Politik

Österreichs Anti-System-Wahlkampf "Die FPÖ macht das wirklich geschickt"

Der nächste österreichische Bundespräsident? FPÖ-Kandidat Hofer hat gute Chancen, sich bei der Stichwahl durchzusetzen.

Der nächste österreichische Bundespräsident? FPÖ-Kandidat Hofer hat gute Chancen, sich bei der Stichwahl durchzusetzen.

(Foto: dpa)

Der Rechtspopulist Norbert Hofer geht am Sonntag als Favorit in die Stichwahl um das Präsidentenamt in Österreich. Sein Sieg im ersten Wahlgang hat ein Politbeben ausgelöst, das Kanzler Werner Faymann zum Rücktritt zwang. Der Wiener Politikberater Thomas Hofer erklärt, warum er nicht von einem Rechtsruck im Land spricht und Österreich nicht auf dem Weg in ein autoritäres Regime sieht - und wie das ZDF dem FPÖ-Kandidaten hilft.

n-tv.de: Die vergangenen Monate in Österreichs Politik waren turbulent. Seit Dienstag hat die Republik einen neuen Kanzler, am Sonntag einen neuen Bundespräsidenten. Ist die politische Krise damit beendet?

Thomas Hofer: Ruhig wird es sicher nicht. Es bleiben krisenhafte Erscheinungen – auch für den neuen Kanzler ist es eine Herausforderung, in der SPÖ für Ruhe zu sorgen. Dazu kommt die entscheidende Frage: Wie geht die SPÖ den Weg mit der ÖVP? Geht die Blockadepolitik weiter oder findet die Koalition zu einem Miteinander und kommt heraus aus diesem Stillstand der letzten acht, neun Jahre? Es ist sicher die allerletzte Chance für Rot-Schwarz. Und wenn dann auch noch Norbert Hofer Bundespräsident werden sollte, tritt ein neuer Player auf das Parkett, der die Sache für die Regierung nicht einfacher macht.

Das schlechte Ergebnis des SPÖ-Kandidaten im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl war der Sargnagel für Kanzler Werner Faymann. Warum hat ihn der Schwenk in der Asylpolitik – weg von Merkel, hin zu Seehofer – nicht gerettet?

Erstens war es der gefühlt 27. Schwenk von Faymann. Er hat seine Kanzlerschaft begonnen mit dem sogenannten "Europa-Brief" an die "Kronen"-Zeitung, das größte Boulevardblatt im Land. Da hat er aufgrund der Debatten um den Vertrag von Lissabon Volksabstimmungen über künftige Vertragsänderungen versprochen, das klang mehr als EU-skeptisch. Dann hat er sich zu einem Freund der EU und von Angela Merkel gewandelt – und nun eben diese Kehrtwende von der Kehrtwende. Zweitens hat ihn aber etwas anderes das Amt gekostet: seine Konturlosigkeit. Faymann hat nach außen hin den Eindruck erweckt, es gehe ihm nur um die Schlagzeilen von morgen, für die er auch mal seine Linie ändert. Und dann hat er schlicht und einfach die SPÖ-Niederlagen in 18 der letzten 20 Wahlen zu verantworten. Da taten sich Gräben in der Partei auf, die er nicht zuschütten konnte, weil es ihm an Führungskraft mangelt. Die Debatten um ihn gab es schon seit 2010, die Flüchtlingskrise war da nur ein Brandbeschleuniger.

Thomas Hofer arbeitet als Politikberater in Wien. Mit Norbert Hofer ist er nicht verwandt.

Thomas Hofer arbeitet als Politikberater in Wien. Mit Norbert Hofer ist er nicht verwandt.

(Foto: www.hppa.at)

Welche Rolle hat die Flüchtlingskrise denn im ersten Wahlgang zur Bundespräsidentenwahl gespielt?

Das war keine Flüchtlingsabstimmung, sondern eine Anti-Establishment-Wahl. Auch anderswo reüssieren ja Anti-System-Politiker, denken Sie an Donald Trump. Drei Viertel der österreichischen Bevölkerung sind laut einer aktuellen Studie wenig oder gar nicht zufrieden mit der aktuellen Form der Politik und den Parteien. Das lässt tief blicken. Die Flüchtlingskrise hat diese Missstimmung nur noch verschlimmert. Den Begriff "Wutbürger" gibt es ja schon lange, auch in Deutschland, aber derzeit hat er in Österreich wieder Konjunktur.

In Deutschland wird viel über einen "Rechtsruck" in Österreich gesprochen. Wenn Sie die Wahlen als gegen das "Establishment" gerichtet charakterisieren, heißt das, man müsste eher von einer Erosion der politischen Mitte sprechen?

Es ist ja klar, dass es von außen nach einem Rechtsruck aussieht. Norbert Hofer hat im zweiten Wahlgang die Favoritenrolle inne. Die Agenda der FPÖ hat Jörg Haider seit 1986 handwerklich - das ist keine inhaltliche Bewertung - hervorragend umgesetzt, auf einer polit-strategischen Ebene. Er hat die politische Rahmenerzählung gestaltet und damit Öffentlichkeit und auch die Regierungspolitik beeinflusst. Deswegen sieht es so aus, als würde die Regierung nur der FPÖ hinterherlaufen. Das ist eine Hauptaufgabe für Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner: Unterscheidungsmerkmale zur FPÖ aufzubauen, zum Beispiel in der Integrationspolitik, in der Bildung, am Arbeitsmarkt – und nicht einfach nur die Inhalte der Freiheitlichen zu übernehmen. Aber auch wenn es wie ein Rechtsruck wirkt: Die 35 Prozent, die Hofer gewählt haben, sind ja keine Rechtsradikalen. Die FPÖ ist eine rechtspopulistische Partei mit sehr heftigen Inhalten - aber das Votum war eher eines gegen die Regierung als für die Agenda der FPÖ. Sie profitiert von der Themenlage, weil sie in der Migrationsfrage seit 30 Jahren klar positioniert ist. Aber ich sehe weniger eine Stärke der FPÖ als vielmehr die Schwäche der anderen.

Der Kampf um die Hofburg

Der neue österreichische Präsident wird am 22. Mai in einer Stichwahl bestimmt. Im ersten Wahlgang am 24. April hatte keiner der sechs Anwärter die absolute Mehrheit errungen. Die Kandidaten der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP hatten je nur rund 10 Prozent erhalten, eine Demütigung für die Regierung. Die meisten Stimmen (35 Prozent) hatte Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ verbucht, sein Konkurrent in der Stichwahl ist der Grüne Alexander van der Bellen (21 Prozent). Umfragen deuten auf ein enges Rennen hin, mit leichten Vorteilen für Hofer.

So oder so könnte aber am Ende eine blaue Republik stehen – und dann befürchten einige Beobachter schon Schritte in Richtung autoritäres Regime à la Viktor Orban in Ungarn.

Ich bin zwar der Meinung dass die 2. Republik an ihr Ende gelangt ist, das heißt aber nicht zwingend, dass sie abgelöst wird von einer 3. Republik autoritären Zuschnitts. Das ist doch gestaltbar, von allen Parteien. Das hat nur die Regierung zumindest bis vorige Woche noch nicht gemerkt. Ja, die FPÖ befindet sich in einer guten Ausgangslage für die nächsten Nationalratswahlen. Aber zu glauben, man könnte nicht einige dieser Systemverdrossenen wieder zurückholen - das grenzt für mich an Selbstaufgabe.

Der Mann, der im ersten Wahlgang das beste nationale Ergebnis aller Zeiten für die FPÖ geholt hat, gilt als "freundliches Gesicht der Partei". Ist Norbert Hofer wirklich so oder trägt er eine Maske?

Um das zu beurteilen, kenne ich ihn persönlich nicht gut genug. Er galt hinter den Kulissen immer als Personalreserve. Wenn die FPÖ Koalitionsverhandlungen geführt und Parteichef Heinz-Christian Strache, der härter positioniert ist, ein Problem dargestellt hätte, wäre er ein potenzieller Kompromisskandidat für das Kanzleramt gewesen. Er gilt als verbindlich und freundlich im Ton. Aber das kann kippen, wie wir im TV-Duell am Sonntag gesehen haben. Und er ist ideologiefest, um es neutral zu formulieren. Hofer war einer der federführenden Autoren des FPÖ-Programms und des Handbuchs freiheitlicher Politik, das ist die Extended Version, in der sehr scharfe Positionen drin sind. Hofer ist kein weichgespülter Vertreter der FPÖ, er weiß schon, wofür und wogegen er ist.

Er selbst stellt sich immer als "Mann des Volkes" dar, seinen Gegner Alexander van der Bellen verspottet er als Kandidaten der Schickeria. Geben die Wählerdaten das her?

Alexander van der Bellen kam in der ersten Wahlrunde auf 21 Prozent.

Alexander van der Bellen kam in der ersten Wahlrunde auf 21 Prozent.

(Foto: dpa)

Das ist eine Strategie. Hofer will van der Bellen ins Regierungslager stellen, nach dem Motto: Er steht mit denen da oben gegen uns da unten. Umgekehrt versucht van der Bellen Hofer als Marionette von Parteichef Strache und als Wegbereiter einer blauen Republik autoritären Zuschnitts darzustellen. Die Daten der Wähler sagen uns, dass van der Bellen tatsächlich bei den besser Gebildeten, in höheren Einkommensschichten und in den Städten mehr Erfolg hat. Aber so breit ist die Schickeria in Österreich nun nicht, dass dieser Begriff das gesamte Wählerspektrum van der Bellens abbilden würde. Hofer macht da teilweise aus der Not eine Tugend. Van der Bellen wird von Leuten aus der ÖVP, der SPÖ, von Künstlern und Wissenschaftlern und zuletzt auch von der im ersten Wahlgang drittplatzierten unabhängigen Kandidatin Irmgard Griss unterstützt. Das bekommt Hofer nicht zustande, deswegen sagt er: Da sind die Promis, aber ich bin für Otto Normalverbraucher da und nicht für das Establishment – da sind wir wieder beim Thema Anti-System-Wahl. Das macht die FPÖ handwerklich geschickt: Sie tritt ein für den Ausbau direkter Demokratie und inszeniert Hofer als Anwalt der Bevölkerung und ihrer Anliegen in der Hofburg. Das darf man nicht unterschätzen, das ist wirklich geschickt formuliert.

Aus deutscher Sicht ist noch eine weitere Strategie der FPÖ interessant: Hofer hält van der Bellen stets seine Unterstützer, oder wie er sagt "Freunde", aus Deutschland und in Brüssel vor. Was steckt dahinter, eine Art Wagenburg-Mentalität?

Wenn Sie es so nennen wollen, ja. Da gibt es zwei berühmte Beispiele. Bei der Präsidentschaftswahl 1986 kam Kritik wegen der SA-Vergangenheit von Kandidat Kurt Waldheim auf, unter anderem geäußert vom World Jewish Congress. Es folgte ein "Jetzt-erst-recht-Wahlkampf" unter dem Motto: Wir lassen uns doch vom Ausland nicht erzählen, wen wir wählen sollen. Waldheim gewann die Wahl. Im Jahr 2000 verhängten 14 EU-Länder Sanktionen, weil die ÖVP eine Regierungskoalition mit Haiders FPÖ geschlossen hatte. Die Regierung war auch im Land alles andere als unumstritten, aber die Sanktionen führten zu einer Art Schulterschluss nicht aller, aber breiter Bevölkerungsteile. Van der Bellen hat auch versucht, die Unterstützung aus dem Ausland nicht allzu hoch zu hängen. So etwas wie das satirische Hakenkreuz-Schnitzel der "Heute-Show" wird natürlich von der FPÖ breitgetreten. Nach dem Motto: Schaut’s, jetzt kommt wieder die Faschismuskeule. Solch scharfe Zuspitzung hilft Norbert Hofer.

Ein großes Thema im Wahlkampf war das Amtsverständnis: Beide wollen eine aktivere Rolle einnehmen als ihre Vorgänger. Hofer drohte sogar damit, die Regierung zu entlassen, wenn er mit ihr nicht zufrieden ist. Für wie realistisch halten Sie so ein Szenario?

Kurzfristig nicht sehr realistisch. Auch van der Bellen hat einen Fehler gemacht und gesagt, er würde einen Kanzler der FPÖ nicht einmal vereidigen, wenn er die absolute Mehrheit geholt hat. Beide haben sich da eine hyperventilierende Amtsanmaßung im Wahlkampf geleistet. Hofer weiß: Wenn er das umsetzen würde, gereicht es ihm nicht zum Vorteil. Das würde ja als eine Art Staatsstreich wahrgenommen, was wiederum die Chancen der FPÖ bei den Neuwahlen verschlechtern würde. Eher wird Hofer versuchen, seine populären Themen weiter zu spielen, sich öfter zu Wort melden als noch Heinz Fischer, die Regierung zu sich zitieren – aber an eine schnelle Eskalation glaube ich nicht.

Also auch nicht an Neuwahlen vor dem offiziellen Termin im Herbst 2018?

Neuwahlen sind in den letzten Monaten ein Stück weit wahrscheinlicher geworden. Aber das hängt vor allem von der Neuaufstellung der Regierung ab. Einigen sich Christian Kern und die ÖVP auf Reformprojekte, kann es bis 2018 dauern, geht die Blockade weiter, wählen wir früher. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Neuwahlen unbedingt von einem Präsidenten Hofer ausgelöst würden. Aber: Österreichische Politik ist manchmal irrational.

Und die Meinungsumfragen zuletzt völlig unzuverlässig. Wer gewinnt denn die Stichwahl am Sonntag?

Ich will mich nicht festlegen. Natürlich ist Hofer Favorit, der Weg über die 50 Prozent ist für ihn kürzer. Ich bin vor allem gespannt, wie viele Menschen nicht oder ungültig wählen. Aber zu einer Prognose lasse ich mich nicht hinreißen.

Mit Thomas Hofer sprach Christian Bartlau

Quelle: ntv.de

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