"Es war 100 Prozent vermeidbar" Giftzugunglück bringt Trumps Wahlkampf ins Rollen
23.02.2023, 22:31 Uhr
Über 70 Prozent im Wahlkreis entschieden sich 2020 für Donald Trump.
(Foto: IMAGO/UPI Photo)
In der Kleinstadt East Palestine entgleist ein Gütertransport, Chemikalien brennen, Einwohner klagen über die Folgen. Ex-Präsident Trump präsentiert sich als Verteidiger der Vergessenen - und eröffnet damit eine erste Stufe des Wahlkampfes ums Weiße Haus.
Am Mittwoch reiste Donald Trump in den Bundesstaat Ohio, im Norden der USA. Vor drei Wochen fand in der dortigen Kleinstadt East Palestine das Zugunglück statt, das derzeit die nationale Politik bewegt. Ein Güterzug mit drei Loks und 149 Waggons verunglückte, 20 davon hatten hochgiftige Chemikalien geladen. Die Bilder der dicken, schwarzen Rauchwolken und der verbrannten Erde, wo 38 Waggons entgleisten, sie gingen um die Welt. Ex-Präsident Trump sprach mit dem neu gewählten republikanischen Senator J. D. Vance und dem Bürgermeister, ließ sich Dinge erklären. Sein Sohn Donald junior war auch dabei.
Ein entgleister Güterzug, das ist nichts Ungewöhnliches in den USA, im Jahr 2021 gab es auf den Hauptstrecken 868 davon. Wohl aber sind es die Umstände. Trump ist bereits im frühen Wahlkampf, er will für die Republikaner 2024 wieder ins Weiße Haus. Aktueller Transportminister der Demokraten ist Pete Buttigieg, der schon 2020 Präsident werden wollte. Erst am heutigen Donnerstag, einen Tag nach Trump, hat Buttigieg dem Unfallort einen Besuch abgestattet. Gegen Joe Biden war er bei den Vorwahlen 2020 nicht angekommen. Und während Biden wegen des Ukraine-Krieges in Osteuropa unterwegs ist, werfen Republikaner dem Präsidenten vor, die Menschen zu Hause zu vergessen. Der Bürgermeister von East Palestine nannte Bidens Europareise einen "Schlag ins Gesicht".
Die Vorwürfe aus der Opposition sind wohlkalkuliert. Am Ort des Unglücks, wo das Gift in die Luft ging und sich die etwa 4700 Einwohner nicht mehr sicher fühlen, liegt eines dieser ländlichen Städtchen, auf dem Trumps Wahlsieg 2016 fußte. In East Palestine wohnen viele Weiße aus der Arbeiterschicht, die sich und ihre Interessen von der nationalen Politik vernachlässigt fühlen. 2016 wählten im dortigen Wahlkreis 68 Prozent den Republikaner, vier Jahre später, als anderswo die Leute genug hatten von Trump, gaben ihm 71,5 Prozent ihre Stimme. Der unterstützte Vance im vergangenen Jahr, der "Hillbilly" wurde zum neuen Senator des Bundesstaats gewählt.
"Diese Gemeinde wurde zerstört"
"Diese Gemeinde braucht jetzt Antworten und Ergebnisse", sagte Trump bei seinem Besuch. Doch die Ursache für das Zugunglück, dessen Folgen für die Einwohner und die Attacken der Republikaner könnten ihm und Vance noch auf die Füße fallen. Der vorläufige Bericht der unabhängigen Transportsicherheitsbehörde NTSB hat festgestellt, dass ein Radlager überhitzte und darauf geladenes Plastik in Brand setzte. Hitzesensoren auf der Strecke hatten den Zugführern die gefährliche Temperatur gemeldet, woraufhin sie den Zug bremsten. Dann entgleiste der Waggon und viele weitere, darunter auch 11 mit Chemikalien beladene; auch mit Vinylchlorid, ein entzündliches, krebserregendes Gas. Einsatzkräfte ließen die Chemikalien auslaufen und zündeten sie an, um unkontrollierte Explosionen zu vermeiden.
Die Einwohner von East Palestine waren wegen der Gefahr evakuiert worden, dürfen aber bereits seit mehr als zwei Wochen wieder zurück in ihre Häuser. Den Behörden zufolge sind Luft und Trinkwasser wieder sauber. So richtig kann das niemand glauben. Noch gestern klagten Einwohner beim US-Sender CNN über unterschiedliche Symptome wie Schwindel, Ausschlag und Nasenbluten, manche mussten sich übergeben. Das private Zugunternehmen Norfolk Southern ist verantwortlich für Aufräumarbeiten, die potenzielle Säuberung des Wassers, des Bodens und jegliche Kosten.
"Diese Gemeinde wurde zerstört", sagte NTSB-Chefin Jennifer Homendy bei der Vorstellung der ersten Fakten. Unklar ist weiterhin, was der Ursprung für die Überhitzung und den Brand ist. "Es war 100 Prozent zu verhindern", sagte Homendy schon jetzt: "Wir haben noch nie einen Unfall gesehen, der nicht zu verhindern gewesen wäre." Die Behörde habe Objekte am Unfallort gesammelt, werde sie untersuchen und mit verschiedenen Organisationen analysieren, wo der Fehler lag und wie die Regularien verbessert werden könnten. Dafür zuständig sind dann das Verkehrsministerium und der Kongress.
Die Diskussionen um das Zugunglück sind noch mehr als über den Unfall an sich, sondern auch darüber, wer das Land besser führen kann. Trump hatte während seiner Präsidentschaft mehrere Reformen im Transportsektor zu den Akten gelegt. Regelmäßig rühmte er sich etwa im Zusammenhang mit Umweltauflagen für Unternehmen, Regulierungen abgebaut zu haben. Ob da irgendwo welche dabei waren, die den Chemieunfall begünstigt und nun die Gesundheit seiner Wähler gefährden, das könnte die US-Transportsicherheitsbehörde NTSB in ihren Untersuchungen enthüllen.
"Energischer Widerstand" der Zugunternehmen
Eine davon waren elektronisch koordinierte Bremsen, womit alle Waggons gleichzeitig ihre Geschwindigkeit verringern und damit auch das Risiko, zu entgleisen. Gewerkschaften waren vor einigen Jahren dafür, die Unternehmen dagegen. Güterzüge in den USA sind häufig sehr lang, wie auch in diesem Fall, bei dem er 149 Wagen umfasste. Um Personal zu sparen und die Strecken effektiver zu nutzen, werden sehr viele verschiedene Waren auf einmal transportiert.
Transportminister Buttigieg monierte "energischen Widerstand" der Zugunternehmen gegen strengere Sicherheitsvorkehrungen bei solchen Zügen. Daran seien Initivativen wie für das bessere Bremssystem bei Waggons mit giftigen, brennbaren Ladungen gescheitert. Das hätte im Fall von East Palestine nicht geholfen: Unter Ex-Präsident Barack Obama sollten Züge ab 20 Waggons mit hoch entflammbarer Ladung solche Bremsen vorgeschrieben bekommen, was der Kongress jedoch mit der Auflage einer vorherigen Kosten-Nutzen-Analyse verzögerte. 2017, im ersten Jahr unter Trump, wanderte die geplante Auflage in den Papierkorb.
Buttigieg forderte zudem, die potenziellen Strafen im Zusammenhang mit giftigen Stoffen und Todesopfern zu erhöhen. Derzeit sind maximal 225.000 Dollar für Vergehen möglich: "Für Unternehmen mit jährlichen Milliardengewinnen hat das nicht genug abschreckende Wirkung." Der Zug in East Palestine war auch nicht als hochentzündlich klassifiziert.
NTSB-Chefin Homendy beschwerte sich über die öffentliche Diskussion. "Jeder springt auf Lösungen in den sozialen Medien an, aber keine davon hilft." Und wenn ihre Behörde nach langer penibler Arbeit ihre Empfehlungen veröffentliche, würden die ignoriert: "DAS ist frustrierend." Bislang legen private Zugunternehmen selbst ihre Hitzegrenzwerte fest, also ab wann ein Zug gestoppt werden muss. Auch die Messung ist nicht bis ins Detail reguliert. Dies, der Zustand der Waggons und deren Vorgeschichte und vieles mehr wird laut Homendy nun ebenfalls unter die Lupe genommen.
Das komplette Ergebnis der NTSB, inklusive Analyse und Empfehlungen für Verbesserungen, soll in 12 bis 18 Monaten vorliegen. Da könnte der mediale Kampf ums Weiße Haus schon seiner finalen Phase sein.
Quelle: ntv.de