Politik

G20 treffen sich in Antalya Ein Gipfel nach Erdoğans Geschmack

AKP-Anhänger feiern nach ihrem Wahlerfolg Präsident Erdoğan. Laut türkischer Verfassung hätte er im Wahlkampf eigentlich keine Rolle spielen dürfen.

AKP-Anhänger feiern nach ihrem Wahlerfolg Präsident Erdoğan. Laut türkischer Verfassung hätte er im Wahlkampf eigentlich keine Rolle spielen dürfen.

(Foto: REUTERS)

Die 20 größten Industrienationen treffen sich im türkischen Antalya zum Gipfel. Vor allem wird es um den Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise gehen. Der Gastgeber ist dabei besonders gefragt.

Es ist ein Phänomen: Im Osten der Türkei herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Armee des Landes kämpft dort gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Es gibt Tote jeden Tag und weiträumige Ausgangssperren. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von einer "Bestrafung" der gesamten Bevölkerung. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte zudem die EU einen verheerenden Fortschrittsbericht. Der Regierung in Ankara wirft sie darin unter anderem Rückschritte bei der Versammlungs- und Meinungsfreiheit vor.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan strotzt trotzdem vor Selbstbewusstsein und freut sich darüber, dass ihn ausgerechnet jetzt etliche Staats- und Regierungschefs in seinem Heimatland besuchen kommen.

Am Vormittag hat in Antalya der zweitätige G20-Gipfel begonnen. Und für Erdoğan ist paradoxerweise eine Gelegenheit zu strahlen. Denn im Mittelpunkt stehen Themen, bei denen die Türkei ein unverzichtbarer Partner ist: der Bürgerkrieg in Syrien und die damit verbundene Flüchtlingskrise. Erdoğan weiß, dass sich die anderen Staats- und Regierungschefs deshalb scharfe Kritik verkneifen werden, und dürfte entsprechend auftrumpen. Genau genommen hat er damit längst angefangen.

In den vergangenen Tagen machte er noch einmal unmissverständlich seine Forderungen für die Lösung des Bürgerkriegs und der Flüchtlingskrise deutlich:

  • Erdoğan will eine Sicherheitszone in Syrien schaffen, in der Flüchtlinge leben können. Dazu gehört auch eine Flugverbotszone.
  • Die kurdischen Kräfte in Syrien will er auf keinen Fall erstarken lassen. Er drohte bereits damit, dass türkische Truppen einmarschieren würden, sollte die PKK-nahe PYD mit ihren Kampfeinheiten zum Westufer des Euphrat vorstoßen
  • Zugleich fordert Erdoğan seit Jahren den Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad.
  • Erdoğan sieht zudem vor allem die EU in der Pflicht, die Türkei massiv finanziell zu unterstützen, weil das Land mehr als zwei Millionen Flüchtlingen ein Zuhause bietet.

Kurz vor dem Gipfel setzte der Staatspräsident in einem Interview mit CNN-International verbal kräftig nach: Den Partnern der Türkei im Westen warf er vor, im syrischen Bürgerkrieg Geld zu verschwenden. "Wir haben sie gewarnt, aber sie wiederholen ihre Fehler." Damit meint er vor allem den Versuch, mit Luftschlägen und einer Aufrüstung moderater Rebellen auf eine Wende zu hoffen, denn diese Waffen landeten in den Händen von Terroristen, so Erdoğan. Und er prophezeite: "Sie werden sich letztlich auf unsere Vorschläge einlassen."

"Was tut die westliche Welt für Flüchtlinge?"

Zugleich machte er der EU heftige Vorwürfe in der Flüchtlingskrise. "Wir haben nie unsere Türen verschlossen, aber die westliche Welt hat ihre Türen verschlossen", sagte er. Die EU habe in Kauf genommen, dass es Hunderte Aylan Kurdis gebe und spielte damit auf den im Mittelmeer ertrunkenen Dreijährigen an, dessen Bild die Welt aufrüttelte. "Was tut die westliche Welt angesichts des Dramas?", fragte er.

Erdoğan teilt aus, wohlwissend, dass er wenig Widerwehr zu erwarten hat. Ohne und geschweigedenn gegen die Türkei, die eine 910 Kilometer lange Grenze zu Syrien hat, lässt sich weder der Bürgerkrieg noch die Flüchtlingskrise bewältigen. Die USA nutzen Luftwaffenbasen in der Türkei, um Angriffe auf den IS in Syrien zu fliegen. Zudem kann nur die Türkei verhindern, dass islamistische Gruppen Rekruten und Waffen über die lange Grenze bringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU hoffen wiederum darauf, bis Anfang Dezember einen Flüchtlingsdeal mit Ankara zu erreichen. Das Land soll illegale Ausreisen konsequenter verhindern, sprich dafür sorgen, dass Flüchtlinge nicht mehr über das Mittelmeer fliehen. Dafür verspricht Europa Geld und Erleichterungen bei der Vergabe von Visa. Bereits Ende Oktober trat Merkel in Istanbul deshalb geradezu als Bittstellerin auf.

Erdoğan strotzt auch deshalb so vor Selbstbewusstsein, weil das türkische Volk seine AK-Partei gerade mit einem neuen Regierungsmandat ausgestattet hat. Bei den Neuwahlen am 1. November holte sie sich allen Prognosen zuwider die absolute Mehrheit. Erdoğan schaffte es, die Menschen davon zu überzeugen, dass es nur mit einer Alleinregierung wieder Stabilität in der Türkei geben würde. Die AK-Partei setzte im Wahlkampf voll auf den Anti-Terror-Kampf und machte dabei wenig Unterschiede zwischen IS, PKK und friedfertigen kurdischen Politikern.

Der Gipfel in Antalya ist für Erdoğan in diesem Sinne eine weitere Gelegenheit, zu demonstrieren, dass er für Ordnung sorgt. Mehr als 10.000 Polizisten setzt er ein, um für die Sicherheit des Gipfels zu garantieren - fast beinahe einen also für jeden der 13.000 Gipfelgäste. 20 mutmaßliche IS-Anhänger nahmen die Sicherheitskräfte bei Razzien bereits fest.

Läuft alles nach Plan, werden rund 3000 Journalisten darüber berichten, wie in Antalya die mächtigsten der Welt über die brisantesten Themen der Welt diskutieren. Neben dem Syrienkrieg und der Flüchtlingskrise stehen der Kampf gegen Steuerhinterziehung, die Jugendarbeitslosigkeit, der Klimawandel und eine reihe weiterer vor allem wirtschaftsbezogene Themen auf der Agenda. Nach dem Anschlag von Paris dürften auch Maßnahmen gegen Terror eine hervorgehobene Rolle spielen. Erdoğan wird immer mittendrin sein - forsch und zielstrebig. Da könnte schnell in Vergessenheit geraten, dass einige regierungskritische türkische Medien bis kurz vor Gipfelbeginn Probleme hatten, überhaupt eine Zugangserlaubnis für die Großveranstaltung zu bekommen.

Quelle: ntv.de

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