Forderung nach Sanktionen EU-Bericht: Ungarns Demokratie ist in Gefahr
12.04.2018, 14:17 Uhr
Das ungarische Parlamentsgebäude in Budapest
(Foto: REUTERS)
Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechte sollen in Ungarn bedroht sein: Ein EU-Bericht sieht eine systematische Aushöhlung des ungarischen Rechtsstaats und droht mit Sanktionsverfahren wie gegen Polen. Auch die Fördermilliarden könnten gestrichen werden.
Wenige Tage nach der Wahl in Ungarn wirft ein offizieller Bericht für das EU-Parlament dem Land eine schwerwiegende Verletzung europäischer Werte vor. Die Berichterstatterin Judith Sargentini äußert ernste Zweifel an der Demokratie in Ungarn und fordert ein Rechtsstaatsverfahren wie gegen Polen. Der Innenausschuss debattierte das Papier erstmals am Donnerstag. Unklar ist, ob sich im Parlament die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit dafür findet. Von ungarischen Abgeordneten der Europäischen Volkspartei kam sofort heftiger Widerspruch.
Das Parlament hatte sich bereits in einer Resolution im Mai 2017 sehr kritisch über Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn geäußert und die Grünen-Abgeordnete Sargentini mit der Erstellung des Berichts beauftragt. Sie bezieht sich in dem 26-seitigen Papier detailliert auf Stellungnahmen internationaler Institutionen wie Vereinte Nationen, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und Europarat seit der Amtsübernahme des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orban. "Es ist irgendwie schockierend zu sehen, wie viele Warnungen es seit 2010 gegeben hat", sagte Sargentini im Ausschuss.
Im Bericht zieht sie den Schluss, dass eine "systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn" herrsche. Sie verweist dabei auf Einschränkungen der Meinungs-, Forschungs- und Versammlungsfreiheit sowie auf eine Schwächung des Verfassungs- und Justizsystems und das Vorgehen der Regierung gegen Nichtregierungsorganisationen. Darüber hinaus nennt sie Verstöße gegen die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen sowie Korruption und Interessenkonflikte.
"Das Land ist auf Hass gegründet"
"Die Zeit der Warnungen ist vorbei", sagte die niederländische Politikerin. Die EU schulde den ungarischen Bürgern "null Toleranz gegenüber doppelten Standards bei Grundrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit". Deshalb schlug sie ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge vor. Ein solches Verfahren hatte die EU-Kommission im Dezember gegen Polen gestartet. Es kann theoretisch zum Entzug von Stimmrechten im Ministerrat führen. Die Hürden sind aber sehr hoch.
Zunächst kann Sargentinis Bericht im Innenausschuss noch verändert und ergänzt werden. Sollte das Plenum des Parlaments den Ungarn-Vorschlag dann im September mit Zwei-Drittel-Mehrheit billigen, läge das weitere Verfahren beim EU-Ministerrat. Fraglich ist im Parlament vor allem die Unterstützung der größten Fraktion EVP, zu der neben CDU und CSU auch die ungarische Regierungspartei Fidesz gehört.
Die ungarische EVP-Abgeordnete Kinga Gal sagte, die Ungarn hätten bei der Parlamentswahl am Sonntag die Regierung Orban eindeutig bestätigt, und das bei hoher Wahlbeteiligung. "Was ist das, wenn das keine Demokratie ist?", fragte sie. Ungarns Kritikern gefalle nur das Ergebnis nicht. "Das ist eine Hasskampagne, die gegen Ungarn geführt wird", sagte Gal. "Das ist praktisch ein Schauprozess, bei dem das Urteil schon feststeht."
Ihr luxemburgischer EVP-Kollege Frank Engel schloss sich jedoch der Kritik an Orban an. Dieser habe durch seine Politik eine feindselige Atmosphäre geschaffen. "Das Land ist jetzt auf Hass gegründet", sagte Engel. So etwas habe "natürlich keinen Platz in der Europäischen Union".
Fördergelder an Rechtsstaatlichkeit knüpfen
Ministerpräsident Viktor Orbán und seine nationalkonservative rechtspopulistische Partei fuhren bei der Parlamentswahl einen deutlichen Sieg ein, was in der EU die Sorge vor einer weiteren Konfrontation anwachsen ließ. Einige Regierungen forderten sogar, denjenigen Staaten, die dauerhaft gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen, Fördergelder zu streichen, so etwa Polen und Ungarn.
Auch die deutsche Bundesregierung will die Vergabe von Fördermilliarden der EU künftig an die Einhaltung demokratischer Prinzipien knüpfen. "Die Kohäsions- und Strukturpolitik muss dazu beitragen, unsere gemeinsamen europäischen Werte und die Rechtsstaatlichkeit weiter zu stärken", verlangte Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig. Wie andere Regierungen fordert auch Deutschland, dass im Gegenzug diejenigen Mitgliedstaaten, die Flüchtlinge aufnehmen, mehr Gelder erhalten sollen.
Quelle: ntv.de, hny/dpa/AFP