Ein Nachruf Horst Köhler - der sensible, unbequeme Bundespräsident
01.02.2025, 11:38 Uhr Artikel anhören
Horst Köhler (1943-2025)
(Foto: picture alliance/dpa)
Ein "Grüßaugust" im Berliner Schloss Bellevue wollte Horst Köhler nicht sein, sondern als Bundespräsident mithelfen, "dass wir als Land, als Volk vorankommen". Am Ende stand der erste Rücktritt eines deutschen Staatsoberhaupts in der Nachkriegsgeschichte. Dagegen hinterließ Köhler in anderen Funktionen große Spuren.
Horst Köhler wollte nicht mehr. Es war der 31. Mai 2010, an dem er für ein politisches Beben in Berlin sorgte. Nur ein Jahr nach seiner Wiederwahl zum Bundespräsidenten trat Köhler zurück. Noch heute wird darüber gerätselt, was ihn zu diesem drastischen Schritt veranlasste. Und das, obwohl Köhler eine klare Erklärung zu seiner Demission gab.
Köhler hatte drei Monate zuvor Bundeswehrtruppen in Afghanistan besucht. Es war ein Zwischenstopp nach einer wichtigen Visite in China. Auf dem Rückflug nach Deutschland gab er dem Deutschlandfunk ein Interview, das für großen Ärger sorgen sollte.
Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit einer starken Außenhandelsorientierung müsse im Notfall seine Handelswege auch militärisch schützen, sagte Köhler damals. Darüber entbrannte danach eine harte Debatte. Vor allem die damaligen Oppositionsparteien SPD und Grüne schossen sich auf Köhler ein. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin nahm sogar das aus der Kaiserzeit stammende Wort "Kanonenbootpolitik" in den Mund.
Köhler war schwer getroffen und hielt den Attacken auch nicht lange stand. Er entschied sich zum Rücktritt. Die Kritik gehe so weit, "mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären", erklärte er seinen ungewöhnlichen Schritt. "Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt vor meinem Amt vermissen." Damit wurde der erste Rücktritt eines deutschen Bundespräsidenten Wirklichkeit. Köhler sei wohl zu sensibel für solche Auseinandersetzungen, hieß es damals in Berlin.
Unbeschriebenes politisches Blatt
Dabei ließ sich seine Amtszeit gar nicht so schlecht an. Ja, Köhler war in den Augen vieler Deutscher nicht gerade die erste Wahl für den Einzug ins Berliner Schloss Bellevue. Aber die Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, setzten 2004 auf den zurückhaltenden Mann, dem schrille Töne zuwider waren. Ein Kandidat wie Wolfgang Schäuble scheiterte zuvor am Widerstand der künftigen Bundeskanzlerin - zu unbequem. Zwar sagte auch Köhler bei seinem Amtsantritt, er wolle ein Bundespräsident der klaren Worte sein, mitunter auch mal anstrengend. Aber so richtig ernst wurde diese Aussage von den Granden der Union wohl nicht genommen. So war es für Köhler auch alles andere als leicht, als unbeschriebenes politisches Blatt den präsidialen Platz von SPD-Urgestein Johannes Rau auszufüllen.

Wahl zum Bundespräsidenten am 23. Mai 2004. Die unterlegene Gesine Schwan und Angela Merkel gratulieren.
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1943 wurde er als siebtes von acht Kindern im damals von Deutschland besetzten polnischen Skierbieszów geboren. Seine Eltern stammten eigentlich aus Bessarabien, einer Region, die heute zu Rumänien und Moldau gehört und von deutschen Auswanderern besiedelt worden war. Die Familie floh vor Ende des Zweiten Weltkrieges vor den sowjetischen Truppen nach Leipzig und 1953 weiter nach Westdeutschland. In Ludwigsburg bei Stuttgart sollten die Köhlers dann heimisch werden. Horst Köhler selbst fasste Fuß im Ländle. In einem späteren Interview sagte er jedenfalls, sich "nicht als Vertriebener zu fühlen".
Und er kämpfte um sein Vorankommen. Nach Ableistung seines Wehrdienstes studierte Köhler von 1965 bis 1969 in Tübingen Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften. Die Ökonomie hatte es Köhler angetan, denn nach seinem Studium, das er als Diplom-Volkswirt abschloss, war er sieben Jahre lang wissenschaftlicher Referent am Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung. 1977 promovierte er. Danach legte er eine außerordentliche Karriere hin.
Köhler, der erst 1981 im Alter von 38 Jahren Mitglied der CDU wurde, war in seinen jungen Jahren ein klassischer Mann für die sogenannte zweite Reihe. So arbeitete er im Bundeswirtschaftsministerium, dann bei der schleswig-holsteinischen Landesregierung, genauer gesagt in der Kieler Staatskanzlei. 1990 kehrte Köhler zur Bundesregierung nach Bonn zurück, wo er von 1990 bis 1993 unter Bundesfinanzminister Theo Waigel als Staatssekretär amtierte.
Es war eine bewegte Zeit. Die großen finanziellen Herausforderungen, die die Deutsche Einheit mit sich brachte, mussten gestemmt werden. Hinzu kamen die großen Aufgaben auf europäischer Ebene, die zur Einführung einer gemeinsamen Währung, dem Euro, führen sollten. Sowohl den Maastricht-Vertrag der Europäischen Union als auch die Wiedervereinigung verhandelte Köhler in erster Reihe mit. Allerdings war er zu dieser Zeit mehr der Fachwelt als der breiten Öffentlichkeit bekannt.
Großes Faible für Afrika
Doch es war Köhlers Ansehen in ebendieser Fachwelt, das ihn für weitere Aufgaben empfahl. Im Jahr 2000 wurde er Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) - vorgeschlagen von Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD, akzeptiert von der US-Regierung. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hatte Schröder zu der Personalie ermuntert. Köhlers "öffentliches Ansehen in der Welt" sei ein wichtiges Faustpfand für diese Position, so der Hamburger. Als achter Direktor hatte Köhler diese Führungsfunktion bis 2004 inne.
Als IWF-Direktor wurde Köhler ein Fürsprecher für die Probleme Afrikas - eine Thematik, die ihn bis zu seinem Lebensende nicht mehr losließ. Er bereiste den von zahlreichen Kriegen und Wirtschaftskrisen gebeutelten Kontinent. Köhler plädierte dafür, die Armutsbekämpfung in Afrika zu einer Hauptaufgabe des Währungsfonds zu machen. Er redete dem Westen ins Gewissen, den Afrikanern besser "zuzuhören". Sie benötigten mehr Gestaltungsspielraum bei dringend benötigten politischen und ökonomischen Reformen. Hilfe zur Selbsthilfe, das war Köhlers Credo für Afrika.
Als Horst Köhler 2004 die politische Bühne in Berlin betrat, hatte er also auf internationaler Ebene bereits dicke Bretter gebohrt. Angela Merkels Personalentscheidung für den Wirtschafts- und Finanzfachmann war also durchaus nachvollziehbar - aber auch nicht uneigennützig, anderthalb Jahre vor Beginn ihrer langen Kanzlerschaft.
Doch Köhler erwies sich als "schwieriger" als erwartet. "Ich bin nicht Bundespräsident geworden, um nur zu repräsentieren, sondern im Rahmen meines Amtes mitzuhelfen, dass wir als Land, als Volk vorankommen", sagte er zu Beginn seiner Amtszeit. Kurzum: "Grüßaugust" beziehungsweise nur der Mann für geschliffene Sonntagsreden wollte er nicht sein. "Ich glaube, der Bundespräsident sollte schon sagen, was er für richtig hält." Sechs Jahre später wurde ihm das zum Verhängnis.
Horst Köhler verstarb am 1. Februar 2025 im Alter von 81 Jahren.
Quelle: ntv.de