Die Schüler, die Woche für Woche für mehr Klimaschutz demonstrieren, haben nun einen Forderungskatalog. Die Ziele sind radikal. Mit der Umsetzbarkeit setzen sie sich nicht auseinander.
Glaubt man Sebastian Grieme von der Bewegung Fridays for Future, hat die Menschheit mit ihrer eigenen Vernichtung bereits begonnen. "Wir haben durch unser Handeln das sechste große Artensterben eingeleitet", sagt er im Dinosauriersaal des Naturkundemuseums in Berlin. Hinter ihm steht das Skelett eines der Urzeitriesen, die vermutlich durch einen Meteoriteneinschlag vor rund 66 Millionen Jahren von der Erdoberfläche verschwanden. "Das Ergebnis des fünften großen Artensterbens dürfen Sie hinter uns besichtigen", sagt er bedeutungsschwanger. Ja, die Botschaft, dass der Ort nicht zufällig gewählt sein dürfte, ist angekommen.
Seit Wochen streiken vor allem Schüler, aber auch Studenten und Azubis, bei den Friday-for-Future-Demonstrationen gegen den Klimawandel. Der Protest zieht Zehntausende Schüler auf die Straßen. Niemand zweifelt, dass die Bewegung eine gigantische Resonanz erzeugt. Schüler Linus Steinmetz erinnert daran, dass etwa am 15. März deutschlandweit 300.000 junge Menschen demonstriert hätten. "Auf der ganzen Welt waren es sogar 1,5 Millionen", sagt er. Kritiker der Bewegung führen aber nicht nur an, dass die Kinder und Jugendlichen ausgerechnet zur Schulzeit demonstrieren gehen, sondern vor allem, dass die Forderungen maximal unkonkret sind. Das soll sich ändern. Erstmals stellt die Bewegung in Deutschland nun vor, was sie eigentlich konkret will.
CO2-Steuer von 180 Euro pro Tonne
Über allem steht für die Schüler die Einhaltung des im Pariser Abkommen festgelegten Zieles. 2015 hatten sich 196 Uno-Staaten darauf geeinigt, die Erderwärmung dauerhaft auf zwei Grad oberhalb des Niveaus der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. In einer nachträglich vorgelegten Untersuchung aus dem Jahr 2018 hieß es dann jedoch, gefährliche Kipppunkte könnten nur vermieden werden, wenn dieses Ziel auf 1,5 Grad korrigiert werde. Das könne nur erreicht werden, wenn der weltweite CO2-Ausstoß bis 2030 - verglichen mit dem Basisjahr 2010 - um 45 Prozent gesenkt werde und bis 2050 auf null absinke.
Die Anstrengung der deutschen Bundesregierung, bis 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen, reicht den Schülern also nicht aus. Sie fordern den Ausstieg bereits im Jahr 2030. Fünf Jahre später soll dann die Nettonull erreicht werden. Das heißt, dass Deutschland ab diesem Zeitpunkt nicht mehr CO2 ausstoßen darf, als durch natürliche Prozesse, etwa das Wachstum von Pflanzen, wieder aufgenommen wird. Außerdem müssten bis Ende des Jahres die Subventionen für fossile Energieträger auslaufen, ein Viertel der Kohlekraftwerke müsse abgeschaltet und der Ausstoß von CO2 müsse durch eine Besteuerung massiv verteuert werden. 180 Euro pro Tonne schwebt den Schülern als Abdeckung für die Folgekosten vor. Bis 2035 soll die Energieversorgung Deutschlands komplett auf erneuerbaren Energien basieren. Der Schüler Grieme macht klar, dass es dabei nicht bloß um die Stromversorgung geht. Die Schüler sprechen vom "kompletten Energiebedarf", also inklusive der Energiequellen für Transport und Heizen.
Die Umsetzung der radikalen Forderungen soll dabei "sozial verträglich" gestaltet werden und dürfe keineswegs "einseitig zulasten von Menschen mit geringem Einkommen" gehen. Wie das konkret ablaufen soll, sagten die Schüler nicht. "Wir sind nicht die Experten, nicht die Profis, von denen Christian Lindner spricht." Der FDP-Chef hatte in einem Interview gesagt, von Kindern und Jugendlichen könne man nicht erwarten, "dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen". Das sei vielmehr "eine Sache für Profis". Dafür hatte er viel Kritik eingesteckt. Nun bestätigen ihn ausgerechnet die Schüler, die sich nur als Impulsgeber sehen wollen.
Unangenehme Nachfrage nach der Kernkraft
Und so behandeln sie auch kritische Nachfragen. Als die Schülerin Svenja Kannt darauf angesprochen wird, dass sich die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg positiv über Kernkraft als Werkzeug zur globalen CO2-Reduktion geäußert habe und ob auch Fridays for Future in Deutschland das so sehe, antwortet sie, der Ausstieg sei doch schon beschlossen und Kernkraft kaum noch erheblich für den deutschen Energiemix. Nachfrage eines Journalisten: Aber geht es nicht um ein globales Phänomen? Der Moderator lenkt ein und beendet die Frage mit den Worten, Fridays for Future habe hier eben die Ziele für Deutschland formuliert. Nächste Frage.
Später hakt noch einmal jemand kritisch nach. Diesmal will eine Journalistin wissen, ob die Schüler tatsächlich glauben, dass die Bundesregierung die Ergebnisse der Kohlekommission, die ja lange getagt habe, "über den Haufen" werfen würde. Kritiker führen an, der im Abschlussbericht des Gremiums skizzierte Weg eines Kohleausstiegs sei viel zu ehrgeizig, die Kosten von rund 40 Milliarden Euro zu hoch. Schüler Grieme antwortet, Deutschland habe die Erklärung von Paris unterzeichnet und hätte danach die Ergebnisse der Kohlekommission eben ablehnen müssen. Dass sie nun hier sitzen, nachdem die Kommission getagt habe, sei schließlich "nicht ohne Grund so", lenkt wieder der Moderator ein.
Weiter protestieren wollen die Schüler nach eigenen Angaben, bis Teile ihrer Forderungen erfüllt werden. Angesichts des ehrgeizigen Katalogs werden voraussichtlich noch viele Unterrichtsstunden entfallen.
Quelle: ntv.de