"Edathy hat Realitätsverlust" Die Rache des Jörg Ziercke
15.01.2015, 18:01 Uhr
(Foto: dpa)
Sebastian Edathy beschuldigt Jörg Ziercke, ihn mit Hinweisen versorgt zu haben. Jetzt wehrt sich der frühere BKA-Chef: Im Untersuchungsausschuss zerpflückt er Edathys Aussage - und äußert sich deutlicher, als er müsste.
Steffi Lemke löffelt noch den letzten Rest Suppe aus dem Teller, der vor der Grünen-Politikerin auf dem Tisch steht. Energie für das, was noch kommt: Die bisher letzte Sitzung des Edathy-Untersuchungsausschusses hatte zwölf Stunden gedauert. Aber es bleiben viele offene Fragen: Wer erfuhr wann und von wem, dass gegen den SPD-Politiker wegen des Kaufs von Kinder-Nacktfotos ermittelt wurde? Die Mitglieder des Ausschusses müssen wieder mit einem langen Tag rechnen.
Diesmal steht Jörg Ziercke im Mittelpunkt der Befragung. Der Ex-BKA-Chef war kurz vor Weihnachten von Edathy schwer belastet worden. Dem früheren SPD-Bundestagsabgeordneten zufolge war es Ziercke, der ihn Ende 2013 über Michael Hartmann regelmäßig über den Stand der Ermittlungen gegen ihn informiert hatte. Hartmann dementierte das.
Dennoch bleiben heftige Vorwürfe: Strafvereitelung, Weitergabe von Amtsgeheimnissen. Ziercke steht unter Druck. Wie wird er, der auch SPD-Mitglied ist, reagieren? Ziercke geht nun zum Gegenangriff über. Er zieht an diesem Tag alle Register, um die Glaubwürdigkeit Edathys und seine Version zu schwächen. Ganz fair geht es dabei nicht immer zu.
Nie über Edathy gesprochen
Ziercke ist akribisch vorbereitet auf seinen Auftritt. Vor ihm liegt sein früherer Dienstkalender, daneben ein Stapel mit bedrucktem Papier, unter dem Tisch steht eine schwarze Aktentasche. Er liest eine mehrseitige Erklärung vor, seine Sicht der Dinge. Unaufgeregt, nüchtern spricht er: ein erfahrener Beamter, der mit dem Ritual der Zeugenbefragung und den sprachlichen Umgangsformen aus jahrelanger Erfahrung bestens vertraut ist.
Der 67-Jährige, der die Leitung des BKA Ende 2014 nach zehn Jahren abgab, will vor Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Edathy mit niemandem über den Fall gesprochen haben. Ziercke habe den SPD-Innenexperten Hartmann hin und wieder getroffen, mindestens einmal im Jahr zu einem Abendessen in der Nähe von Mainz. Er könne nicht ausschließen, dass beide dabei über die Bekämpfung von Kinderpornografie und die Rechtslage in Deutschland gesprochen hätten. Konkret um Edathy sei es aber nie gegangen. Ohnehin würde er "nie" über laufende Verfahren reden, sagt Ziercke, "ein absolutes Tabu".
SPD-Politiker-Hartmann stellt er ein sehr gutes Zeugnis aus. "Angesehen, sachlich, professionell, konsensorientiert, menschliche Art", schwärmt Ziercke. Umso negativer fällt sein Urteil über Edathy aus. Durch seinen Auftritt im NSU-Ausschuss im Jahr 2012 habe er ihn "in schlechter Erinnerung" gehabt. Edathy habe sich damals "arrogant, interessenlos und überheblich" verhalten. Anschließend habe er ihn dann sogar noch vor den Medien abqualifiziert. Umso absurder empfindet Ziercke den Vorwurf, er habe Edathy mit geheimen Informationen versorgen und schützen sollen.
Diagnose: Realitätsverlust
"Ausgerechnet ich? Wieso hätte ich wegen eines mir unsympathischen Menschen meine Zukunft aufs Spiel setzen sollen?", fragt Ziercke ruhig, aber nicht ohne Erregung. "Dass ich dieses Risiko hätte eingehen und meine eigene Behörde hintergehen sollte, ist absurd." Auch die Beschuldigung, Unheil von seiner Partei abwenden zu wollen, wischt er beiseite. "Es gab gar nicht mehr zu schützen und zu verhindern - weder für die SPD noch für Herrn Edathy. Das Verfahren lief doch bereits."
Ziercke weist Edathys Version der Ereignisse in fast jedem Detail zurück. Dabei bleibt er nicht immer sachlich. Edathy sehe sich als Opfer, wolle sich rächen, die Öffentlichkeit beeindrucken und sei unfähig einzusehen, "dass er durch sein unmoralisches Verhalten selbst für das Ende seiner politischen Karriere verantwortlich ist", sagt er.
Ziercke attestiert Edathy sogar einen "Realitätsverlust". Dessen Verhalten, der Erwerb von Nacktaufnahmen von Kindern, sei ebenso irrational wie dessen Anschuldigungen. Eine Aussage, aus der Ziercke einen nicht unproblematischen Schluss zieht. Mehrfach torpediert er die Glaubwürdigkeit Edathys, indem er ihn nur allzu offensichtlich abqualifiziert. Getreu dem Motto: Wer solche Bilder bestellt, ist generell nicht vertrauenswürdig. Der Kriminologe holt sogar aus zu einem Kurzreferat zum Täterprofil eines Pädophilen. Ziercke suggeriert damit, Edathy sei bereits schuldig gesprochen worden - obwohl der Prozess erst im Februar beginnt.
Er lässt keinen Zweifel: Für Edathy, der später an diesem Tag auch noch vor dem Ausschuss befragt werden soll, hat er nur Verachtung übrig. So einem helfen? Völlig abwegig. Das wird auch später bei der Fragerunde deutlich. Ob er im Gespräch in Bezug auf Edathy mal "unser Sorgenkind" gesagt hätte, will CDU-Mann Armin Schuster wissen. "Wenn ja, müsste ich mir einiges abbeißen", entgegnet Ziercke.
Quelle: ntv.de