Kein "Durchwinken" auf Balkanroute EU plant 100.000 Flüchtlingsplätze
26.10.2015, 06:39 Uhr
Bilder wie dieses entsprechen laut Kanzlerin Merkel "nicht unseren Werten".
(Foto: AP)
Mit einem 17-Punkte-Plan wollen die EU und die Balkanstaaten das Chaos und die Not entlang der Flüchtlingsroute in den Griff bekommen. Regierungen sollen künftig kooperieren, statt sich zu streiten und EU-Grenzschützer die Staatsgrenzen sichern.
Nach wochenlangen Schuldzuweisungen wollen sich die Balkanstaaten in der Flüchtlingskrise besser abstimmen. Innerhalb von 24 Stunden soll ein Netz von Ansprechpartnern auf höchster Ebene entstehen. Das Ziel ist "eine allmähliche, kontrollierte und geordnete Bewegung" der Menschen auf der Balkanroute. Das steht in der Abschlusserklärung zu einem Krisentreffen von zehn betroffenen EU-Ländern und den drei Nicht-EU-Staaten Mazedonien, Serbien und Albanien, die am späten Sonntagabend in Brüssel vereinbart wurde. "Eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen ohne die Nachbarstaaten zu informieren, ist nicht akzeptabel", heißt es in der Erklärung.
Bei dem Sondertreffen zur Westbalkanroute einigten sich die Staats- und Regierungschefs nach siebenstündigen Beratungen auf einen 17-Punkte-Plan. Doch die Stimmung war angespannt. Seit Wochen weisen sich die Länder der Region gegenseitig die Schuld zu - so auch in Brüssel. "Jeder ist versucht zu sagen, jemand anders ist Schuld", sagte ein Diplomat am Rande der Gespräche. "Das müssen wir stoppen."
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker malte ein düsteres Bild der Lage auf der Balkanroute: "Es kann nicht sein, dass im Europa des Jahres 2015 Menschen sich selbst überlassen werden, dass sie auf dem Feld schlafen und bei eiskalten Temperaturen bis zur Brust durch Flüsse waten." Merkel sagte: "Wir sind alle humanitären, menschlichen Werten verpflichtet (...). Und die Bilder, die wir in den letzten Tagen gesehen haben, haben dem nicht entsprochen, was unsere Werte sind."
UNHCR soll Europa helfen
Der Plan sieht unter anderem vor, dass andere EU-Staaten innerhalb einer Woche mehr als 400 zusätzliche Grenzschützer in das vom Flüchtlingsandrang überforderte Slowenien schicken. Außerdem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex die Grenzen besser absichern, etwa zwischen Griechenland, Mazedonien und Albanien sowie an der kroatisch-serbischen Grenze. Auf der ganzen Route im Balkan sollen 100.000 Unterkünfte für Flüchtlinge entstehen.
Von den 100.000 Plätzen zur Aufnahme und Registrierung sollen 50.000 in Griechenland entstehen, wo der Großteil der Flüchtlinge über die Türkei als erstes Land in Europa ankommt. 30.000 der Plätze sollen noch in diesem Jahr geschaffen werden, 20.000 weitere sollen später folgen. Die anderen 50.000 Plätze sollen in den Ländern entlang der Balkanroute nach Norden entstehen.
Eine zentrale Rolle soll dabei das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR leisten. Die Aufnahmeplätze könnten helfen, die Flüchtlingsbewegungen "besser zu bewältigen und vorhersehbarer zu machen", sagte UN-Flüchtlingskommissar António Guterres bei dem Treffen. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sagte jedoch, die 50.000 Plätze für den Winter auf dem Balkan seien "natürlich zu wenig, wenn man die Zahlen der letzten Wochen sieht".
Gesprochen wurde Merkel zufolge erneut auch über die zentrale Rolle der Türkei, die wichtiger Transitpunkt für viele Flüchtlinge beim Weg in die EU ist, sowie über die Notwendigkeit, mit Ländern wie Bangladesch, Pakistan und Afghanistan eine Rückführung von nicht asylberechtigten Flüchtlingen zu erreichen. Die Flüchtlingskrise sei "eine der größten Bewährungsproben", der sich Europa ausgesetzt sehe, sagte Merkel. Es werde noch "viele weitere Schritte" brauchen, um diese zu bestehen.
Hier die wesentlichen Aussagen des Plans
- Auf der Balkanroute sollen 100.000 Aufnahmeplätze für Flüchtlinge geschaffen werden. Noch bis Jahresende sollen in Griechenland 30.000 dieser Plätze entstehen. Im kommenden Jahr sollen 20.000 hinzukommen. Das Geld dafür gibt die EU. Wo und wann die anderen 50.000 Plätze entstehen sollen, ist noch offen. Sie sollen als Ruheorte dienen.
- Innerhalb einer Woche sollen 400 Grenzschützer nach Slowenien entsendet werden.
- Migranten ohne Anspruch auf Asyl sollen schneller abgeschoben werden können. Dabei setzt die EU auf eine engere Zusammenarbeit mit deren Herkunftsländern, vor allem Afghanistan, Pakistan und anderen asiatischen Staaten. Geplant sind entsprechende Rückführungsabkommen.
- Ein Durchwinken von Migranten zum nächsten Nachbarstaat soll es nicht mehr geben.
- Innerhalb der nächsten 24 Stunden soll ein Kontaktnetz aufgebaut werden, das Information über Migrationsbewegungen liefert.
- Geplant ist eine engere Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, um bessere humanitäre Hilfe bei Ankunft der Flüchtlinge leisten zu können.
- Geplant ist eine engere Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank und anderen Förderbanken, um die Finanzierung beim Aufbau von Aufnahmeeinrichtungen zu gewährleisten.
- Polizei und Justiz sollen effektiver gegen Schlepper vorgehen können. Details werden nicht genannt. Zudem sollen Europol und Interpol auf dem Westbalkan aktiv werden dürfen.
- Die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll an der bulgarisch-türkischen Grenze verstärkt werden. Auch an den Grenzen Griechenlands zu Mazedonien und Albanien sind solche Einsätze geplant. Zudem solle der Küstenschutz an der griechisch-türkischen Grenze verstärkt werden.
- Frontex solle auch in Kroatien bei der Registrierung von Flüchtlingen helfen und irreguläre Grenzübertritte aufklären.
Quelle: ntv.de, mbo/AFP/dpa