Türkei-Wahlkampf in Köln Grüne legen sich mit Erdoğan an
29.05.2015, 11:41 Uhr
Grünen-Chef Cem Özdemir unterstützt die HDP, die sich gegen den Alleinherrschaftsanspruch der AKP wendet.
(Foto: imago/IPON)
Die Türkei entscheidet sich: Will sie ihr System auf Präsident Erdoğan ausrichten oder sich gesellschaftlich öffnen? Die Grünen wollen den Wahlkampf beeinflussen - und müssen sich vorwerfen lassen, mit Terroristen zusammenzuarbeiten.
Cem Özdemir kann sich gar nicht losreißen. Einer nach dem anderen will ein Foto mit ihm machen, er lächelt in dutzende Handykameras. Der Parteichef der deutschen Grünen hat viele Sympathien gewonnen unter Türken, als er sich vor einer Woche offiziell in den türkischen Wahlkampf einmischte. Die Grünen rufen dazu auf, die "Demokatische Partei der Völker" (HDP) zu wählen. Das ist die Partei, auf die es ankommt, wenn noch verhindert werden soll, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Land nach seinem Gusto umformt. Özdemir hat nun die HDP-Führung nach Köln eingeladen, und für sie eine Wahlkampfveranstaltung ausgerichtet. Er spricht den Kollegen Mut zu und lässt sich mit ihnen photographieren. Knapp 200 HDP-Anhänger sind gekommen und feiern Özdemir für seinen Einsatz.
Es ist eine Aktion in letzter Minute. Bis zum 31. Mai dürfen Türken im Ausland noch ihre Stimme für die Parlamentswahl abgeben. Am 7. Juni wird in der Türkei abgestimmt. "Sagt euch bloß nicht, auf meine Stimme kommt es nicht an", mahnt der stellvertretende HDP-Vorsitzende Nazim Gür bei einer Wahlkampfveranstaltung in Köln. "Es kommt vor allem auf die Stimmen aus dem Ausland, aus Deutschland an." Özdemir will dabei helfen, so viele Stimmen zu sammeln, dass die HDP erstmals die Zehn-Prozent-Hürde überspringt.
Die HDP, sagt Özdemir, steht für ähnliche Werte wie die deutschen Grünen: Gleichberechtigung, Demokratie, Ökologie. Vor allem aber geht es ihm darum, dem Aufstieg Erdoğans etwas entgegenzusetzen. Erdoğan durfte im vergangenen Jahr nicht mehr als Ministerpräsident kandidieren. Darum wechselte er in das unwichtigere Amt des Präsidenten. Nun will er wieder mehr Macht erlangen und dazu das demokratische System der Türkei in ein Präsidialregime umbauen. Özdemir nennt es auch "eine Art Putin-Regime": Neben Erdoğan soll niemand sonst das Sagen haben. Nicht das Parlament, nicht der Ministerpräsident, schon gar nicht Medien oder die Zivilgesellschaft.
Wahlkampf mit der Feuerwehr
Damit Erdoğan die Verfassung ändern kann, braucht seine AKP im Parlament eine Zweidrittelmehrheit. Um die zu erreichen, wirft er sich in einen Wahlkampf, der ihm als Präsident eigentlich verboten ist. Zum Beispiel trat er vor Kurzem in Karlsruhe auf - offiziell, um sich für die Stimmen bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr zu bedanken. In Wirklichkeit ging es darum, AKP-Stimmen für die anstehende Parlamentswahl zu sammeln. Gür berichtet, Erdoğan setze alle staatlichen Instrumente ein, um den Einzug der HDP ins Parlament zu verhindern. Sogar die Feuerwehr habe er für den Wahlkampf eingespannt.
Gür kann mit seiner HDP da nicht mithalten. Er setzt auf Soziale Medien, auf Freude und Zuversicht und auf kleine Nadelstiche. "Lächle du, damit er sich totärgert", heißt eine Kampagne, bei der Wähler sich mit ihren Profilfotos gegen Erdoğan stellen. Dagegen könne sich der Präsident nicht wehren.
Die Unterstützungserklärung der Grünen habe in der türkischen Presse großen Widerhall gefunden, so Gür. Die Menschen seien sehr glücklich darüber. Das Ganze sei sehr bedeutend und wertvoll. Auch aus anderen Staaten gibt es Unterstützung, zum Beispiel vom griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, ebenso von der deutschen Linkspartei.
Eine "Terror-Partei"?
Die internationale Anerkennung hilft der HDP dabei, in der ganzen Türkei wahrgenommen zu werden. Denn lange Zeit wurde sie als Vertretung der Kurden wahrgenommen. Damit war sie für viele Türken unwählbar. Jetzt stellt sie sich breiter auf. Anstatt die Interessenvertretung einer ethnischen Gruppe zu sein, setzt sie sich allgemein für gleiche Rechte aller ein. "Demokratisch geht es erst zu, wenn Menschen nicht mehr wegen ihrer Religion, ihrer Sexualität oder ihrer Ethnie verfolgt werden", so Gür.
Sevil Turan, die Vorsitzende der türkischen Grünen, die mit der HDP zusammenarbeiten, ergänzt: Das Grubenunglück von Soma vor einem Jahr habe gezeigt, dass die Energiepolitik der AKP fehlgeleitet sei, dass es keinen Arbeitsschutz gebe, Menschenleben keine Bedeutung hätten. Dass sich unter Erdoğan das Verhältnis zwischen Regierung und Kurden verbessert hat, will Turan nicht gelten lassen. Der Präsident habe kein Interesse daran, die kurdische Frage zu lösen.
Die HDP als friedliche Menschenrechtspartei? Viele religiös-konservative Türken sehen das ganz anders. Wegen ihrer Verbindung zur noch immer als Terrororganisation eingestuften PKK zieht die HDP Hass auf sich, geschürt von den Attacken Erdoğans. Selbst ein deutsches Medium übernimmt Erdoğans Sicht auf die HDP: "Grüne geben Wahlempfehlung für türkische Terror-Partei", titelte die "Huffington Post". Zwar beteuert die HDP, mit dem bewaffneten Kampf der PKK, die sich für ein unabhängiges Kurdistan einsetzt, nichts zu tun zu haben. Doch das glauben viele nicht und halten sogar den bewaffneten Widerstand gegen die HDP für legitim. In diesem Wahlkampf soll es schon 80 Übergriffe auf HDP-Einrichtungen gegeben haben. Darunter waren auch zwei Bombenanschläge, die laut Gür darauf angelegt waren, eine große Anzahl an Menschen zu töten. Auch Cem Özdemir wird nun offen angegriffen. Auf seiner Facebook-Seite wird er als "armenischer Terrorist" bezeichnet. Das zeige aber nur, sagt er, wie viel für die AKP-Anhänger bei dieser Wahl auf dem Spiel steht.
Quelle: ntv.de