Gregor Gysi über den Bundestag "Ich weiß doch sowieso, was sie sagen"
13.10.2015, 11:42 Uhr
Gregor Gysi findet Bundestagsdebatten langweilig und setzt sich für eine Reform ein.
(Foto: dpa)
In Zukunft wird Gregor Gysi seltener im Bundestag sprechen, er gibt sein Amt als Fraktionsvorsitzender ab. Auf Zuhören hat er aber auch keine Lust. Im Interview macht er Vorschläge, wie die Debatten spannender und die Arbeit der Politiker transparenter werden könnte.
n-tv.de: Schauen Sie sich gerne Debatten im Plenum des Deutschen Bundestags an?
Gregor Gysi: Nein.
Warum nicht?
Weil ich denke, dass ich ja ohnehin weiß, was sie sagen.
In Ihrer Abschiedsrede haben Sie gesagt, die Demokratie müsste attraktiver gestaltet werden. Was haben Sie damit gemeint?
Wenn die Demokratie nicht attraktiv ist, gehen immer weniger Menschen zur Wahl. Wenn weniger Menschen zur Wahl gehen, geht die Legitimität des Bundestags und der Bundesregierung zurück. Am Wahlsonntag sagen dann alle: Das ist schade. Denn das reicht nicht. Gerade die ärmeren Teile der Bevölkerung glauben nicht an die Wirkung der Demokratie. Sie sagen sich: Es ist egal, wen ich wähle, für mich ändert sich nichts. Also müssen wir versuchen, die Demokratie so attraktiv zu machen, dass die Leute mitmachen wollen. Und da habe ich ein paar Vorschläge.
Welche?
Wir brauchen mehr direkte Demokratie. Ich schlage vor, dass die Bundestagsparteien zur Wahl je eine Frage an die Bevölkerung stellen dürfen. Die Menschen würden also nicht nur den neuen Bundestag wählen, sondern gleichzeitig über Themen abstimmen, die ihnen wichtig sind. Das Bundesverfassungsgericht müsste vorher prüfen, ob die Antworten grundgesetzkonform sind. Und es müsste eine gewisse Budgetbegrenzung geben, weil meine eigene Partei dazu neigte, den Bundeshaushalt zweimal auszugeben. Die Bevölkerung wäre gefordert, in der Sache zu entscheiden und der Wahlkampf würde spannender werden.
Und als zweites wünsche ich mir, dass die Bürgerinnen und Bürger bei der Wahl Einfluss auf die Parteilisten nehmen können: So könnten sie bei ihnen beliebte Politiker in den Bundestag wählen, auch wenn diese nur auf den hinteren Plätzen der Wahlliste gelandet sind. Das würde dazu führen, das die Politiker nicht nur nah an der Partei sind, sondern auch nah am Bürger sein müssen.
Die Argumente gegen direkte Demokratie kennen Sie: Die Menschen könnten die Todesstrafe einführen oder Sozialleistungen kürzen.
Die Todesstrafe wäre ja nicht grundgesetzkonform. Aber Sie haben insoweit recht: Den Minderheitenschutz muss man im Zweifel auch gegen den Willen des Volkes aufrechterhalten. Da sind mir der Bundestag und das Bundesverfassungsgericht dann doch eine Idee lieber als Volksabstimmungen.
Sie kritisieren, dass die Ausschusssitzungen des Bundestags normalerweise nicht öffentlich sind. Die meisten Bürger wissen das wahrscheinlich gar nicht.
Genau. Die Arbeit der Abgeordneten kann man praktisch nicht mitbekommen. Im Fernsehen sieht man nur, dass der Plenarsaal leer ist. Die Zuschauer fragen sich: Wo treiben sich die Faulpelze nur rum? Das führt zur Ruinierung unseres Rufes als Politikerinnen und Politiker. Ich will natürlich auch nicht, dass im Ausschuss nur noch kameragerecht gesprochen wird. Aber wenn die Bürger gar nichts davon mitbekommen, ist das nicht gut.
Also sollte der Bundestag alle Sitzungen ins Internet streamen?
Ich habe nichts dagegen, dass man bei bestimmten Punkten die Öffentlichkeit ausschließt. Auch das muss es geben. Aber die Menschen sollen etwas mitbekommen von dem, was da passiert. Das liegt doch auch im Interesse der Abgeordneten.
Die Leute schauen die Plenardebatte und halten das für Politik.
Genau. Und so verstehe ich, dass man dafür nicht wählen gehen will. Ich will überwiegend repräsentative Demokratie, aber eben Schritt für Schritt auch mehr unmittelbare Demokratie. Und ich möchte, dass wir zumindest einmal eine Kommission bilden, die sich über solche Fragen Gedanken macht. Man kann ja gegen meine Vorschläge sein. Aber man muss doch einmal intensiv darüber reden.
Ein weiterer Vorschlag von Ihnen ist, Bundestagsdebatten nach britischem Vorbild zu gestalten.
Stellen Sie sich vor, während einer Debatte gäbe es ein Streitgespräch von zehn Minuten zwischen zwei Fraktionsvorsitzenden. Nach jeder Minute wird gewechselt. Mein Unions-Kollege Kauder hätte mir nicht ausweichen können und ich hätte ihm nicht ausweichen können. Das soll ja nicht alles sein. Ich will nichts ersetzen, sondern ergänzen. Wenn wir wollen, dass sich Menschen für Politik interessieren und sich engagieren, dann müssen wir ihnen auch etwas bieten, was die Politik attraktiver macht.
In den letzten Jahrzehnten hat sich wenig getan. Haben Sie Hoffnung, dass sich etwas entwickelt?
Meine Hoffnung ist begrenzt. Aber wenn die Wahlbeteiligung immer weiter zurückgeht, bleibt nichts anderes übrig. Veränderungen dieser Art kommen nur durch Druck zustande.
Hat die Bundesrepublik ein Problem mit Transparenz und Bürgerbeteiligung?
Politiker fühlen sich halt wohl in ihren Runden wie dem Koalitionsausschuss. Da werden die Dinge entschieden. In der Öffentlichkeit geht es vornehmlich darum, dass man auch gewählt wird.
Sie zeichnen ein Bild, das auch viele Bürger von der Politik haben: Entschieden wird in geheimen Runden, die Bürger holt man nur so viel dazu, wie es absolut notwendig ist.
Ein bisschen brauchen wir als Oppositionspartei auch diese geschützten Räume. Im Haushaltsausschuss zum Beispiel können wir schon das eine oder andere erreichen. Das geht aber nur, weil keine Öffentlichkeit dabei ist. Im öffentlichen Plenum verändert sich nichts mehr an den Gesetzen. Weil das so ist, muss zumindest die Art der Debatte interessanter werden.
Mit Gregor Gysi sprach Christoph Herwartz
Quelle: ntv.de