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Härterer Kurs gegen Flüchtlinge "Deutschland hat nie so Trump-mäßig agiert"

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Durch seinen Vorstoß will Merz Abschiebungen erleichtern.

Durch seinen Vorstoß will Merz Abschiebungen erleichtern.

(Foto: picture alliance/dpa)

CDU-Chef Friedrich Merz fordert in seinen Anträgen eine schärfere Asylpolitik. Auf der anderen Seite des Atlantiks geht der US-Präsident bereits hart gegen Migranten vor. Falls sich die Bundesregierung Donald Trumps Methoden zum Vorbild nehme, könnte sie sich verzocken, warnt Migrationsforscher Raphael Bossong.

ntv.de: Zwei Anträge und ein Gesetzesvorschlag zeigen, wie Friedrich Merz Migration begrenzen will: Personen ohne gültige Einreisepapiere sollen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen und der Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutz beendet werden. Zudem sollen Sicherheitsbehörden und die Bundespolizei mehr Befugnisse bekommen, auch um die Abschiebehaft auszuweiten. Angenommen, Merz wird Bundeskanzler und macht sich an die Arbeit - könnte er alles so einfach umsetzen?

Raphael Bossong: Es gibt drei Ebenen, die man unterscheiden muss. Die erste ist EU-Recht. Die zweite sind grundsätzliche Menschenrechte, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Dritte ist das deutsche Recht, besonders das Grundgesetz. In allen drei Bereichen gibt es erhebliche Fragezeichen. Im politischen Diskurs kommt man mit diesen rechtlichen Bedenkenträgereien aber nicht mehr weiter. Die Politik hat jetzt den Auftrag, Dinge zu verändern. Das ist möglich. Weder das Grundgesetz noch die Europäische Menschenrechtskonvention noch EU-Recht sind in Stein gemeißelt. Die Frage ist, mit welcher Härte man darauf einwirken will, mit der Brechstange oder nicht.

Dr. Raphael Bossong forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zum Thema Migration.

Dr. Raphael Bossong forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zum Thema Migration.

Bedenkenträger sind vor allem linke und grüne Parteien in Bezug auf das EU-Recht. Sind das Ausreden?

Die Frage ist, ob Berlin EU-Recht aussetzen kann und falls ja, unter welchen Bedingungen? Da geht es um die Drittstaatsklausel im Grundgesetz. Das ist eine Regelung im Asylrecht, nach der Personen, die zwar politisch verfolgt wurden, aber über einen sicheren Drittstaat einreisen, nicht das Recht auf Asyl wegen politischer Verfolgung geltend machen dürfen. Ich glaube nicht, dass wir dadurch das EU-Recht dauerhaft aushebeln können, weil das vor dem Europäischen Gerichtshof keinen Bestand haben könnte. Das Problem sind auch die dauerhaften Grenzkontrollen, die Merz anordnen möchte. Die Kontrollen gibt es schon seit 2016, obwohl das die Reisefreiheit im Schengen-Raum verletzt. Die Bundesregierung muss sie deshalb durch überaus kreative Rechtsauslegung immer neu begründen. Um die Grenzkontrollen dauerhaft einzuführen, müsste Merz jetzt einen dauerhaften Notstand ausrufen und das macht keinen Sinn. Ein Notstand kann nur punktuell ausgerufen werden.

Angenommen, Merz würde juristisch mit seinen Vorschlägen durchkommen und die Migranten ohne gültige Einreisepapiere kämen nicht mehr nach Deutschland rein. Welche Effekte könnte es geben?

Aus deutscher Sicht wäre es ein idealer Effekt, wenn die anderen Staaten sagen: Na gut, dann nehmen wir die Leute halt, zumindest einige von ihnen. Die Staaten an den Außengrenzen würden mehr denn je Anreiz haben, niemanden mehr reinzulassen. In letzter Konsequenz würden wir damit systematisch Pushbacks legitimieren - also gewaltsame Zurückweisungen von Menschen an den Außengrenzen. Es muss aber nicht so kommen. Ein mögliches Szenario wäre auch ein Pingpong-Spiel, in dem zwei Staaten die Migranten immer wieder hin und her schicken. Das machen Italien und Frankreich schon, nahe der italienischen Stadt Ventimiglia in den Alpen. Italien bringt die Leute nach Frankreich, die Franzosen bringen sie wieder zurück, völlig unkoordiniert. Das geht dann 10- bis 15-mal so. Außerdem würden insgesamt mehr Leute über die grüne Grenze irgendwo in der Natur fliehen, weil Grenzen nicht lückenlos kontrolliert werden können. Dann könnten Migranten zum Beispiel über die Oder nach Frankfurt schwimmen oder andere Schleichwege finden.

Vieles im EU-Asylsystem funktioniert nicht, etwa die Dublin-Regel. Ihr zufolge müssen Migranten eigentlich in dem Mitgliedstaat Asylanträge stellen, in dem sie zum ersten Mal den Boden der EU betreten. Aber die Ankunftsstaaten winken die Migranten durch. Lässt sich Deutschland von diesen Ländern auf der Nase herumtanzen?

Als die Dublin-Regeln in den 90er Jahren vereinbart wurden, war allen Beteiligten klar, dass sie unfair sind - und zwar für die Ankunftsstaaten. Aber damals waren die Flüchtlingszahlen niedrig und auch die Südländer hatten das so hingenommen. Wir haben bis jetzt keine Verteilung von Flüchtlingen, die geregelt funktioniert. Es war bislang eine Art inoffizieller Deal, dass die Nordländer das Weiterleiten von Migranten in den Südländern in gewissem Umfang toleriert haben, weil die sonst die ganze Last zu tragen hätten. Der neue Asylpakt der EU sieht künftig unter anderem vor, dass an den Außengrenzen in den Ankunftsstaaten Asylzentren für Schnellverfahren errichtet werden. Man kann argumentieren: Das alles reicht nicht, um das Ungleichgewicht für Deutschland zu korrigieren. Die Frage ist, was passieren würde, wenn EU-Länder in der Migrationsfrage nicht mehr kooperieren, wenn etwa Deutschland Migranten an der Grenze zurückweist. Warum sollten die Länder an der Außengrenze sie dann aufnehmen? Die Bundesregierung hat deshalb bislang nicht mit diesen harten Bandagen gespielt. Deutschland hat nie so Trump-mäßig agiert. Die Frage lautet: Ist das jetzt notwendig oder macht es das alles nur noch schlimmer?

Die kommende Bundesregierung sollte sich also nicht die Methoden des US-Präsidenten Donald Trump zum Vorbild nehmen?

Es gibt Politiker, die angetan sind von diesem Trump-Stil. Trump hatte Kolumbien mit Visabeschränkungen gedroht, falls es sich weigert, die abgeschobenen Migranten aus den USA aufzunehmen. Damit hatte er Erfolg. Auch EU-Länder haben schon Druck auf alle möglichen Drittstaaten außerhalb der EU ausgeübt. Aber wir reden bei Dublin über innereuropäische Zusammenhänge. Wir können Slowenien, Italien oder vielleicht sogar Österreich massiv unter Druck setzen, indem wir ankündigen, die deutschen Grenzen zu schließen. Wir können dadurch aber Probleme bekommen, wenn wir die Slowenen, Österreicher oder Italiener in der EU für Kompromisse bei anderen Dingen brauchen. Deutschland war bisher eher zurückhaltend. Man kann argumentieren: Wir müssen jetzt glaubwürdiger eine Drohkulisse aufbauen. Dann werden die anderen sich ihrerseits überlegen, ob sie bereit sind, das bis zum Letzten durchzupokern. Aber es ist ein Pokerspiel, in dem man 'All In' geht. Es kann sein, dass man sich verzockt.

Da Trump mit seinen Drohungen gegen Kolumbien Erfolg hatte: Sollten Deutschland und andere EU-Länder versuchen, auf die Herkunftsstaaten der Migranten mehr Druck auszuüben für Rückführungen?

Es kommt darauf an, mit welchem Land verhandelt wird. Mit Visabeschränkungen hat die EU den Herkunftsstaaten auch schon gedroht, mit gemischten Ergebnissen. Im Fall Bangladesch wurden dadurch angeblich Ergebnisse erzielt. Wir können aber Syrien und Afghanistan nicht mit Visa- oder Handelsbeschränkungen drohen, weil es kaum wirtschaftliche oder diplomatische Beziehungen gibt. Die FDP fordert, Entwicklungshilfe für Länder an Konditionen zu koppeln. Das wird aber bereits so gemacht. Bei Ägypten und der Türkei hat man auf Wirtschaftshilfen gesetzt. Man kann also an der einen oder anderen Stellschraube drehen. Es läuft aber nicht nach dem Motto: So, wenn ich jetzt mit dem Fuß aufstampfe, dann springen alle.

Mit Raphael Bossong sprach Lea Verstl

Quelle: ntv.de

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