Überraschung im britischen Wahlkampf Eine neue Chance für den schottischen Staat
28.04.2015, 17:56 Uhr
Nicola Sturgeon tritt selbst nicht zur Wahl an, kämpft aber erfolgreich um Sitze für ihre SNP.
(Foto: dpa)
Die Anführerin der schottischen Nationalisten wird zum Star des britischen Wahlkampfes. Sie könnte nach der Wahl den Regierungschef bestimmen und eine neue Gelegenheit schaffen, Schottland in die Unabhängigkeit zu führen.
Die Chance auf Unabhängigkeit hat jede Generation nur ein Mal. Wenn sich die schottischen Parteien vor dem Referendum im September auf etwas einigen konnten, dann auf diese Aussage. Der schottische Regierungschef Alex Salmond sagte immer wieder: Egal, wie knapp das Ergebnis ausfällt – die andere Seite sollte dieses Ergebnis akzeptieren. Salmond verlor, Schottland blieb Teil des Vereinigten Königreichs, Salmond dankte ab. Das Thema der schottischen Unabhängigkeit schien erledigt.
Doch das hat sich geändert. Die Abspaltung des nördlichen Landesteils scheint wieder möglich zu sein, und zwar bald.
Was Alex Salmond nicht schaffte, könnte seiner Nachfolgerin Nicola Sturgeon gelingen. Seit November 2014 ist sie Erste Ministerin und Chefin der SNP, der Scottish National Party. Die SNP ist eine linke Partei, die sich gegen Ausgabenkürzungen, gegen Atomwaffen, für einen höheren Mindestlohn und für ein besser finanziertes Gesundheitssystem einsetzt. All dies will sie vor allem dadurch erreichen, dass sich Schottland vom Rest Großbritanniens lossagt.
Engländer sympathisieren mit schottischen Nationalisten
Nach dem verlorenen Referendum sollte es eigentlich Sturgeons Aufgabe sein, die Regierung in London an ihre Versprechen zu erinnern, die von zusätzlichen Rechten für das Parlament in Edinburgh bis zu einem neuen Weltraumbahnhof reichten. Doch der Wahlkampf für die anstehende Parlamentswahl in Großbritannien läuft für die 44-Jährige so gut, dass wieder alles möglich scheint. Sturgeon erstritt sich einen Platz in den TV-Debatten und wurde dadurch auch in England bekannt. Die Briten sind das alte Spiel zwischen Tory-Regierungschef und Labour-Herausforderer leid. Die Zuschauer verteilten die besten Noten an Sturgeon und Nigel Farage von der rechtspopulistischen Ukip. Einige Wähler bedauern schon, dass die SNP nicht auch in England Kandidaten aufstellt.
Selbst die Zeitungen, die im vergangenen Jahr fast alle Position gegen die schottische Unabhängigkeit bezogen, feiern Sturgeon. Wenn es die SNP nicht gäbe, könnte sie sich um den Labour-Vorsitz bewerben, schreibt der "Independent". Sturgeon, die viel Zeit ohne eigenes Profil im Schatten Salmonds verbrachte, gilt nun als charismatische Führungsfigur, die vielleicht sogar mehr erreichen kann als ihr Vorgänger.
Ein Referendum wird kommen
Die Wähler in Schottland sind schon lange auf ihrer Seite. Umfragen sagen voraus, dass die SNP landesweit 4 Prozent der Stimmen bekommen könnte. Bedenkt man, dass nur 8 Prozent der Briten Schotten sind, ist das eine Menge. Wegen des Mehrheitswahlsystems könnte die SNP außerdem mit diesen 4 Prozent der Stimmen über 8 Prozent der Unterhaussitze gewinnen, nämlich 57 der 59 schottischen Sitze. Alle bis auf zwei schottische Abgeordnete im britischen Unterhaus wären damit SNP-Mitglieder. Als sicher gilt, dass die SNP im neuen Parlament die drittstärkste Partei sein wird. Das würde ihr die Rolle des Königsmachers verleihen: Sie könnte Labour zur Mehrheit verhelfen und sich damit das Recht erkaufen, ein neues Referendum abzuhalten. Das wäre ein doppelter Sieg. Die SNP hätte nicht nur eine unverhoffte Chance auf ein unabhängiges Schottland, sondern auch noch Einfluss auf den Premierminister, mit dem sie die Details dieser Unabhängigkeit verhandeln müsste.
Wenn Labour und SNP keine Mehrheit bilden können und David Cameron Premierminister bleibt, könnte die Unabhängigkeit Schottlands sogar noch wahrscheinlicher werden. Denn dann geht die wirtschaftsliberale und konservative Politik weiter, die den wenigsten Schotten passt. Außerdem hat Cameron den EU-Kritikern versprochen, im Falle eines Wahlsiegs über den Austritt aus der EU abstimmen zu lassen. Die wenigsten Schotten haben dafür Verständnis. Wenn Großbritannien die EU verlässt, ist Schottland wohl nicht im Königreich zu halten.
Quelle: ntv.de