Politik

Hilljes Wahlkampfcheck Diese Medienstrategien sind nicht kanzlertauglich

Wer regieren will, sollte die Meinungsmachenden mit Millionenpublikum besser nicht zum Gegner haben.

Wer regieren will, sollte die Meinungsmachenden mit Millionenpublikum besser nicht zum Gegner haben.

(Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten)

Annalena Baerbock gibt der "Bild am Sonntag" kein Interview, Armin Laschet geht zur "Heilbronner Stimme", aber nicht zu Prosieben. Medienstrategien, die erklärbar, aber nicht kanzlertauglich sind.

Schlagzeilen machen, ohne etwas gesagt zu haben. Dieses Kunststück gelang Annalena Baerbock vor zwei Tagen. Die Kanzlerkandidatin hatte der "Bild am Sonntag" ein Interview ausgeschlagen. Daraufhin druckte die Zeitung eine (fast) komplett leere Seite mit vorwurfsvollem Verweis auf Baerbocks Absage. Am Montag ging die Geschichte weiter: Im Podcast von Micky Beisenherz, für den sich die Grüne eine knappe Stunde Zeit nahm, erklärte sie ihre Interviewpolitik folgendermaßen: "Im Jahr 2021 bedeutet für mich 'im Kontakt sein' vor allem Podcast, Publikum und Instagram." Das ist Baerbocks digitalzeitliche Interpretation von Gerhard Schröders Medienmantra "Zum Regieren brauche ich 'Bild', BamS und Glotze". Doch reicht Baerbocks Medienmix tatsächlich zum Regieren?

Zunächst zurück zum weißem Papier in der BamS: Die leere Zeitungsseite ist so plakativ wie die Wahlwerbung der Parteien an den Straßenlaternen. Mit dem Unterschied, dass sie eine Redaktion statt ein Wahlkampfteam gedruckt hat. Bei der "Bild"-Zeitung verschwimmen die Grenzen zwischen diesen Rollen nicht zum ersten Mal, insbesondere in der Berichterstattung über die Grünen. Es scheint plausibel, dass für die Entscheidung, derart viel Platz gegenüber einem derart großen Publikum für derart viel Leere herzugeben, statt journalistischen Relevanzkriterien persönliche Befindlichkeiten ausschlaggebend waren. Wir leben ja nicht gerade in nachrichtenarmen Zeiten. Ein Verdacht drängt sich also auf: Weil die Redaktion keine Aussage aus dem gewünschten Interview gegen Baerbock drehen konnte, macht sie pampig-plakativ auf die Interviewabsage aufmerksam. In Anlehnung an den Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan ("das Medium ist die Botschaft") könnte man sagen: Das Medium ist die Bosheit.

Nun zu Baerbock. Seit dem Vorfall wird heiß diskutiert, ob ihre Absage mutlos oder mutig war. Wobei der Aspekt der Media Relations, also das strategische Beziehungsmanagement zu Medien und Medienschaffenden während des Wahlkampfs, nicht nur die Grünen betrifft. Auch Armin Laschet hat schon mehrfach mit Gesprächsverweigerung für Aufruhr gesorgt. Am öffentlichkeitswirksamsten gelang dem Youtuber Rezo die Skandalisierung einer Absage Laschets. Es stellt sich also die Frage: Welchen Kriterien folgt die Interviewauswahl der Kanzlerkandidierenden? Warum entscheidet sich Laschet beispielsweise gegen die "Bundestagswahl-Show" von Prosieben, aber für ein 74-minütiges Video-Interview mit der "Heilbronner Stimme"? Und warum sagt Annalena Baerbock der größten Sonntagszeitung ab, dem Podcast von Micky Beisenherz mit weniger Publikum aber zu?

Bauernregel aus dem prädigitalen Mediensystem

Die Antworten stecken indirekt in der Aussage Baerbocks ("Podcast, Publikum und Instagram"). Sie offenbart zwei interessante Entwicklungen dieses Wahlkampfs.

Erstens: Eine von der Digitalisierung umgepflügte Medienöffentlichkeit, die gemessen an Angebot und Nachfrage durch mehr Pluralisierung und Fragmentierung gekennzeichnet ist, was wiederum mehr Segmentierung der Wähleransprache erfordert. Die Universität Hohenheim hat in den letzten Monaten zusammen mit Forsa untersucht, über welche Kanäle unterschiedliche Altersgruppe und Parteilager in diesem Wahlkampf erreicht werden. Knapp 50 Prozent der 18- bis 29-Jährigen nehmen den Wahlkampf über Social Media wahr, bei den Über-60-Jährigen sind es dagegen nur 12 Prozent, dafür gehört für die Älteren die Zeitung immer noch zu den wichtigsten Nachrichtenquellen. Die Über-60-Jährigen gehören zur Kernwählerschaft von CDU/CSU, die Unter-30-Jährigen sind Kernzielgruppe Grünen. Das ist ein Teil der Erklärung, warum Laschet zur "Heilbronner Stimme" geht (zumal deren Einzugsgebiet ein für die CDU wichtiger und mittlerweile umkämpfter Wahlkreis ist) und Baerbock sich im Podcast zuschaltet. Die Breite der Wählerschaft über dieselben Kanäle zu erreichen, ist heute unmöglich. Schröders "Bild, BamS und Glotze" ist eine Bauernregel aus dem prädigitalen Mediensystem. Aber es sind natürlich nicht soziale Medien allein, die unsere heutige Öffentlichkeit organisieren. Das derzeitige Mediensystem ist hybrid, digitale Plattformen sind enorm wichtig, aber die klassischen Medienmarken sind dort eben auch präsent und senden dort zusätzlich zu ihren traditionellen Wegen.

Zweitens markiert Baerbocks Äußerung eine Neujustierung der Zielgruppenbestimmung der Grünen. Zur Vollständigkeit gehört: Vor wenigen Tagen gab Baerbock der "Frankfurter Rundschau" ein längeres Exklusiv-Interview. Auch über diese kleinere, eher linke Tageszeitung erreichen die Grüne ihre nunmehr enger gefasste Zielgruppe. Vor nicht allzu langer Zeit war der Anspruch der Grünen noch, Volkspartei zu sein, die nur nicht so genannt werden will. Das Ziel sei, so Robert Habeck im November 2020, "raus aus einem engen Milieu und ein Angebot an die Breite der Gesellschaft zu machen". Kurz darauf, und damals tatsächlich getreu dem Motto "das Medium ist die Botschaft", äußerte Baerbock ihre Ambition auf die Kanzlerkandidatur erstmalig in einer Zeitung, mit der sie offenbar zur "Breite der Gesellschaft" sprechen wollte: genau, der "Bild am Sonntag". Heute, neunzehn Tage vor der Wahl, ist die Zielgruppe der Grünen schmaler geworden. Im Medienmix ihrer Wahlkampfkommunikation werden Formate priorisiert, die eher jüngere und linkere Zielgruppen erreichen. Es geht den Grünen heute um die Absicherung einst sicher geglaubter Wählergruppen, die nunmehr verleitet sein könnten, Olaf Scholz anstelle von Armin Laschet ins Kanzleramt zu bugsieren.

Wer regieren will, muss mit allen reden können

So weit, so Wahlkampf, in dem die Zielgruppenansprache eine wichtige Disziplin ist. Ebenso die Fehlervermeidung, die in diesem Jahr bekanntermaßen schon mehrmals misslungen ist. Doch Laschet hätte bei Rezo wohl kaum Wählerstimmen gewinnen, durchaus aber für "cringe" Momente sorgen können, die dann umgehend auch in anderen Medien zu Negativschlagzeilen geführt hätten. Diese Schmach wollte er wohl vermeiden. Baerbocks Absage gegenüber der BamS war ebenfalls im Wesentlichen angstgetrieben. Und so kann man zwar sagen, dass die Interviewpolitik von Laschet und Baerbock einer Strategie folgt, aber nicht unbedingt einer Kanzlerstrategie. Es ist eher ein Verhalten, das die Defizite ihrer Fähigkeiten zur strategischen Kommunikation offenlegen. Mit unbequemen, aber gesellschaftlich relevanten Medien und Influencern müssen alle, die in das Kanzleramt einziehen wollen, einen Umgang finden. Um für die Breite der Gesellschaft regieren zu können, muss man mit der Breite der Medienlandschaft reden können. Und das heißt eben nicht BamS oder Beisenherz, sondern BamS und Beisenherz.

Zu Reichweitenriesen muss man langfristig Beziehungen und Gesprächskanäle, gerade auch hinter den Kulissen, aufbauen. Dann lässt sich in der Regel auch eine Vereinbarung über die Konditionen eines Interviews oder Debattenformats finden. Im Kern meinte Gerhard Schröder ja nichts anderes: Wer regieren will, sollte die Meinungsmachenden mit Millionenpublikum besser nicht zum Gegner haben. Das erfordert keine Kumpanei, aber eine Gesprächsbasis. Der einzige, der in diesem Wahlkampf noch nicht mit Gesprächsverweigerung aufgefallen ist, heißt übrigens Olaf Scholz.

Quelle: ntv.de

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