind auch die Gänge der Metro. Ordnungskräfte regeln die Passagierströme und helfen weiter. Eine Frau in Uniform sagt: "Viele Menschen gratulieren uns zum Sieg." Sie würde gern mit ihrer Familie den Tag verbringen, doch sie muss bis Mitternacht arbeiten. Am Ausgang läuft eine Gruppe von Männern in Armee-Kleidung vorbei. Sie tragen eine Neurussland-Fahne, auf ihren T-Shirts steht "Donezker Volksrepublik". Draußen singt eine Gruppe Jugendlicher: "Das ist das Fest mit Tränen in den Augen."
Hinter dem Bolschoi-Theater ist eine Bühne aufgebaut. Ein Mann trägt ein großes Schild mit einem Bild des früheren sowjetischen Regierungschef Wladimir Lenin über den Platz. Auf einer Bank sitzt ein Veteran, mit Uniform und einer roten Mütze mit Hammer und Sichel. Sergej Iwanowitsch, Jahrgang 1935, aus Wolgograd. Er war kein Soldat im Weltkrieg, dennoch liegen zahlreiche Blumen neben ihm. Rote und violette Nelken, weiße Rosen. Er zeigt auf einen seiner Orden. Die kommunistische Partei habe ihn ausgezeichnet, weil er Geld für den Donbass gesammelt habe.
Vor einigen Wochen besuchte Sergej Verwandte in Odessa, mit den Medaillen an der Jacke. Ukrainische Nationalisten hätten gedroht, ihn von einer Brücke zu schmeißen. Wie es in der Ukraine weitergeht? "Das entscheidet nicht Putin, sondern die russischen Oligarchen", sagt er. Sergej schaut zu zwei kleinen Mädchen, die ihm Blumen reichen.
Sergej riecht kurz an einer Nelke und lacht verlegen. Ob er die Kritik an der russischen Politik verstehen könne? Müder Blick aus kleinen Augen. Frieden und Freundschaft mit dem Westen könne es nur dann geben, wenn der endlich anerkenne, dass die Krim zu Russland gehöre, sagt er.
Quelle: ntv.de