Politik

Grüne wählen Parteispitze Ein Dämpfer und ein großes Fragezeichen

Simone Peter kann rhetorisch nicht mit Cem Özdemir mithalten.

Simone Peter kann rhetorisch nicht mit Cem Özdemir mithalten.

(Foto: dpa)

Die Grünen wählen ihren Bundesvorsitz: Simone Peter und Cem Özdemir bestätigen die Delegierten in ihrem Amt. Wenig überraschend. Doch es geht um viel mehr.

Die Sache mit dem Rundgang ist längst ein Running-Gag auf dem Parteitag der Grünen: "Mit den gewählten Vorsitzenden" werde die Exkursion durch die Messe-Halle am Abend stattfinden, sagt der Bundesgeschäftsführer Michael Kellner und betont dabei "den gewählten".

Dass damit Simone Peter und Cem Özdemir gemeint sind, ist ihm klar, ist allen Grünen klar. Nur sagen darf Kellner das natürlich nicht. Erst recht nicht, weil in einem ersten Ablaufplan des Parteitags schon ihre Namen hinter dem Programmpunkt Messerundgang standen, zu einem Zeitpunkt, als sie noch gar nicht in ihrem Amt bestätigt waren.

Peter und Özdemir werden von den Delegierten wiedergewählt. Peter mit 68 Prozent, Özdemir mit 77 Prozent. Beide gegen weitgehend unbekannte Gegenkandidaten. Alles erwartungsgemäß, alles normal. Bedeutungslos ist die Wiederwahl der Bundesvorsitzenden trotzdem nicht. Denn es geht längst nicht mehr nur um den Bundesvorstand. Die erste Reihe der Grünen bringt sich in Stellung für den Kampf um die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl.

Der linke Anton Hofreiter sowie die Realpolitiker Katrin Göring-Eckardt und Robert Habeck haben ihre Kandidatur bereits bekanntgeben. Peter und Özdemir behalten sich diesen Schritt noch vor – sie loten aus, ob sie genügend Rückhalt in der Partei haben.

Peter wird von Kandidatur abgeraten

Peter hält eine starke Bewerbungsrede – für ihre Verhältnisse. Klimawandel, 60 Millionen Menschen auf der Flucht, Jugendarbeitslosigkeit in Europa – sie spannt einen weiten Bogen. Vor allem punktet sie mit einer Anekdote zur Gleichberechtigung. Die "Bunte" titelte über sie: "Sechs Tage Karriere, nur ein Tag Kind." Peter erwidert: "Bei Männern hätte das geheißen: ein ganzer Tag für die Familie. Solche Sprüche stehen mir bis hier."

Energiewendeminister Habeck gilt als aussichtsreicher Bewerber für die Spitzenkandidatur.

Energiewendeminister Habeck gilt als aussichtsreicher Bewerber für die Spitzenkandidatur.

(Foto: picture alliance / dpa)

Peter bringt sich auch gegen Habeck in Stellung. Sie kämpfe weiter für 100 Prozent Erneuerbare Energien und zwar bis 2030, sagt sie. "Warum auch nicht." Habeck fordert die Partei in einem Antrag dazu auf, realistische Ziele für den Ausbau Erneuerbarer Energien zu benennen. 100 Prozent Ökostrom im Jahr 2030 müssen seiner Meinung nach nicht zwingend sein. "Wir ändern Politik und nicht uns", sagt Peter. "Grüne Pur ohne Koalitionsschere im Kopf." Doch für ein wirklich gutes Ergebnis reicht es für Peter trotzdem nicht. Beim letzten Mal bekam sie als Bundesvorsitzende noch 76 Prozent.

Wer sich unter Delegierten umhört, erfährt dann auch, dass alles unter 70 Prozent als Absage zu verstehen sei und hört Sätze wie: "Ich rate Simone Peter dringend von einer Kandidatur ab." Die Parteivorsitzende ist unter den Grünen als Sachpolitikerin anerkannt, sie gestehen ihr auch zu, dass sie mittlerweile starke Reden halten kann, aber eben keine hinreißenden.

Dass Peter auf eine Kandidatur verzichtet, ist mit diesem Parteitag deutlich wahrscheinlicher geworden. Das macht die Suche nach dem Spitzenkandidaten aber nur geringfügig leichter. Die Grünen setzen traditionell auf eine quotierte Doppelspitze in ihren Spitzenämtern. Eine Frau, ein Mann, idealerweise auch noch ein Vertreter des linken und einer des realpolitischen Flügels.

Weil die Grünen ihre Spitzenkandidaten wie schon bei der Bundestagswahl 2013 in einer Urwahl bestimmen, werden es aber nicht einfach der Linken-Mann Hofreiter und die Realo-Frau Göring-Eckardt. Weil auch Hofreiters Qualitäten auf der Bühne umstritten sind, läuft es auf eine Kampfkandidatur zwischen Özdemir und Habeck hinaus. Einer von beiden droht dabei Schaden zu nehmen. Für Özdemir ist die Sache besonders heikel, schließlich steht er schon seit Jahren an vorderster Front der Partei. Er könnte dort kaum bleiben, wenn die Basis bei der Spitzenkandidatur einen anderen vorzieht.

Özdemir bekommt kein klares Mandat

Ob Özdemir sich diesem Risiko aussetzt, ist ungewiss. Auch nach diesem Parteitag. Özdemir bekommt für seine Rede heftigen Applaus, im Vergleich zu Peter glänzt er auch mit seiner Rhetorik. Er greift das Migrations- und Integrationsthema auf und verknüpft es mit seiner eigenen Biografie. Er sei seinen Eltern noch immer dankbar dafür, dass sie ihm als Fünftklässler eine Nachhilfelehrerin besorgten, weil er in Deutsch eine Fünf hatte, sagt Özdemir. Er wünsche sich, dass es bald nicht mehr nötig sei für Kinder aus schwierigen Verhältnissen, und eröffnet so das Thema der Teilhabe und Gerechtigkeit, insbesondere von Zuwanderern.

Eine Gesellschaft, in der jeder Mensch Wertschätzung erfährt, erklärt er in diesem Zuge auch zur Präventionsmaßnahme gegen Terrorismus. Er bleibt lange beim Thema Integration. "Wer nach Deutschland kommt, kommt ins Land des Grundgesetzes", sagt er mit Blick auf Flüchtlinge. Doch er belässt es nicht bei dieser Parole, die auch von Innenminister Thomas de Maizière hätte stammen können. Özdemir sagt: "Deshalb kommen sie doch zu uns. Die wollen doch auch so leben."

Özdemir wettert dann noch kräftig gegen die CSU, unterstellt Horst Seehofer eine schlechte Kinderstube. "So behandelt man nicht Angela Merkel, weil sie das Richtige macht", sagt Özdemir. Seehofer hatte die Kanzlerin beim CSU-Parteitag am Freitag vorgeführt, weil diese sich gegen Obergrenzen beim Asyl ausspricht.

Klar umreißt Özdemir am Ende die Themen, mit denen er den Bundestagswahlkampf gestalten will: Weltoffenheit, ökologische Modernisierung sowie Teilhabe und soziale Gerechtigkeit.

Sein Ergebnis fällt besser aus als beim letzten Mal. 2013 waren es nur 71 Prozent. Doch ein klares Mandat ist das trotzdem nicht. Unter Delegierten heißt es, unter 80 Prozent könne davon keine Rede sein.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen