SPD im Abstiegskampf Gabriel bleibt nur, weil kein anderer will
13.04.2016, 17:45 Uhr
Erlebte schon bessere Zeiten als SPD-Chef: Sigmar Gabriel.
(Foto: dpa)
Mit 20 Prozent stellt man keinen Bundeskanzler. Die SPD und Sigmar Gabriel leiden unter chronischer Erfolglosigkeit. Um seine merkwürdige Jobgarantie ist der Parteichef nicht zu beneiden.
Sogar Franz Müntefering eilte schließlich zu Hilfe. Sigmar Gabriel führe die SPD "sehr verantwortlich", die Sozialdemokraten machten "gute Arbeit" in der Bundesregierung, sagte Müntefering der "Passauer Neuen Presse" über seinen Nachfolger. Also alles fein? Mitnichten. Schutzreflexe sind in der Politik ein untrügliches Zeichen dafür, dass jemand kräftig angeschlagen ist. Umso bezeichnender war es in dieser Woche, wie viele Schulterklopfer Gabriel aus der eigenen Partei erhielt.
Es ist nicht so, dass der Niedersachse als SPD-Chef viele Hochs erlebt hätte. Der vorläufige Tiefpunkt war im Dezember erreicht, als Gabriel beim Parteitag nur mit 74 Prozent wiedergewählt wurde. Seitdem wurde es nicht besser. Bei den Landtagswahlen im März stürzte die SPD in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg auf kaum mehr als 10 Prozent ab. Eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl sind die Aussichten für die Partei so schlecht wie seit Langem nicht. Anlass zur Beunruhigung geben Zahlen, über die man in der SPD sowieso nur ungern spricht. In den Umfragen schien es in den vergangenen Jahren, als klebe die Partei bei 25 Prozent fest. Glaubte man den Sozialdemokraten, war die Rückkehr über die 30-Prozent-Marke nur eine Frage der Zeit. Von wegen.
Inzwischen muss sich die SPD nach der 25 sehnen. Die meisten Umfrageinstitute sehen sie gar nur noch bei 21 bis 22, bei Insa rutschte sie nun sogar auf 19,5 Prozent. "Die Umfragen lasten auf der Seele der Partei, das ist gar nicht zu bestreiten", sagte Fraktionsvize Hubertus Heil. Man sei an einem Punkt angelangt, "wo jedem verbliebenen Sozi das Herz in die Hose rutschen sollte", sagte Juso-Chefin Johanna Uekermann. Doch die wenigsten Genossen werden so deutlich, wenn es um die roten Zahlen geht. Vizeparteichef Ralf Stegner forderte "ein bisschen Gelassenheit", Generalsekretärin Katarina Barley lobte die Rolle der SPD in der Großen Koalition. "Was wir da durchsetzen und umsetzen konnten, ist beeindruckend."
"Das ist wie im Fußball"
Lässt sich die Krise so einfach beiseiteschieben? Wohl nicht. Gabriel geht durchaus offen mit der Situation um. In der Fraktionssitzung zeigte er am Dienstag Verständnis dafür, dass über seine Rolle geredet wird. "Das ist wie im Fußball. Bei abstiegsbedrohten Vereinen wird immer über den Trainer diskutiert. Das ist nichts Unehrenhaftes", sagte der Parteichef, der sich sicher ist, dass der Niedergang nicht allein an Personen liege. Gabriel erklärt die SPD- ohnehin lieber zur Regierungskrise, so verliere doch auch die Union. Ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver, schließlich kommen CDU und CSU auf fast doppelt so viel Prozent. Zwar rutschte die Union bei Forsa auf 34 Prozent, den schlechtesten Wert seit Sommer 2016. Doch die Sozialdemokraten profitieren davon nicht. Sie büßen bundesweit an Zuspruch ein - obwohl sie in der gemeinsamen Koalition vergleichsweise viel auf den Weg gebracht haben.
Das hängt zwangsläufig mit Gabriel zusammen. Stärker als bei den anderen Parteien konzentriert sich die öffentliche Wahrnehmung der SPD auf den Vorsitzenden. Generalsekretärin Barley attestierte dem Parteichef, er mache "mit sehr viel Leidenschaft Politik". Seit 2009 gab es viel Lob für Gabriel, dass er die Partei in einer so schwierigen Zeit übernommen hat. Nur mag sich auch im siebten Jahr unter seiner Führung kein Erfolg einstellen. Der Politikwissenschaftler Matthias Micus sieht dafür verschiedene Gründe. "Ein Dilemma der SPD ist, dass sie für nichts mehr steht." Sie habe eine ganze Reihe wichtiger Entscheidungen initiiert und einen erheblichen Anteil an den Erfolgen der schwarz-roten Merkel-Regierungen. Es gebe aber kein erkennbares, über Einzelmaßnahmen hinausgehendes sozialdemokratisches Projekt wie etwa die Ostpolitik. "Diesen Mangel an Klarheit symbolisiert Gabriel mit seiner Sprunghaftigkeit."
"Mehr aus Loyalität als aus Überzeugung"
Nur 12 Prozent der Deutschen halten Gabriel für kanzlertauglich: Absurd wirkt vor diesem Hintergrund die Diskussion über einen SPD-Kanzlerkandidaten. Wozu einen Kandidaten nominieren, wenn es keinerlei Perspektive gibt? In vielen Ländern kann die SPD zwar den Ministerpräsidenten stellen, aber schon seit der letzten Bundestagswahl gab es kaum eine Umfrage, in der sie eine aussichtsreiche Chance hatte, mal wieder den Kanzler zu stellen. Weder für Rot-Rot-Grün noch für eine Ampel mit Grünen und FDP. Forsa-Politikchef Peter Matuschek sieht keine Anzeichen, dass die SPD zeitnah wieder einen Aufschwung erwarten kann. Sie sei auf ihren harten Wählerkern zurückgefallen, der "mehr aus Loyalität als aus Überzeugung zu ihr hält". Nur: Nominieren die Genossen keinen Kanzlerkandidaten mehr, wäre es, als besiegelten sie ihren eigenen Niedergang.
Und Gabriel? "Ich würde gehen, wenn ich glauben würde, dass es der SPD hilft", sagte er in der Fraktionssitzung. An einer Stelle hinkt Gabriels Fußball-Vergleich. Ein Trainer ist seinen Job bei anhaltender Erfolgslosigkeit los. Der Klub kann gewiss sein, dass der Markt Ersatz bereithält. Gabriel hält sich wohl vor allem deshalb noch im Amt, weil einfach kein anderer seinen Job machen will. Zu groß ist die Aussicht, bei der Wahl 2017 krachend zu scheitern. Diese sonderbare Jobgarantie verschafft Gabriel vorerst Zeit, das Unmögliche zu schaffen. In einem anderen Punkt entspricht sein Vergleich der Realität. Die SPD ist vielleicht schon etwas mehr als abstiegsbedroht. Mit 20 Prozent und weniger spielt man nicht mehr in der Liga der Volksparteien mit.
Quelle: ntv.de