Politik

Merkel rechtfertigt Flüchtlingspakt Erdogan wirft der EU "Heuchelei" vor

Juncker, Merkel und Schulz bei der Eröffnung der Europa-Ausstellung in Berlin.

Juncker, Merkel und Schulz bei der Eröffnung der Europa-Ausstellung in Berlin.

(Foto: REUTERS)

Der Flüchtlingspakt mit Ankara wirkt, sagt Kanzlerin Merkel. Doch im Streit um die geplante Visa-Freiheit für Türken geht es keinen Schritt voran. Der türkische Staatschef Erdogan denkt nicht daran, Deutschland und der EU entgegenzukommen.

Im Streit zwischen der EU und der Türkei über die Visafreiheit zeichnet sich weiter keine Lösung ab. Während die Bundesregierung ebenso wie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nachdrücklich zur Beachtung aller 72 Kriterien durch die Türkei drängten, lehnte die Regierung in Ankara die geforderte Änderung ihrer Anti-Terror-Gesetze ab.

"Wir legen größten Wert darauf, dass die Bedingungen, also die Voraussetzungen, erfüllt sind, sonst wird das nicht stattfinden", sagte Juncker in Berlin. Wenn die Türken damit dann keine Reisefreiheit in der EU genössen, sei das nicht sein Problem, sondern das des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Erpressen lasse er sich nicht, sagte Juncker.

Vizekanzler Sigmar Gabriel sagte, die Türkei müsse wie jedes andere Land auch die Bedingungen für eine Visafreiheit erfüllen. "Es kann keine 'Lex Türkei' geben", sagte der SPD-Vorsitzende. Wenn Erdogan nicht könne oder wolle, könne es die Liberalisierung auch nicht geben. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, der Ball liege nun im Feld der Türkei. Ein Sprecher von Innenminister Thomas de Maiziere unterstrich: "Wir teilen die Auffassung der EU-Kommission, dass zur Erteilung der Visafreiheit die Erfüllung aller 72 Kriterien erforderlich ist."

Merkel verteidigt Absprachen

Trotz des Streits will die Bundeskanzlerin das EU-Türkei-Abkommen retten. Angela Merkel wies zudem den Vorwurf zurück, sich mit den Absprachen in der Flüchtlingspolitik zu stark in Abhängigkeit von Erdogan zu begeben. Europa müsse lernen, Fluchtursachen zu bekämpfen und Menschen zu ermöglichen, sich gar nicht erst auf die Flucht zu machen, sagte die Kanzlerin. "Damit begeben wir uns natürlich - das wird jetzt ja oft in dem Abkommen mit der Türkei kritisiert - in Abhängigkeiten. Sie erinnerte daran, dass von Anfang des Jahres bis zum Inkrafttreten des Abkommens mehr als 350 Menschen bei der Flucht ums Leben kamen, seit dessen Inkrafttreten aber nur noch 7 Menschen starben. "Allein schon die Menschenleben zu retten und nicht noch Schleusern Geld in die Kassen zu spülen, lohnt eine solche Abmachung mit der Türkei."

Erdogan: Wer gab euch die Kompetenz?

Erdogan: Die EU hilft Terroristen.

Erdogan: Die EU hilft Terroristen.

(Foto: AP)

Erdogan warf der EU vor, erst im Nachhinein neue Hürden aufgebaut zu haben. Die Europäische Union und die Türkei hätten sich längst auf ein visafreies Reisen verständigt und den Deal mit Tinte versehen gehabt. Dann sei die EU mit 72 Kriterien inklusive der Änderung der Anti-Terror-Gesetze gekommen, sagte er in einer direkt im Fernsehen ausgestrahlten Rede. Er bevorzuge den Aufbau einer "neuen Türkei" zusammen mit der EU. An die Adresse der EU gerichtet fragte er: "Seit wann lenkt ihr die Türkei? Wer hat euch diese Kompetenz gegeben?" Er unterstellte ihr erneut, "Terroristen" mit Waffen und Geld auszustatten.

Nach eigenen Worten warte Erdogan jetzt auf eine Zusage zur Visa-Liberalisierung. Gelinge es nicht, die Beziehungen zu verbessern, werde die Türkei "ihren eigenen Weg" finden. Dabei schloss er ebenso wie der türkische EU-Minister Volkan Bozkir eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze aus, die als höchste Hürde für eine Einigung gelten. Erdogan verwies in diesem Zusammenhang auf den laufenden Kampf der türkischen Armee gegen kurdische Milizen und die Extremistenorganisation Islamischer Staat (IS). Bozkir bestritt Defizite bei der Umsetzung der Verabredungen mit der Türkei. Sein Land habe bereits alle 72 Bedingungen erfüllt. Eine ungerechtfertigte Verschiebung der Visaliberalisierung sei für sein Land inakzeptabel. Die Türkei hat bereits damit gedroht, wieder Migranten in Richtung EU durchzulassen und damit das EU-Türkei-Abkommen zu kippen.

Gesetze auch gegen HDP

Auf Grundlage der Anti-Terror-Gesetze wurden in den vergangenen Jahren Dutzende Journalisten und Wissenschaftler in der Türkei festgenommen. Gabriel mahnte, es dürften keine Versuche unternommen werden, Oppositionelle oder Journalisten zu Terroristen zu erklären. Auch mache ihm die geplante Verfassungsänderung im Land große Sorgen, die sich wohl gegen die Kurdenpartei HDP richte.

Bei einer Debatte im Bundestag warf Linken-Innenexperte Jan Korte der Bundesregierung vor, die Visafreiheit zum Teil eines "schmutzigen Deals" mit der Türkei und zur Verhandlungsmasse in einem Poker auf dem Rücken von Flüchtlingen gemacht zu haben. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth sprach sich für die Visafreiheit für die Türkei aus. Eine unzulässige Vermischung sei es, diese Erdogan als Belohnung feilzubieten, damit er die Flüchtlinge von Europa fernhalte.

Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa/rts

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