Gauck auf Türkei-Besuch "Erdogan lässt das nicht auf sich sitzen"
28.04.2014, 22:31 Uhr
Ungewöhnlich scharf kritisiert Bundespräsident Joachim Gauck die türkische Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in einer Rede vor Studenten an der Technischen Universität Ankara. Er geht sogar so weit, offen von einer "Gefährdung der Demokratie" zu sprechen, und wirft dabei sämtliche diplomatische Regeln über Bord. Daran, dass Ministerpräsident Erdogan eine Gefahr für die Demokratie in der Türkei ist, hegen auch die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen keinen Zweifel. Was dies allerdings für einen möglichen EU-Beitritt der Türkei bedeutet, darüber sind sie gespaltener Meinung.
"Noch nie hat ein Bundespräsident sich derart offen in einen schwelenden internationalen Konflikt eingemischt", schreibt die Berliner Zeitung. Dass Joachim Gauck dies am Rande seines Besuchs einer Raketeneinheit der Bundeswehr auf Auslandseinsatz in der Türkei tat, unterstreiche, wie wenig er sich auf ein protokollarisches Amt reduzieren lassen will. Denn: "Er ist ein politischer Präsident, und er ist der Erste, der diese Rolle auch international versteht."
Auch der Reutlinger General-Anzeiger schreibt zu den Äußerungen des Bundespräsidenten: "Gauck scheut sich nicht, die heiklen Punkte anzusprechen: Vorschriften über den Lebensstil der Bürger, geheimdienstliche Kontrolle, Einschränkung von Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. In der Folge wächst, so Gaucks gebündelte Lebenserfahrung, die Bereitschaft zur Gewalt. Bei Erdogan muss es in den Ohren geklingelt haben. Gauck musste sich für die klaren Worte nicht verbiegen. Denn er sieht die Demokratie nicht als Hindernis für das Regierungshandeln, sondern als ein Angebot, das den Bürgern Grundrechte und gleichberechtigte Teilnahme am Gemeinwesen zuspricht. Daran mangelt es am Bosporus. Und deshalb ist der Weg für eine Aufnahme in die EU noch weit."
Die Thüringische Landeszeitung in Weimar kritisiert hingegen die Aussagen Gaucks in Ankara. In einem entscheidenden Punkt sende der nämlich ein völlig falsches Signal: Er mache der Türkei Hoffnung, irgendwann doch noch die EU-Mitgliedschaft zu ergattern. "Damit schlug er sich auf die sozialdemokratische Seite der Großen Koalition und widersprach der CDU-Kanzlerin, die einen EU-Beitritt der Türkei ablehnt, aber eine weniger bindende privilegierte Partnerschaft anstrebt", schreibt das Blatt. Gaucks Motiv für ein solches großzügiges Angebot an die sich schleichend islamisierende Türkei bleibe zudem nebulös: "Vielleicht will er das Land zu demokratischen Reformen ermuntern und Erdogan dazu bewegen, Islamisierung und Demokratieabbau zu stoppen. Das wäre naiv. Zudem ist die Türkei auch ohne Erdogan mindestens für Jahrzehnte kein geeigneter EU-Aufnahmekandidat. Mutig von Gauck wäre es, diese Wahrheit auszusprechen, anstatt falsche Hoffnungen in der Türkei zu wecken und spaltende Debatten in der EU zu sähen."
"Zumindest zum Teil hat sich der türkische Ministerpräsident die Kritik des deutschen Bundespräsidenten selbst zuzuschreiben", finden die Kommentatoren der Nürnberger Nachrichten. Erdogans harte Linie der vergangenen Monate ließe einem Politiker wie Gauck keine andere Wahl, als öffentlich seinen Standpunkt darzulegen. Aber: "Erdogan wird dies nicht auf sich sitzenlassen. Der Premier, der sich im August wahrscheinlich um das Amt des Staatspräsidenten bewirbt, dürfte nicht zuletzt seine in Deutschland geplanten Wahlkampfauftritte dazu nutzen, Fehler und Defizite der Bundesrepublik aufzuzählen. In den türkisch-deutschen Beziehungen könnten nun turbulente Zeiten beginnen."
Die Lausitzer Rundschau aus Cottbus hingegen nimmt eine andere Haltung zum EU-Beitritt der Türkei ein: "Der Bundespräsident hat seine Rede vor Studenten in Ankara gehalten, also vor der Generation, die die Zukunft der Türkei darstellt. Er hat ihnen eine europäische Perspektive versprochen, wenn die Türkei einen demokratischen Weg geht. Das ist in der Tat der Traum vieler junger Türken. Für diese junge Generation freilich wäre es wichtig, wenn nicht nur das repräsentative deutsche Staatsoberhaupt den Beitrittsverhandlungen zur EU Ernsthaftigkeit und Erfolg wünschen würde, sondern auch die operativ verantwortliche Kanzlerin und ihre Partei, die CDU. Doch dort will man die Türkei mit einer "privilegierten Partnerschaft" abspeisen und droht bei jeder Gelegenheit mit dem Stopp der Gespräche. Diese Doppelzüngigkeit nimmt den Appellen des Präsidenten bei den Adressaten ihre Kraft. Und das ist schade."
Zusammengestellt von Louisa Uzuner
Quelle: ntv.de