Keine fünfte Amtszeit Gut, dass Merkel aufhört
05.06.2020, 18:44 Uhr
Eins ist sicher: Es wird viele Gründe geben, Merkel zu vermissen.
(Foto: via REUTERS)
Erneut schließt Kanzlerin Merkel ausdrücklich eine fünfte Amtszeit aus. Das ist gut so, denn aus mehreren Gründen wird es Zeit, dass sie den Posten räumt.
Zumindest in einem Aspekt ist es für Angela Merkel und die Union in der Corona-Krise extrem behaglich geworden: Die Zustimmungswerte für die Schwesterparteien CDU und CSU sind geradezu explodiert. In Umfragen steht die Union bei rund 40 Prozent. Noch im Frühjahr sah es eher danach aus, als näherte sie sich der 20-Prozent-Marke. Führende Unionspolitiker gehören in Krisenzeiten zu den beliebtesten des Landes. Allen voran: die Kanzlerin. Im ZDF-Politbarometer bewerten 83 Prozent der Befragten Merkels Arbeit als gut. In einer ähnlichen Umfrage der ARD sagten 71 Prozent, sie seien zufrieden oder sehr zufrieden mit der Kanzlerin. Es sind sensationelle Beliebtheitswerte.
Dennoch: "Nein. Nein, wirklich nicht", antwortete Merkel im Interview mit dem ZDF auf die Frage, ob sie nochmal als Kanzlerkandidatin antreten würde. Das ist zwar alles andere als neu. Merkel hat das Ende ihrer Zeit als Regierungschefin längst eingeläutet. Doch Spekulationen und Gerüchte gab es seither viele. Selbst Innenminister Horst Seehofer sagte Anfang Mai, dass er diesen Gedanken - Merkels fünfte Amtszeit - "in letzter Zeit öfter gehört habe". Und warum denn eigentlich nicht? Für Merkel und die Union läuft es doch. Die Corona-Krise, so sieht es in der Momentaufnahme aus, hat die Krise von CDU und CSU beendet.
Dass Merkel aber bei ihrem "Nein" bleibt, ist eine kluge Entscheidung. Eine fünfte Amtszeit wäre nicht gut für sie, für ihre Partei und vielleicht auch das Land. Das hat mehrere Gründe.
1. Es spricht einiges dafür, dass der Höhenflug der Union nicht von Dauer ist. Sicherlich hat die Bundesregierung in der Corona-Krise nicht alles, aber wahrscheinlich sehr vieles richtig gemacht. Vergleichsweise früh wurde das öffentliche Leben abgebremst, gigantische Geldsummen mobilisiert, Krankenhauskapazitäten aufgestockt. Die Krise sei die Stunde der Exekutive, hieß es, als die Situation Ende März und Anfang April besonders dynamisch war. Bereitwillig reihte sich die Opposition hinter der Regierung ein und unterstützte ihre Politik. Selbst von den ärgsten Kritikern aus den Reihen der AfD und Linken gab es damals Lob für das Krisenmanagement. Auch international hat sich ein Bild verfestigt, demzufolge Deutschland geradezu vorbildlich mit dem Problem fertig geworden ist.
Will Merkel zurück zur Krise der CDU?
Aber allein diese Ausnahmesituation hat der Union ihren Höhenflug ermöglicht - andere politische Themen waren in den vergangenen Monaten praktisch nicht existent. Hinzu kommt: Die Union trat weitgehend geschlossen auf. Innerparteiliche Diskussionen, Vorstöße und Richtungswechsel waren bei CDU und CSU in dieser Zeit deutlich weniger zu hören als beim Koalitionspartner SPD - was erklären könnte, warum die Sozialdemokraten von der "Stunde der Exekutive" kaum profitieren konnten.
Doch die Ausnahmesituation wird voraussichtlich bald enden. Die Kritik der Opposition wird schon jetzt deutlich lauter. Es ist gut möglich, dass die märchenhaften Umfragewerte bald bröckeln. Das Beispiel der Grünen zeigt, wie schnell das gehen kann. Es ist noch nicht lange her, da dominierte die Partei mit dem Thema Klimaschutz den Diskurs. Innerhalb von Wochen erodierten die Umfragewerte und sie stand plötzlich in der Defensive, kaum in der Lage, passende Antworten auf eine aktuelle Krise zu finden. Mit Merkels Verzicht dürfte - aller Voraussicht nach - am Ende ihrer Karriere die Geschichte einer erfolgreich bewältigten Krise stehen und nicht die einer unter ihrer Kanzlerschaft erodierenden Volkspartei. Und letztere war bis zum Ausbruch der Pandemie gültig.
2. Hätte die Bundesregierung anders auf die Pandemie reagiert, wären vermutlich deutlich mehr Menschen in Deutschland an der Virusinfektion gestorben. Ja, das Krisenmanagement hat gut funktioniert. Vor allem bei der Union wurde das oft damit begründet, dass mit Merkel krisenerprobte Regierungschefin an der Spitze des Staates stehe. Zweifellos hat die Langzeitkanzlerin Erfahrung im Umgang mit Ausnahmesituationen. Aber bedeutet das auch, dass weniger Erfahrung ein gutes Krisenmanagement ausschließt? Hätte an ihrer Stelle ein jüngerer Politiker oder eine jüngere Politikerin gestanden, wäre es dann zwangsläufig schlechter gelaufen?
Erfahrung ist nicht alles
Es gibt mehrere Beispiele von Staaten, die deutlich unerprobtere Regierungschefs haben und gut mit der Krise zurechtgekommen sind. Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern etwa ist erst seit Herbst 2017 im Amt und der Umgang ihrer Regierung mit der Pandemie gilt - ebenso wie der Deutschlands - als vorbildhaft. Ardern reagierte mit einem harten, siebenwöchigen Lockdown. Das Land hat bisher nur 22 Tote zu beklagen und ist inzwischen wieder zur Normalität übergegangen. Die Beliebtheitswerte der Premierministerin sind hervorragend und im Gegensatz zu Merkel hat die 39-Jährige ihre politische Karriere noch vor sich.
Beide Frauen haben in der Krise einen hervorragenden Job gemacht. Aber zu argumentieren, Merkel komme mit politischen Herausforderungen allein aufgrund ihrer Erfahrung besonders gut klar, ist ein Scheinargument. Es bestätigt sich selbst, je länger sie im Amt ist. Letztlich ist es aber nicht mehr als eine elegante Variante des beliebten Traditionsarguments "Wir haben das schon immer so gemacht."
3. Merkel hat in der Corona-Krise mehrere bemerkenswerte Auftritte absolviert. In Regierungserklärungen, ihrer Fernsehansprache oder bei Pressekonferenzen hat sie bewiesen, dass sie Fähigkeiten erlernt hat, die früher bei ihr vermisst wurden - Empathie oder rhetorische Leidenschaft etwa. Andererseits wirkte bei anderen Gelegenheiten ihre früher oft kritisierte kühle, rationale Art geradezu beruhigend in einer Lage, die zur Panik verleiten konnte. Ist die Corona-Krise aber erst überwunden, werden auch die Sondereffekte für Union und Merkel verschwinden. Nach und nach wird der politische Alltag mit seinen wechselnden Themen zurückkehren. Und wird es "die neue Merkel" aus der Corona-Krise auch herüberschaffen in diesen Alltag?
Wie war das vor Corona? Bevor Merkel die Pandemie Anfang März zur Chefsache erklärte, schien die Kanzlerin sich zunehmend zurückzuziehen. Zur Seuche hatte sie anfangs ebenso wenig zu sagen wie zu vielen anderen innenpolitischen Themen. Regierungserklärungen übernahmen immer öfter ihre Minister, öffentliche Statements waren selten geworden, Interviews gab sie so gut wie keine mehr. Merkel schien sich im Kanzleramt ihrer persönlichen Leidenschaft zu widmen, der Außenpolitik. Dringend benötigte innenpolitische Impulse und der Wille zum Gestalten waren nur noch schemenhaft zu erkennen. Bei allem Respekt vor ihren Leistungen in der Krise sollte man nicht vergessen, dass sie vor knapp drei Monaten dabei war, sich zu einer passiven Regierungschefin zu entwickeln.
Sie wird vermisst und verklärt werden
4. Merkel hat versucht, ihre Nachfolge zu regeln. Das steht einer demokratisch gewählten Politikerin eigentlich nicht zu. Das Volk regelt die Erbfolge im Kanzleramt. Dennoch wollte sie mitgestalten und hat mit Annegret Kramp-Karrenbauer eine Politikerin von ihren Gunsten zu fördern. Das ist krachend gescheitert. Schnell zeigte sich, dass AKK wenige Aussichten auf die Spitzenkandidatur hat. Nach mehreren krachenden Wahlniederlagen stellte sie schließlich auch ihr Amt als Parteivorsitzende zur Verfügung. Die Christdemokraten wollen inzwischen ganz offensichtlich einen anderen als den von Merkel favorisierten Kurs.
5. Parteivorsitz und Kanzlerschaft gehören in eine Hand. Diesen Satz hat Merkel selbst oft gesagt. Aktuell ist das Rennen um den Parteivorsitz unterbrochen. Doch in absehbarer Zeit wird es eine Entscheidung geben. Und es deutet derzeit wenig darauf hin, dass die bisherigen Kandidaten zu der Kategorie Politiker gehören, die sich mit der Hälfte des Kuchens - Parteivorsitz ohne Kanzlerkandidatur - zufrieden geben. Bei einer erneuten Kandidatur könnte es zu einem historisch erstmaligen Chaos zwischen Kanzleramt und Konrad-Adenauer-Haus kommen. Allen drei Kandidaten, Norbert Röttgen, Friedrich Merz und Armin Laschet, wäre zuzutrauen, dass sie Merkel in die Defensive drängen.
Im Moment hat Merkel die Option, das Amt unbeschadet zu verlassen. Ihre Langzeitkanzlerschaft hätte sie in einem Moment beendet, nachdem sie noch einmal zur Hochform aufgelaufen wäre. Sie würde als die erste Kanzlerin in die Geschichte eingehen, der ein freiwilliger Abgang gelungen ist. Das wird vermutlich dazu führen, dass sie nach ihrem Abschied schnell vermisst und verklärt werden würde. Berechtigterweise, denn sie hat viele kluge Entscheidungen getroffen. Auf die fünfte Amtszeit zu verzichten, ist eine davon.
Quelle: ntv.de