"Die FDP ist ein Lebensgefühl" Die Liberalen feiern "wie im Berghain"
24.09.2017, 22:25 Uhr
Die Galionsfigur der FDP: Parteichef Lindner kann kaum ausreden vor lauter Jubel.
(Foto: dpa)
Der Jubel in der Parteizentrale ebbt nicht ab. Die FDP hat das lange Zeit Undenkbare geschafft - den Wiedereinzug in den Bundestag. Doch viele ihrer Mitglieder wissen auch: "Jetzt fängt die Arbeit an. Jetzt müssen wir erstmal genügend Personal rankarren."
"Das ist ja wie im Berghain", stößt eine junge Frau hervor. Dicht an dicht stehen Frauen und Männer jeden Alters, mit Wein- und Biergläsern in der Hand, und sie hören nicht auf zu klatschen. In der FDP-Parteizentrale in Berlin-Mitte ebbt der Jubel an diesem Wahlabend kaum ab. Und als dann noch "unsere Galionsfigur", wie ihn eine Frau in blauem Kleid mit FDP-Sticker nennt, Parteichef Christian Lindner aufs Podium tritt, gibt es kein Halten mehr. Lindner kann kaum ausreden, immer wieder bejubelt und beklatscht ihn die Menge, "Danke Christian", erschallt es. Das Publikum schwenkt Transparente mit dem FDP-Logo und zückt Handys zum Fotografieren und Filmen.
Ganz so wie im Berghain, jenem legendären Club in Berlin, ist es dann doch nicht. Aber es ist der Abend, auf den sie so sehnsüchtig gewartet haben, der Abend der Genugtuung nach vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition: 10,5 Prozent besagen die ersten Hochrechnungen, die auf der Großleinwand eingeblendet werden. Mehr als viele in ihren kühnsten Träumen erhofft hatten. Das Projekt Rückkehr in den Bundestag ist der FDP grandios gelungen.
Und Lindner steht auf der Bühne des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses, im eng sitzenden blauen Anzug mit roter Krawatte, und verspricht seiner Partei: Die vergangenen vier Jahre seien die letzte Periode ohne eine liberale Stimme im Parlament gewesen. Mit rauer Stimme, der der monatelange Dauerwahlkampf anzuhören ist, schlägt er zugleich warnende Töne an: "Der Erneuerungsprozess der FDP ist nicht abgeschlossen. Es gibt weiterhin viel zu tun."
Doch an diesem Abend wollen die meisten davon nichts hören und erstmal ihren Parteichef feiern. Mit rhythmischem Klatschen und Christian-Lindner-Schildern. Schließlich wissen sie, was sie ihm zu verdanken haben: Dass er die Partei aus ihrer existenziellsten Krise gerettet hat. Vier Jahre war sie nicht mehr im Bundestag, davon anderthalb Jahre noch nichtmals mehr im Bundesrat. Als "stinkende Leiche" galt sie vielen. Kaum einer hätte noch auf die darniederliegende FDP gewettet.
"Maßgeblich Lindner zu verdanken"
Ex-Parteichef Wolfgang Gerhardt ist daher sichtlich zufrieden an diesem Abend. "Es lässt sich nicht leugnen, dass das Ergebnis maßgeblich Lindner zu verdanken ist", sagt er. "Nun gibt es wieder ein richtiges liberales Milieu." Und er ist sich sicher: "Wir werden arbeitsfähig sein." Doch wie Lindner schlägt auch er mahnende Töne an. Die Partei dürfe nun vor allem nicht überheblich sein, sondern müsse vielmehr "beständig sein und Sacharbeit leisten". Über Koalitionsfragen will er an diesem Abend nicht reden.
Andere schon. Als das Ergebnis der SPD bekannt wird, stößt mancher einen Seufzer aus. Kaum einer glaubt mehr, dass es unter diesen Umständen zu einer Neuauflage der Großen Koalition kommt. Als Alternative bliebe dann nur Jamaika, eine Koalition mit Union und Grünen. "Das ist eine riesige Herausforderung", sagt ein langjähriges FDP-Mitglied. Der bärtige Mann, der eigens aus Freiburg angereist ist, hätte sich lieber eine schwarz-gelbe Mehrheit gewünscht. Sein Freund, ein Arzt mit gelbem Einstecktuch im blauen Jacket, der bei Umfragewerten von 2 Prozent in die Partei eingetreten war, sagt, was auch viele andere an diesem Abend umtreibt: "Jetzt fängt die Arbeit an. Jetzt müssen wir erstmal genügend Personal rankarren."
Als dann der Auftritt von SPD-Parteichef Martin Schulz auf der Leinwand übertragen wird, kommt fast sogar etwas wie Mitleid auf: "Der arme Schulz", sagt Margarita Mathiopoulos. Sie war lange in der Programmkommission der FDP im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik tätig und zeigt sich nun "entsetzt" darüber, dass der AfD der Einzug in den Bundestag gelungen ist. "Dass nach 70 Jahren eine Partei mit Naziparolen ins Parlament einzieht, beunruhigt mich." Doch sie ist sich sicher: "Keiner in der Partei ist auf den Mund gefallen, sie werden sich mit den Leuten auseinandersetzen."
Bei aller Freude über das Wahlergebnis ist doch auch die Angst groß, dass die FDP nun wieder die alten Fehler macht. Dass sie sich in einer Koalition mit der Union von dieser kleinschrumpfen lässt, so wie 2009, als sie mit einem triumphalen Wahlergebnis von 14,6 in den Bundestag zog und vier Jahre später mit 4,8 Prozent abgestraft wurde. "Sie hat sich von der CDU kleinbuttern lassen und ist in der Öffentlichkeit auf falsche Themen festgenagelt worden", sagt Peter Beer, der mit einem Glas Wein an einem Tisch im Bierzelt sitzt. Er ist seit 15 Jahren in der Partei und der Vater von Generalsekretärin Nicola Beer. Dennoch hält er, wie so viele an diesem Abend, ein Jamaika-Bündnis für wahrscheinlich, vorausgesetzt, dass die FDP ihre eigenen Positionen gegenüber der Union durchsetzen kann. Dabei sieht er vor allem die Union als einen problematischen Partner an - viel weniger als die Grünen, die doch im Wahlkampf noch der Lieblingsgegner der Liberalen zu sein schienen.
Auch wenn die meisten wissen, dass die FDP in den kommenden Jahren liefern muss, sind doch einige Mitglieder sehr entspannt, Erfolg hin oder her. Wie jene Frau im blauen Kleid mit FDP-Sticker, Regine Sittler, die eigens aus Lahr angereist ist: "Die FDP ist für mich nicht eine Partei, sondern ein Lebensgefühl." Letztlich sei es wie bei einem Fußballfan. "Man hört nicht auf, Mitglied zu sein, nur weil der Verein plötzlich absteigt." Immerhin: Gerade ist ihr Verein erstmal wieder aufgestiegen. Und das wird sie an diesem Abend noch gehörig feiern. Doch ab Montag beginnt der Kampf um den Klassenerhalt.
Quelle: ntv.de