Politik

Streit um Deniz Yücel eskaliert Gabriel protestiert bei Ankaras Botschafter

In Frankfurt und anderen Städten gab es Autokorsos für Yücel.

In Frankfurt und anderen Städten gab es Autokorsos für Yücel.

(Foto: dpa)

Die Untersuchungshaft für den "Welt"-Journalisten Yücel belastet die Beziehung zwischen Berlin und Ankara. Außenminister Gabriel bestellt den türkischen Botschafter ein, Kanzlerin Merkel wählt scharfe Worte. Doch nicht nur Politiker protestieren.

Der türkische Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, ist wegen der Inhaftierung des deutschtürkischen Journalisten Deniz Yücel ins Auswärtige Amt zu einem Gespräch gebeten worden. Das teilte das Außenamt in Berlin mit. Außenminister Sigmar Gabriel sagte, Staatsminister Walter Lindner habe in seinem Auftrag mit dem Botschafter ein Gespräch geführt.

Gabriel warnte, dass das bilaterale Verhältnis vor "einer seiner größten Belastungsproben in der Gegenwart" stehe. Die Inhaftierung des Journalisten zeige, wie weit die Kluft bei rechtsstaatlichen Grundsätzen zwischen der Türkei und Europa mittlerweile sei. Die Bundesregierung fordere zudem "vollumfänglichen konsularischen Zugang" zu Yücel.

Bis zuletzt hatten sie im Auswärtigen Amt und Kanzleramt gehofft, dass die Sache glimpflich enden würde. Im Laufe des gestrigen Abends wurde aber dann doch immer klarer, dass alle diplomatischen Bemühungen um die Freilassung von Yücel gescheitert sind: Der Korrespondent der "Welt" mit deutschem und türkischem Pass muss in Untersuchungshaft. Maximale Dauer: fünf Jahre. Die Vorwürfe: Propaganda für eine terroristische Vereinigung, Volksverhetzung. Ausgang des Verfahrens: völlig offen.

Interview als Propaganda gewertet

Der Haftrichter Mustafa Cakar habe ihm bei der Vernehmung am Montag Propaganda für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Gülen-Bewegung zur Last gelegt, berichtete die "Welt". Beide sind in der Türkei als Terrororganisation verboten.

Als Beweis sei ein Interview Yücels mit dem PKK-Kommandeur Cemil Bayik angeführt worden, das er im August 2015 in den nordirakischen Kandil-Bergen geführt hatte. Demnach kritisierte Cakar, Yücel habe "den Aussagen des Organisationsführers Cemil Bayik über den Präsidenten der Republik Türkei Platz eingeräumt und damit den Eindruck erweckt, dass die PKK-Terrororganisation eine legitime Organisation wäre".

Laut der "Welt" wurde Yücel zudem vorgeworfen, dass er zwei Tage nach dem 15. Juli geschrieben habe, über die Verantwortlichen des Putschversuchs herrsche noch wenig Klarheit. Damit habe Yücel angedeutet, dass es "keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass die Fetö-Terrororganisation den Putsch durchgeführt hat, und betreibt damit Propaganda für die Organisation". Fetö ist die offizielle Bezeichnung für die Gülen-Bewegung.

Autokorsos in mehreren Städten

Bundeskanzlerin Angela Merkel benötigte nach Bekanntwerden des Haftbefehls nur eine Stunde für eine Reaktion. Als "bitter", "enttäuschend" und "unverhältnismäßig hart" kritisiert sie die Entscheidung des Haftrichters. Es muss schon etwas extrem Schwerwiegendes vorgefallen sein, damit sich ein Kanzler oder eine Kanzlerin persönlich in Justizangelegenheiten im Ausland einmischt.

Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert protestierte scharf gegen den Haftbefehl. "Selbstverständlich verurteile ich die Inhaftierung von Deniz Yücel", sagte Lammert der "Rheinischen Post". Er wies darauf hin, dass sich kommende Woche voraussichtlich auch der Bundestag mit dem Fall befassen werde. Aus Solidarität mit Yücel fanden am Nachmittag in mehreren Städten Deutschlands Autokorsos statt, darunter in Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt.

Türkische Medien schweigen

Der Fall Yücel ist zum Symbol für das Dilemma der deutsch-türkischen Beziehungen geworden: Eigentlich kann man nicht so richtig miteinander, man ist aber trotzdem aufeinander angewiesen - als Nato-Partner, im Kampf gegen den islamistischen Terror, in der Flüchtlingsfrage. Nicht zuletzt sind die beiden Länder über drei Millionen türkischstämmige Bürger in Deutschland untrennbar miteinander verbunden - ob sie wollen oder nicht.

Bisher konnte die Bundesregierung den Umgang der Türkei mit Grundwerten wie Presse- und Meinungsfreiheit noch als innere Angelegenheit betrachten. Der Fall Yücel betrifft Deutschland jetzt unmittelbar. Das gilt umso mehr, als dass Kritiker in der Türkei nicht nur die Freiheit der Medien, sondern auch die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen - der Yücel nun ausgeliefert ist.

Bemerkenswert ist, dass Yücels Festnahme in der Regierungspresse - die ihn in der Vergangenheit etwa als "Türkei-Gegner" beschimpfte - keine Rolle spielte. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu vermeldete Yücels Namen nicht ein einziges Mal. Dass die in behördlichen Angelegenheiten gut informierte Agentur seine Festnahme und die Untersuchungshaft verschlafen hat, ist kaum anzunehmen.

Einfluss ist geschwunden

Der Abgeordnete Sezgin Tanrikulu von der größten Oppositionspartei CHP sieht in der Verhaftung Yücels vor allem eine Warnung an die ausländischen Journalisten in der Türkei, sich in ihrer Berichterstattung künftig vorzusehen. Dass Yücel verhaftet worden sei, obwohl sich die Bundesregierung für ihn eingesetzt hatte, zeige, wie sehr der Einfluss Deutschlands in der Türkei geschwunden sei.

Die Solidarität für Yücel wächst dafür. Der Vorstandschef des Axel-Springer-Verlags, Mathias Döpfner, wandte sich unter dem Titel "Wir sind Deniz" an die Öffentlichkeit: "Da wo man Gedanken nur deshalb die Freiheit nimmt, weil sie einem nicht gefallen, tut man das früher oder später auch mit den Menschen", schrieb er.

Quelle: ntv.de, shu/AFP/dpa/rts

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