Politik

"Es hat viel zu gut gepasst" Falsche Fährte verschaffte dem Täter Zeit

Wo ist der Täter, der mit einem Lkw in eine Menschenmenge fuhr?

Wo ist der Täter, der mit einem Lkw in eine Menschenmenge fuhr?

(Foto: AP)

Schon kurz nach dem Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt nimmt die Polizei einen Verdächtigen fest - erst nach Stunden stellt sich heraus: Der Pakistaner ist unschuldig. Und der wahre Täter könnte so die Chance gehabt haben, unterzutauchen.

Nach dem Attentat auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche sah zunächst alles nach einem schnellen Fahndungserfolg aus: Ein Augenzeuge wollte den Lkw-Fahrer auf seiner Flucht vom Tatort bis in den Tiergarten verfolgt haben - dann kommt es zum Zugriff durch Beamte einer Polizeistreife in der Nähe der Siegessäule. Der Verdächtige: ein 23 Jahre alter Pakistaner, der in Deutschland als Flüchtling registriert wurde - ausgerechnet, wie es danach vor allem von der politischen Rechten heißt. Doch die Ernüchterung folgte wenig später. Der junge Tatverdächtige stritt ab, etwas mit dem Attentat zu tun zu haben. Und die Polizei glaubte ihm. Der Mann wurde noch am Dienstag auf freien Fuß gesetzt. Die Fahnder müssen von vorn anfangen. Und der wahre Täter hat nun einige Stunden Vorsprung.

Von einer Ermittlungspanne will Bundesinnenminister Thomas de Maizière dennoch nichts wissen. Die Berliner Polizei habe auch in der Krise gut reagiert, sagte er am Dienstagabend dem ZDF. Die Festnahme von Naved B. als Tatverdächtigem und seine Freilassung sei kein Versagen der Kriminalbeamten gewesen. So etwas gebe es auch in anderen Fällen. "Das ist Ermittlung und keine Panne", so der Minister. Innerhalb des Bundeskriminalamt (BKA) ist die Bereitschaft zur Selbstkritik allerdings etwas höher. Wie die "Bild"-Zeitung von einem BKA-Ermittler erfahren haben will, ärgert man sich vor allem darüber, "zu früh Hurra geschrien" zu haben. "Es hat viel zu gut gepasst", zitiert die Zeitung den Beamten.

Tatsächlich hätte die frühe Entwarnung der Berliner Polizei auch ernsthafte Folgen für die Bevölkerung haben können. Denn der bewaffnete Attentäter war zu diesem Zeitpunkt noch auf freiem Fuß - und hätte sich weitere Opfer suchen können. Die sichere Annahme, dass die Beamten mit Naved B. den Richtigen haben, stützte sich zudem hauptsächlich auf die Aussagen von Zeugen. Der mutige Mann, der dem vermeintlichen Attentäter mit dem Handy am Ohr und der Notrufzentrale in der Leitung durch den dunklen Tiergarten gefolgt war, räumte später ein, dass er den Verdächtigen zwischenzeitlich aus den Augen verloren habe. Die Streifenpolizisten reagierten demzufolge vor allem auf die Täterbeschreibung dieses Zeugen - und die Aussagen von weiteren Anrufern vom Breitscheidplatz, die sich nach "Bild"-Informationen jedoch deutlich unterscheiden.

Zeit und Raum zum Untertauchen

Dass sich die Berliner Polizei nach der Festnahme darauf konzentriert, die Täterschaft von Naved B. nachzuweisen, verschaffte dem wahren Täter womöglich aber nicht nur Zeit, sondern auch Raum. Noch am frühen Dienstagmorgen gegen drei Uhr stürmen 250 Polizisten und SEK-Beamte die größte Berliner Flüchtlingsunterkunft - einen Hangar des ehemaligen Tempelhofer Flughafens. Dort ist der noch tatverdächtige Naved B. untergebracht. Durchsucht werden vor allem die Sachen des Pakistaners, darunter sein Handy.

Einige Bekannte von ihm werden befragt - doch Hinweise auf eine IS-Mitgliedschaft gibt es nicht. Knapp fünf Stunden dauert der Einsatz. Und er lenkt den Fokus der Ermittlungsbehörden von anderem ab, was in der Stadt passiert. Ein Vakuum, das der Täter genutzt haben könnte, um unterzutauchen - zumal auch die Berliner zu diesem Zeitpunkt davon ausgingen, dass es keinen Grund mehr dafür gibt, wachsam zu sein. Auf der Website des Generalbundesanwalts heißt es jedoch später: "Die durchgeführten kriminaltechnischen Untersuchungen konnten eine Anwesenheit des Beschuldigten während des Tatgeschehens im Führerhaus des Lkw bislang nicht belegen."

Naved B. wird freigelassen. Und der Berliner Polizeipräsident, Klaus Kandt, räumt ein, dass die Ermittlungsarbeit von vorn beginnen muss. Deshalb sei es wichtig, erst einmal "eine genaue Personenbeschreibung" zu bekommen. Laut Polizei sind bisher 508 Hinweise von Zeugen eingegangen. Ob sie wirklich etwas gesehen haben, muss die Ermittlungsarbeit zeigen. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, zeigte sich am Abend im ZDF "zuversichtlich, dass wir vielleicht schon morgen oder in naher Zukunft einen neuen Tatverdächtigen präsentieren können." Es gebe gute Hinweise und "sehr viele Ansatzpunkte".

Quelle: ntv.de, jug

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