
Trump-Unterstützer demonstrieren vor dem Trump Tower in New York.
(Foto: REUTERS)
US-Präsident Donald Trump verbreitet Untergangsstimmung, auch bei Anne Will. Der eine Gast freut sich aufs Ende der alten Ordnung, andere fürchten um die Demokratie. Zwischen diesen Polen steht das Prinzip Hoffnung auf wackeligen Beinen.
Das Eigenartige an Talkshows ist, dass sie meist so tun, als wollten sie Probleme lösen. Sie illustrieren sie dabei aber nur. Genau so ist es an diesem Abend bei Anne Will. Zentrale Frage der Runde ist, ob die "Trumpokratie" eine Gefahr für die Welt ist.
Die Gäste haben ihre jeweils eigenen Antworten mitgebracht. Justizminister Heiko Maas von der SPD und der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, halten Donald Trump durchaus für gefährlich, wollen ihn aber nicht dramatisieren. Trump durchquere "eine steile Lernkurve", sagt Lambsdorff. Trump stelle derzeit fest, dass er kein absoluter Monarch sei, sondern ein Regierungschef, der sich anderen Staatsgewalten gegenübersehe - vor allem der Justiz.
Trumps Schimpfen auf den Bundesrichter, der sein Einreiseverbot für die Bürger aus sieben muslimischen Staaten vorläufig gestoppt hat, nennt Lambsdorff bedauerlich. Aber letztlich sei es ein Ausdruck von Trumps Machtlosigkeit. Auch Maas setzt darauf, dass die Gewaltenteilung dem Präsidenten Grenzen aufzeigt. Die Welt werde nicht untergehen, sagt Maas, sie werde nur etwas verrückter.
So entspannt sind der Historiker Heinrich August Winkler und die Journalistin Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik", keineswegs. Tempel sieht die freie Welt in Gefahr. Die Annahme, es könne bei Trump eine Lernkurve geben, hält sie für einen Irrtum. Sie erinnert an Trumps Ausfälle im Wahlkampf, wie er Menschen verspottet und bei seinen Kundgebungen indirekt zu Gewalt aufgerufen habe. Es gebe nicht das geringste Anzeichen, dass Trump sich geändert habe. Stattdessen beobachte sie bei ihm den Versuch, "etwas zu unterminieren, das schon seit 15 Jahren nicht in gutem Zustand ist" - die amerikanische Demokratie.
"Ich glaube, er lernt"
Winkler verweist auf Trumps vermutlich wichtigsten Berater, Stephen Bannon, den ehemaligen Herausgeber der Hetz-Nachrichtenseite Breitbart. Bannon habe sich ausdrücklich dazu bekannt, das Establishment zerstören zu wollen, und mit Establishment meine er offenkundig den Rechtsstaat sowie die Checks and Balances, das amerikanische System der Gewaltenteilung. Mit Blick auf Trump sagt Winkler, er habe noch nie eine Inaugurationsrede erlebt, in denen die Gründungswerte der USA so abwesend gewesen seien. An die Adresse von Lambsdorff und Maas gerichtet fügt er hinzu, man solle sich nicht damit trösten, dass Trump jetzt ein "Azubi der Demokratie" sei. Wer sich so äußere, wie Trump es getan habe, auf den könne man keine Hoffnung richten. Winkler hofft stattdessen auf die amerikanische Justiz und die Zivilgesellschaft.
Im Verlauf der Debatte wird deutlich, dass Tempel und Winkler bei Maas und Lambsdorff durchaus ankommen. Lambsdorff erläutert, dass er mit dem Begriff "Lernkurve" Trump "keine günstige Sozialprognose" ausstellen wollte, und Maas stimmt Winklers Analyse ausdrücklich zu. Ganz wollen beide das Prinzip Hoffnung zwar nicht aufgeben. Doch man merkt: Es steht auf wackeligen Beinen.
Und dann ist da noch der fünfte Diskutant, der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte, der seit ein paar Jahren auch die amerikanische Staatsbürgerschaft hat und sich als Trump-Fan zu erkennen gibt. Er hat an der Präsidentschaftswahl im November nicht teilnehmen können, weil er den dazu notwendigen Papierkram unterschätzt hatte, aber wenn, dann hätte er Trump gewählt, weil der "irgendwas auch bewegt" und "viele, viele Amerikaner" erreicht habe.
Allerdings kam auch Otte nicht umhin, dezente Kritik an Trump zu üben. "Ich sehe Inkonsistenzen", sagt er. "Ich glaube, er lernt." Lernen werde Trump, dass man einen Staat nicht so autoritär wie ein Familienunternehmen führen könne. Wirklich? Schließlich ist Trump exakt dafür gewählt worden: Er hat angekündigt, den Staat wie ein Unternehmen zu führen, und seine Wähler wollten genau das von ihm. Warum Trump jetzt lernen sollte, dass das nicht funktioniert, erklärt Otte nicht.
Der Muslimbann war aus Ottes Sicht "nicht so außergewöhnlich", schließlich habe schon Barack Obama Ähnliches beschlossen. Maas korrigiert: Obama habe lediglich entschieden, dass Menschen aus den betroffenen sieben Staaten intensiver geprüft würden. Ein Einreiseverbot gab es nicht.
"Ein offenes Experiment"
Tempel wirkt ein wenig schockiert von ihrem Nachbarn. Trump zeige keineswegs "Inkonsistenzen", sondern einen konsistenten, also geradlinigen Angriff auf Rechtsstaat und Gewaltenteilung. Das wiederum hält Otte, den "Welt"-Journalisten Clemens Wergin zitierend, für "hyperventilierenden Anti-Trump-Journalismus". Dabei hält er den aktuellen "Spiegel" hoch, dessen Cover Trump als Schlächter der Freiheitsstatue zeigt. Anne Will greift ein: Das sei nicht das Level dieser Diskussion gewesen.
Otte sagt dann noch, es gebe nie eine Garantie, dass jemand die Demokratie respektiere. "Demokratie ist immer Hoffnung, Demokratie ist immer ein offenes Experiment." Das ist der Kern dieser Meinungsverschiedenheit - an diesem Abend bei Anne Will, in den USA und in allen liberalen Demokratien, die von Rechtspopulisten attackiert werden. Ein Teil des Publikums hat kein Problem damit, die Demokratie aufs Spiel zu setzen, es bleibt locker bei der Vorstellung, dass dieses Experiment auch schiefgehen könnte. Der andere Teil, hier vertreten durch Winkler und Tempel, würde dieses Risiko lieber nicht eingehen. Sie sehen, was auf dem Spiel steht.
Winkler, der sicher nicht zu Alarmismus neigt, sagt, der Begriff des Faschismus werde zu inflationär gebraucht, um ihn leichtfertig zu verwenden, aber Bannon bewege sich doch am äußersten rechten Rand. Dagegen sagt Otte auf die Frage, ob er Trumps Berater für gefährlich halte: "Ich halte Bannon für interessant." Da lacht die Runde. "Schauen wir mal, ob er was Gutes leistet, oder ob er die dämonische Figur wird, zu der wir ihn hier machen." Man hat das Gefühl: Letztlich ist es Otte egal, Hauptsache, es passiert was, Hauptsache, die Ordnung wird durchgeschüttelt.
Wie wird die Sache ausgehen? Tempel befürchtet, dass es nicht um eine neue Ordnung geht, sondern nur um die Zerstörung der bestehenden.
Die vier Gäste, die eine solche Zerstörung nicht herbeisehnen, diskutieren am Ende noch kurz, was man tun kann, um das Ende aufzuhalten. Anne Will versucht sich mit einem Fazit, das dem banalen Spruch von der Krise, der eine Chance innewohnt, ziemlich nahekommt. Aber wirklich bessere Ideen präsentieren auch ihre Gäste nicht. Maas etwa plädiert für mehr direkte Demokratie, Lambsdorff für einen besser funktionierenden Staat. "Demokratie ist viel Arbeit", sagt Sylke Tempel. Kann sein, dass wir gerade dabei zusehen, wie leicht es ist, sie zu zerstören.
Quelle: ntv.de