Merkel bremst Schulz aus Die Gewinner und Verlierer des TV-Duells
04.09.2017, 00:06 Uhr
Mitglieder der Jungen Union empfangen Kanzlerin Merkel im TV-Studio in Berlin-Adlershof mit diesem Plakat.
(Foto: imago/foto2press)
Martin Schulz' erste Attacke verpufft nach wenigen Minuten. Kanzlerin Angela Merkel pariert den Angriff. Und am Kräfteverhältnis wird sich im TV-Duell wenig ändern. Doch nicht nur für den SPD-Chef lief es nicht nach Plan.
Gewinner
Angela Merkel: Die CDU-Vorsitzende gewann zwar bei drei Bundestagswahlen 2005, 2009 und 2013. Bei den entsprechenden TV-Duellen ging sie jedoch nicht als Siegerin hervor. Diesmal war Merkel überzeugender als ihr Herausforderer. Das belegen auch verschiedene Umfragen nach der Sendung. Woran es lag? Merkel parierte die meisten Angriffe der insgesamt überschaubaren Zahl von Angriffen des SPD-Kanzlerkandidaten. Beim Thema Flüchtlingspolitik warf Martin Schulz ihr Fehler vor. Merkel gestand daraufhin nicht nur Fehler ein, sie erinnerte Schulz auch daran, die Entscheidung im September 2015 gemeinsam mit den SPD-Ministerin Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel getroffen zu haben. Damit nahm sie den Koalitionspartner, also Schulz' Partei, in Mithaftung.
Als der SPD-Kandidat der Union ein allzu enges Verhältnis zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban vorhielt, konterte sie und verwies auf Robert Fico. Der slowakische Ministerpräsident ist Sozialdemokrat und ebenfalls vehementer Gegner der deutschen Flüchtlingspolitik. Auch beim Thema Türkei trat Merkel sicher auf und gab die besonnene Staatsfrau. Sie warnte Schulz davor, die Beziehungen übereilt aufzugeben. "Es gibt 50 Prozent in der Türkei, die hoffen auf uns", sagte Merkel. "Ich breche die Verhandlungen nicht ab, nur weil wir uns im Wahlkampf übertreffen wollen."
Am Schluss zeigte sich die Kanzlerin sogar überraschend schlagfertig. Auf mögliche Koalitionen angesprochen, schloss sie Bündnisse mit AfD und Linken aus und schob hinterher: "Ich finde, dass die Zuschauer einen Anspruch darauf haben, dies von der SPD zu hören." Im Schlusswort räumte sie noch die sozialdemokratischen Themen Digitalisierung und Bildung ab, die im Duell überhaupt keine Rolle spielten.
Für Merkel ist die Veranstaltung vor allem aus einem Grund ein Erfolg: Sie konnte verhindern, dass Schulz echte Treffer landet. Das Duell wird ihm wohl kaum helfen, den Abstand auf die Union zu verkürzen und drei Wochen vor der Wahl eine neue Dynamik auszulösen.
Kleine Parteien: Sie waren gar nicht dabei - und dürfen dennoch frohlocken. Linke, Grüne, FDP, AfD und die vielen anderen Parteien, die bei der Wahl antreten. Denn zwischen Kanzlerin Merkel und Herausforderer Schulz wurden im TV-Duell kaum inhaltliche Unterschiede deutlich. Die Große Koalition unterhielt sich mit sich selbst. Und glaubhaft kritisieren können sich beide wenig, haben sie doch alles zusammen zu verantworten. Und so konnten sowohl Merkel als auch Schulz nur selten sagen, was sich ändern wird. Obendrein vermieden beide Koalitionsaussagen. Dass in den fast 100 Minuten viele Themen ausgespart wurden, bietet viel Raum für alle anderen Parteien. Sie haben nun die Chance, sich als tatsächliche Alternativen zu präsentieren.
Verlierer
Martin Schulz: Das TV-Duell war seine große Chance, wahrscheinlich seine letzte. Die Partei des Kanzlerkandidaten, der Anfang 2017 so spektakulär gestartet war, steht in den Umfragen kurz vor der Wahl bei 22 bis 23 Prozent und damit weit hinter CDU und CSU. Umso größer waren die Erwartungen bei Schulz und den Sozialdemokraten - sie waren zu groß. Aber auch wenn der eigene Anhang den Kandidaten nach dem Duell zum Sieger kürte: Schulz gelang nicht der erhoffte Befreiungsschlag. Er wirkte angespannt, in einigen Momenten sogar gefrustet. Er formulierte manchmal umständlich und war insgesamt nicht angriffslustig genug - so wie es nötig gewesen wäre, um eine Alternative aufzuzeigen.
Merkel war die Erfahrung von drei absolvierten Duellen anzumerken, sie wirkte lockerer und souveräner. Schulz triumphierte zwar, als Merkel sich gegen die Rente mit 70 aussprach. Ein Punktsieg war dies jedoch nicht, denn die Kanzlerin räumte damit mal wieder Trennendes aus dem Weg. Ihre Botschaft: Warum SPD wählen, wenn auch ich gegen eine Verschiebung des Renteneintrittsalters bin? Selbst wenn die Rente mit 70 irgendwann doch kommen sollte, wird es Schulz nicht mehr helfen.
Das TV-Duell: Schon bei den Verhandlungen im Vorfeld gab es Streit. Das Kanzleramt verhinderte sowohl eine Änderung des Formats als auch die Austragung eines zweiten Duells. Damit zog sich die Union viel Unmut zu. Das Duell bot auch am Abend seiner Ausstrahlung viel Angriffsfläche. Die Struktur wirkte teilweise chaotisch, viele Themen kamen zu kurz oder wurden gar nicht behandelt. Die zeitliche Aufteilung der Inhalte war unverhältnismäßig: 45 Minuten Flüchtlinge und Einwanderung, 13 Minuten Türkei und Nordkorea, weniger als 10 Minuten soziale Gerechtigkeit, nur 8 Minuten Dieselaffäre, 6 Minuten Steuern und am Schluss 5 Minuten Innere Sicherheit.
Die für viele Wähler relevanten Themen Mieten, Bildung, Wirtschaft, Energie, Arbeit, Umwelt, Gesundheit und Pflege entfielen ganz. Auch die Debatte über das Zwei-Prozent-Ziel der Nato und eine Erhöhung des Verteidigungsetats, was im SPD-Wahlkampf eine prominente Rolle spielt, fand überhaupt nicht statt. Merkel griff dies sogar auf und sprach wohl vielen Zuschauern aus der Seele, als sie in ihrem Schlusswort erklärte: "Aus meiner Sicht haben wir nicht ausführlich genug darüber gesprochen, was eigentlich zur Entscheidung steht in den nächsten vier Jahren." Ein echter Treffer gegen Schulz, dessen SPD sich eigentlich als die treibende Fortschrittspartei versteht. Die Sender und die Parteien sollten sich in vier Jahren wirklich überlegen, ob der Schlagabtausch in dieser Form noch Sinn ergibt.
Der Wähler: Wer tatsächlich eine Wahlhilfe an diesem Abend erwartet hat, wurde bitter enttäuscht. "Zeit für mehr Gerechtigkeit" heißt das SPD-Wahlprogramm. Zumindest in den 97 Minuten TV-Duell ist für nähere Erläuterungen dazu praktisch keine Zeit gewesen. Auch bei vielen anderen Themen gilt: Wen es interessiert, der möge in den Wahlprogrammen suchen.
"Da stimme ich Ihnen zu", ist ein vielgebrauchter Satz an diesem Abend. Dass ausgerechnet der Herausforderer mehrfach der Kanzlerin Recht gibt, macht die Sache nur noch trüber. Unterschiede werden so bestenfalls in der Wortwahl deutlich. Und wen nun wählen? Vielleicht werden Sie hier schlauer.
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Quelle: ntv.de