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Nancy Faeser bei Miosga "Ich würde mir wünschen, dass weniger Verfahren eingestellt werden"

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Es sei wichtig, "Grenzen aufzuzeigen", sagt Faeser.

Es sei wichtig, "Grenzen aufzuzeigen", sagt Faeser.

(Foto: NDR/Claudius Pflug)

Rassistische Parolen als Party-Hit, Angriffe auf Politikerinnen und Politiker, laut geäußerter Antisemitismus - verfolgt man die Schlagzeilen der letzten Wochen, so scheinen die Hemmschwellen, Hass und Gewalt freien Lauf zu lassen, zu sinken. Was tun? Bundesinnenministerin Faeser hat bei Miosga keine wirklich befriedigende Antwort.

Als das Video im Internet auftaucht, ist das Entsetzen riesengroß. Pfingsten auf Sylt. Partytime in der Pony-Bar in Kampen. Es läuft ein mehr als zwanzig Jahre alter Partyklassiker: "L'Amour toujours" von Gigi D'Agostino. Darin geht es um Liebe, um Romantik. Doch nicht bei einigen Besuchern der Bar. Sie grölen "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus". Einer zeigt den Hitlergruß. Das Personal der Bar bekommt vermutlich nichts mit. Die umstehenden Gäste schon. Doch die scheint das nicht zu stören. Seit Donnerstag steht das Video im Internet, geht viral. Die Pony-Bar stellt Strafanzeige, erteilt den fünf Beteiligten lebenslanges Hausverbot. Einer hat sich inzwischen entschuldigt.

Der Vorfall sei zutiefst menschenverachtend und rassistisch, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin ist am Sonntagabend zu Gast in der ARD-Talkshow "Caren Miosga". In der Sendung soll es darum gehen, wie Gewalt in der Gesellschaft entgegengewirkt werden kann. Gewalt etwa, wie die Attacke auf eine Grünen-Politikerin in Göttingen am Samstag. Die Landtagsabgeordnete wurde dabei leicht verletzt.

Rassistische Parolen grölen - das ist eigentlich keine Gewalt. Aber es ist die Vorstufe davon. "Es ist wichtig, dass man dort die Grenzen aufzeigt", sagt Faeser. Rechtsstaat und Demokratie in Deutschland seien immer noch sehr stabil. Schon Anfang des Jahres habe man sehen können, dass sehr viele Menschen empört seien über die Fantasien einiger Rechtsextremer, die Menschen aus Deutschland deportieren wollten. Dennoch: "Wir wissen aus sozialen Medien, dass in der Mitte der Gesellschaft manches rechte Gedankengut Zuspruch findet. Und wir erleben seit ein paar Jahren eine Verschiebung, die eskaliert in Gewalt", sagt Faeser.

"Deswegen appelliere ich"

Trotzdem könnte sich einem das Gefühl aufdrängen, die Bundesregierung sei machtlos gegen Gewalttaten, aber auch gegen das Grölen von Hassparolen - wie nach dem Landeskongress der Jungen Liberalen in Weiden in der Oberpfalz. Dort sollen zwei Mitglieder in einer Disco rassistische Parolen skandiert haben. Ähnliches passierte während der Aufstiegsfeier des Fußballklubs Holstein Kiel. Aus Worten könnten Taten werden, warnt Faeser, ähnlich wie bei dem Mord an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke. Auch dieser sei vorher bedroht worden. "Deswegen appelliere ich an die, die dieser Tage meinen, man könnte schärfer formulieren oder die Grenzen immer weiter nach rechts verschieben, was mir große Sorge bereitet: Dass es Dinge gibt in unserer Gesellschaft, wo wir wieder mit viel mehr gegenseitigem Respekt und Wertschätzung rangehen sollten."

Parolen wie "Deutschland den Deutschen" zu rufen, sei nicht strafbar, aber beleidigend für viele Menschen. Dennoch müsse eine starke Gesellschaft manche Dinge ertragen und aushalten. "Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist in einem Rechtsstaat ganz elementar", so Faeser. Nach der Veröffentlichung des Videos von Sylt sei in verschiedenen sozialen Netzwerken Jagd auf die Gäste gemacht worden. "Das macht mir auch Sorge, dass die Grenzen von einer Richtung in die andere verschoben werden. Dass man dann Leute oft an den Pranger stellt und dass man das nicht denjenigen überlässt, die dafür da sind, nämlich Strafverfolgungsbehörden, die der Anzeige ja auf jeden Fall nachgehen werden und dann auch Täterinnen oder Täter ermitteln."

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In den sozialen Netzwerken erkennt Faeser eine Verrohung der Sitten. "Deswegen sage ich, dass wir da gesellschaftspolitisch drauf schauen müssen", so Faeser weiter. Die Ministerin fordert vor allem von der Justiz schnellere Verfahren. "Und ich würde mir wünschen, dass weniger Verfahren eingestellt werden, damit wieder klar ist in der Gesellschaft, was erlaubt ist und was nicht." Vorschläge, wie man dafür sorgen könnte, dass sich Vorfälle wie jener auf Sylt erst gar nicht ereignen, scheint Faeser nicht zu haben.

Antisemitismus in Deutschland

Faeser ist jedoch nicht allein bei Miosga zu Gast. Auch Ronen Steinke sitzt in der Runde. Der Jurist und Journalist der "Süddeutschen Zeitung" musste im vergangenen Jahr bei einer Lesereise von der Polizei geschützt werden. Er lobt die Arbeit der Beamten, die auch jüdische Einrichtungen überwachen. "Ich glaube, die Menschen sind sehr dankbar für den Schutz, den sie bekommen", sagt er. "Es ist auch kein Spaß, vor Synagogen Wache zu stehen. Es ist auch kein Spaß, seine Kinder zu einer Schule zu bringen, die bewacht werden muss."

Laut einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie ist Gewalt gegen jüdische Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr dramatisch angestiegen. Dennoch würden in den jüdischen Communities antisemitische Vorfälle oft nicht angezeigt. Die Betroffenen glaubten, wenn sie zur Polizei gingen, würde ihnen das nicht helfen. Die "zwar überschaubaren, aber doch schockierenden Fälle von Chatgruppen, wo einzelne Beamte sich über Holocaust-Opfer, Schwarze oder Menschen mit Behinderung erheben oder mokieren", spielten dabei auch eine Rolle, sagt Steinke. Hier habe die Ampel-Regierung einiges geändert, erklärt Faeser. Polizeibeamte würden jetzt schneller aus dem Polizeidienst entfernt, wenn ein entsprechender Verdacht vorläge.

Besonders hilflos wirkt die Ministerin dann leider, als sie auf die Uni-Proteste der vergangenen Wochen angesprochen wird. So musste zum Beispiel die Polizei vor Kurzem ein propalästinensisches Lager an der Freien Universität in Berlin auflösen. Jüdische Studierende hatten Sorge, den Campus zu betreten. "Wir sind in einer besonderen Verantwortung in Deutschland, Jüdinnen und Juden zu schützen", sagt Faeser. "Und das ist für mich das Wichtigste. Ich bin überrascht, was wir zum Teil an den Unis sehen, welcher Hass dort vorherrscht. Und dann muss man auch strikt vorgehen."

Aber Faeser weiß auch, was sie gegen Antisemitismus in Schulen und Unis tun will - von Polizeieinsätzen abgesehen: "Wir müssen sehr, sehr viel mehr in Prävention auch und gerade an den Schulen und an den Unis investieren, und auch erläutern, was dahintersteht und welches Existenzrecht hier bedroht wird."

Quelle: ntv.de

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