Kraftwerk im Gazastreifen getroffen Hamas dementiert Feuerpause
29.07.2014, 16:04 Uhr
Die Kämpfe im Gazastreifen werden heftiger. Eine von der PLO verkündete Feuerpause dementiert die Hamas jedoch vehement. Derweil steht das einzige Kraftwerk des Küstenstreifens in Flammen. Das UN-Hilfswerk kann keine neuen Flüchtlinge mehr aufnehmen.
Drei Wochen nach Beginn der israelischen Militäroperation werden die Kämpfe im Gazastreifen mit immer größerer Härte geführt. Augenzeugen berichteten, die israelischen Bombenangriffe während der Nacht auf Dienstag seien die schlimmsten seit Beginn der Militäroffensive gewesen. Mindestens 79 Palästinenser wurden getötet. Auf israelischer Seite kamen zehn Soldaten ums Leben.

Ganze Wohnviertel des Gazastreifens sind zerstört, mehr als Tausend Palästinenser kamen ums Leben.
(Foto: AP)
Bei den Kämpfen wurde auch das einzige Elektrizitätswerk des abgeriegelten Mittelmeer-Küstenstreifens von Granaten getroffen. Ein Großfeuer brach aus und das Kraftwerk fiel komplett aus. Den Angaben zufolge gingen durch israelischen Panzerbeschuss riesige Vorratstanks in Flammen auf, in denen etwa drei Millionen Kubikliter Diesel als Treibstoff für das Kraftwerk gebunkert waren.
Bilder der Fotoagentur EPA zeigten lodernde Flammen und dichten, schwarzen Rauch. Bislang sei es den Feuerwehrleuten nicht gelungen, den Brand zu löschen. Eine Armeesprecherin in Tel Aviv teilte mit, man prüfe den Bericht. Das Kraftwerk erzeugt Strom für Haushalte, Betriebe, Krankenhäuser und Wasserpumpen im Gazastreifen. Die Stadtverwaltung von Gaza warnte vor einer Wasserknappheit. Das Kraftwerk deckt bis zu zwei Drittel des Energiebedarfs von Gaza. Die örtliche Energiebehörde erklärte, das Kraftwerk könnte für ein Jahr ausfallen.
Hamas dementiert Waffenruhe
Die im Gazastreifen herrschende Hamas dementierte derweil Berichte über eine Waffenruhe mit Israel. Ein Hamas-Sprecher wies eine entsprechende Ankündigung der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO zurück. Ein PLO-Funktionär hatte zuvor gesagt, die militanten Palästinenser hätten einer 72-stündigen Waffenruhe zugestimmt. Der Hamas-Sprecher sagte jedoch, die PLO vertrete nicht die Position der Hamas. Die Hamas werde ihre Positionen selbst verkünden, betonte er. Der PLO-Sprecher hatte sich nach Gesprächen mit Vertretern der Hamas und mit ihr verbündeter Milizen geäußert. Die PLO untersteht dem gemäßigten Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas.
Ungeachtet aller internationalen Appelle für eine Waffenruhe hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zuletzt eine Fortsetzung der Militäroffensive angekündigt. "Wir werden den Einsatz nicht beenden, bevor wir die Tunnel (der Hamas) zerstört haben", erklärte er am Montag in einer Fernsehansprache.
In der Nacht hatten schwere Bombardements den Gazastreifen erschüttert. Palästinensische Augenzeugen berichteten, das Militär habe aus der Luft, mit Artillerie und von Kriegsschiffen aus geschossen. Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur dpa in Gaza sprach von einer Nacht "voller Horror, Angst und Panik".
Nach Medienberichten griff die Armee 150 Ziele an, darunter zwei Kommandozentralen der radikal-islamischen Hamas und vier Waffenlager, die sich in Moscheen befanden sowie Hafenanlagen. Nach Darstellung der Hamas wurden auch die Gebäude ihres Fernsehsenders Al-Aksa TV und des Hörfunksenders Al-Aksa Radio bombardiert. Das Fernsehen sendete aber weiter, der Hörfunk blieb indes stumm. Auch das Haus des Hamas-Spitzenpolitikers Ismail Hanija wurde getroffen. Der Funktionär und seine Familie waren zu dem Zeitpunkt nicht anwesend.
UN-Hilfswerk ist überfordert
Mitarbeiter der Vereinten Nationen im Gazastreifen fanden derweil in einer von ihnen verwalteten Schule ein Waffenlager. Die Weltorganisation beschuldigte militante Palästinenser, "die Neutralität einer unserer Einrichtungen verletzt" zu haben. Die Schule werde derzeit nicht genutzt. Das Hilfswerk UNRWA betreibt in Gaza 85 Notunterkünfte, zumeist in Schulgebäuden, für palästinensische Zivilisten, die vor den israelischen Bombenangriffen geflohen sind, schrieb ein Sprecher der Organisation auf Twitter. Ihre Zahl stieg auf über 200.000 an. In dem abgeriegelten Mittelmeer-Küstenstreifen leben 1,8 Millionen Menschen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte, die UN-Organisationen in Gaza seien überfordert und könnten keine zusätzlichen verzweifelten Menschen mehr versorgen.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisierte derweil scharf den Beschuss der wichtigsten Klinik im Gazastreifen. "Gerade in Kriegszeiten müssen Gesundheitseinrichtungen und ihre Mitarbeiter respektiert und geschützt werden. Aber im Gazastreifen sind Krankenhäuser derzeit keine sicheren Orte", sagt Tommaso Fabbri, Leiter der Projekte der Organisation in den Palästinensergebieten. Nicht nur Medikamente, sondern auch Trinkwasser und Nahrungsmittel würden in dem von 1,8 Millionen Menschen dicht besiedelten Gebiet knapp, schrieb die Organisation. Bei dem Beschuss des Al-Schifa-Krankenhauses, den sich Israelis und Palästinenser gegenseitig vorwerfen, waren am Vortag mindestens drei Menschen getötet worden.
Militante Palästinenser setzten derweil ihre Angriffe auf den Süden Israels fort. Das israelische Abwehrsystem "Iron Dome" fing eine Rakete über der Stadt Aschkelon ab. In der israelischen Mittelmeermetropole Tel Aviv hatten zum ersten Mal mitten in der Nacht die Alarmsirenen geheult. Zwei Raketen seien nahe Rischon Lezion südöstlich von Tel Aviv eingeschlagen, teilte die Armee mit.
Künstler werfen Israel Völkermord vor
Bei israelischen Angriffen im Gazastreifen sind seit dem 8. Juli mehr als 1100 Menschen getötet und mehr als 6500 verletzt worden. Die meisten der Opfer seien Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, teilten die Rettungskräfte mit. Nach Angaben des israelischen Militärs starben bis Dienstagmorgen 53 israelische Soldaten, davon rund zehn bei Gefechten Dienstagnacht. Drei Zivilisten kamen bei Angriffen militanter Palästinenser ums Leben. Wie UNRWA-Sprecher Gunness mitteilte, starben auch fünf UN-Mitarbeiter, darunter drei für UNRWA tätige Lehrer.
Führende westliche Nationen forderten eine sofortige, bedingungslose und humanitäre Waffenruhe. Die Führung in Teheran verschärfte dagegen ihre Tiraden gegen Israel. Der oberste politische und religiöse Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, nannte Israel einen "tollwütigen Hund" und "raubgierigen Wolf". Die muslimische Welt rief er auf, die Palästinenser mit Waffen zu versorgen, damit sie sich gegen "diesen Völkermord" zur Wehr setzen könnten.
Aber auch Künstler meldeten sich zu Wort. Der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim äußerte sich zutiefst besorgt. "Alle Kriege gehen eines Tages zu Ende. Doch was wird in Israel und Palästina geschehen, wenn dieser Krieg vorbei ist? Den Hass wird keine politische Verhandlung beseitigen können", sagte er am Montag in Buenos Aires. In Spanien warfen mehr als einhundert Künstler, darunter die Hollywood-Stars Penélope Cruz und Javier Bardem sowie der Regisseur Pedro Almodóvar, Israel Völkermord vor.
Zugleich kam es in verschiedenen Ländern zu Anschlägen auf jüdische Einrichtungen und antisemitische Schmierereien. In Wuppertal schleuderten drei Männer Brandsätze auf den Eingang der dortigen Synagoge. In Rom wurden Drohungen, antisemitische Parolen und Hakenkreuze an Dutzende jüdischer Geschäfte gesprüht.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts