FDP-Fraktionschef im Interview "In der GroKo wurde Geld für alles Mögliche rausgeschmissen"
19.01.2024, 10:51 Uhr Artikel anhören
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagt im Interview mit ntv.de, die Ampel wolle die Bauern entlasten - aber nicht beim Agrardiesel. Das neue Staatsbürgerschfatsrecht verteidigt er.
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Die Ampelkoalition wurde vom Bauernprotest kalt erwischt - beim Agrardiesel will sie hart bleiben, versucht den Landwirten aber an anderer Stelle entgegenzukommen. FDP-Fraktionschef Dürr erläutert im Interview mit ntv.de, wie das gehen könnte. Außerdem verteidigt er das neue Staatsbürgerschaftsrecht, das heute beschlossen werden soll.
ntv.de: Gerade haben die Bauern in Berlin ein deutliches Zeichen des Protests gesetzt. Als Politiker aus Niedersachsen kennen Sie deren Probleme vermutlich. Haben Sie sich gefragt, als Sie die Traktoren am Montag in Berlin gesehen haben: Hätten die Herren Scholz, Habeck und Lindner doch nur mich gefragt?
Christian Dürr: Nein. In einer Zeit, in der man die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen muss, ist es immer schwierig, wenn man konsolidiert. Da ist nicht alles vorhersehbar. Gleichzeitig habe ich Verständnis für die Landwirte. Sie regen sich seit zwei Jahrzehnten über zu viel Bürokratie, Eingriffe des Staates und finanzielle Belastungen auf. Deswegen ist es richtig, dass wir jetzt mit ihnen darüber sprechen, wo wir entlasten können.
Die Bauern erwarten immer noch, dass die Dieselbeihilfe bleibt und der Agrardiesel nicht für sie teurer wird. Hat die Hoffnung Aussicht auf Erfüllung?
Am Ende kommt es auf zwei Dinge an. Erstens: Schaffen wir eine Umkehr bei der Bürokratie? In den vergangenen Jahren gab es da viele Lippenbekenntnisse, aber jetzt gibt es bei dem Thema in der Koalition Bewegung. Zweitens: Schaffen wir auch Entlastung? Der Bundesfinanzminister hat bei der großen Bauerndemonstration am Montag einen Vorschlag gemacht: Nämlich Landwirte steuerlich zu entlasten. Ich glaube, das ist immer klüger als über Zahlungen aus dem Bundeshaushalt zu sprechen. Lieber von vornherein die Steuern reduzieren, als Geld zurückerstatten.
Kommt das denn jetzt? Oder ist das erstmal nur die Position der FDP?
Die Frage der steuerlichen Entlastung ist ein Punkt, über den wir in der Koalition sprechen. Der war auch Teil unseres Entschließungsantrags am Donnerstag im Bundestag.
Das heißt, was Lindner am Montag gesagt hat, war in der Ampel abgesprochen?
Es ist sein Vorschlag gewesen. Es geht darum, wie man es hinbekommt, Landwirte steuerlich fair zu behandeln. Und wir haben uns in der Ampel verabredet, jetzt genau darüber zu reden.
Rechnen Sie damit, dass die Bauern ihren Protest beenden?
Wichtig ist, dass man miteinander spricht. Es hat ein Auftaktgespräch gegeben und es werden weitere Gespräche folgen. Eins haben die Landwirte doch immer wieder deutlich gemacht: Der Agrardiesel war der Anlass, aber nicht die eigentliche Ursache für ihren Protest. Nehmen Sie das Beispiel Flächenstilllegung.
Die EU verpflichtet die Bauern, zugunsten der Umwelt vier Prozent ihrer Flächen stillzulegen, und entschädigt sie dafür.
Im vergangenen Jahr haben wir schon einmalig darauf verzichtet. Aber wir müssen das auch insgesamt auf europäischer Ebene infrage stellen. Wir entziehen der Landwirtschaft da ganz konkret Einkommensmöglichkeiten. Und damit Europa und Deutschland die Möglichkeit, Lebensmittel zu produzieren, auch für die Welt. Gerade in Deutschland haben wir sehr vorteilhafte Standorte. Wir leben in einer Region der Welt, in der es sinnhaft ist, Landwirtschaft zu betreiben. Das muss man auch immer wieder aussprechen. Deswegen darf Politik die Landwirtschaft nicht in eine museale Ecke drängen. Das wäre falsch.
Nicht nur die in Verbänden organisierten Bauern sagen aber: Gespräche gibt es nur, wenn beide umstrittenen Maßnahmen, also Kfz-Steuer für Agrarfahrzeuge und das Ende der Dieselbeihilfe, zurückgenommen werden.
Ein erstes Gespräch hatten wir ja schon. Es gehört zur Politik dazu, dass sie sich korrigiert. Das haben wir getan. Die Kfz-Steuererhebung für Agrarfahrzeuge haben wir zurückgenommen. Das war auch aus bürokratischen Gründen absolut richtig. Beim Agrardiesel steht ein Abschmelzmechanismus im Raum, gestreckt über drei Jahre. Deswegen muss man jetzt über steuerliche Entlastungen der Bauern reden.
Nach dem Treffen mit den Bauernverbänden hieß es von diesen: Kommissionen gab es genug, jetzt muss man die Dinge umsetzen. Ist das jetzt nicht wichtiger als noch mehr Dialog?
Das war der Anlass zu sagen, wir wollen zusammenfassend aufschreiben, um welche Punkte es geht, und dann über die Umsetzung sprechen, klar. Aber die Umsetzung muss auch gut sein. Nur weil man die Überschriften kennt, heißt das nicht, dass man schon ein perfektes Konzept hat.
Wäre die Tierwohlabgabe in Ihrem Sinne?
Sehen Sie es mir nach, wenn ich nicht über Einzelmaßnahmen sprechen möchte. Aber klar ist, dass die Landwirte faire Rahmenbedingungen und Planungssicherheit haben müssen bei den Preisen, die am Markt auch für mehr Tierwohl erzielt werden. Da ist auch der Lebensmitteleinzelhandel mit im Fokus, der ja die Preise mit den Produzenten verabredet. Da müssen wir uns alle gemeinsam an einen Tisch setzen.
Auf manchen Plakaten auf der Demo war sinngemäß zu lesen: Erst Milliarden im Ausland verschenken und dann bei den Bauern sparen. Das könnte man auch als Kritik an der Ukraine-Hilfe verstehen. Aber müsste Deutschland jetzt nicht mehr tun, beispielsweise den Marschflugkörper Taurus liefern?
Ich hielte das für eine sinnvolle Unterstützung. Ich würde mich freuen, wenn man in dieser Frage in der Koalition Einigkeit erzielt. Gleichzeitig ist das, was wir für die Ukraine tun, innerhalb der westlichen Familie schon herausragend. Der Ukraine zu helfen, ist auch in unserem ureigensten sicherheitspolitischen Interesse. Es zu unterlassen hieße, ein gigantisches außenpolitisches Risiko einzugehen.
Im Bundestag soll an diesem Freitag das neue Staatsbürgerschaftsrecht eingeführt werden. Auch das ist nicht sonderlich populär. Schon nach drei Jahren winkt der deutsche Pass. Ist das klug in Zeiten, in denen die AfD bei über 20 Prozent steht?
Das Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland muss dringend geändert werden. Bislang ist es so, dass Menschen deutsche Staatsbürger werden können, die nicht von ihrer eigenen Hände Arbeit leben. Das macht viele Menschen rasend und das kann ich nachvollziehen. Wir knüpfen zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes das Staatsangehörigkeitsrecht direkt an die Frage des Lebensunterhaltes. Das ist für mich zentral.
Warum?
Deutschland ist ein weltoffenes Land. Aber es wurde zu Recht beklagt, dass in der Vergangenheit Menschen nicht in den Arbeitsmarkt, sondern in die sozialen Sicherungssysteme zugewandert sind. Das muss sich ändern und dafür tun wir einiges, übrigens auch mit dem Rückführungspaket, das am Donnerstag beschlossen wurde. Klar ist aber auch: Wir sind offen für Menschen, die herkommen wollen, um ranzuklotzen.
Aber rechnen Sie damit, dass das neue Staatsbürgerschaftsrecht die Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme bremst? Legale Einwanderungsvisa sind ohnehin meist an Arbeitsplätze geknüpft. Sozialleistungen bekommen vor allem Asylbewerber.
Das ist exakt der Punkt, und das ändern wir gerade. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben wir ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild eingeführt und verhalten uns nun endlich wie ein Einwanderungsland, das auf den Arbeitsmarkt fokussiert ist. Ich sage es in aller Deutlichkeit: Das, was die unionsgeführten Bundesregierungen in den letzten Jahren in der Migrationspolitik gemacht haben, war eine Katastrophe. Das müssen wir dringend ändern.
Trotzdem könnte es Wasser auf die Mühlen der AfD sein.
Ich glaube, in den vergangenen Jahren ist in der Migrationspolitik vieles falsch gelaufen. Man muss den Menschen deutlich sagen: Das machen wir jetzt anders. Wir kümmern uns darum, dass diejenigen, die keine Chance haben, hierzubleiben, rückgeführt werden. Wir kümmern uns darum, dass diejenigen, die herkommen, in den Arbeitsmarkt kommen. Ich glaube, zu einer solchen Migrationspolitik gibt es eine breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung.
Welche Rolle spielt das Staatsbürgerschaftsrecht dabei?
Das ist die andere Seite. Wir fördern genau das, was wir uns von Zuwanderern wünschen: Du kannst Deutscher werden, wenn du die Sprache lernst, dich integrierst und einen Job hast. Also genau das, was wir uns von Zuwanderern wünschen. Neu ist außerdem, dass Menschen, die antisemitisch auffallen, keine Chance mehr haben, deutsche Staatsbürger zu werden. Weiter zuzulassen, dass Antisemiten deutsche Staatsbürger werden können, weiter zuzulassen, dass Menschen ohne Job deutsche Staatsbürger werden können, das kann doch nicht ernsthaft eine Option sein. Deswegen erwarte ich von der Union, dass sie diesem Gesetz zustimmt.
Deutschland erlebte im vergangenen Jahr eine Rezession. Das Wachstumschancengesetz hängt noch immer im Bundesrat fest - vermutlich, weil beispielsweise die Berliner CDU dagegen ist. Der Hauptstadt könnten 200 Millionen Euro Einnahmen verloren gehen. Warum wurden solche Bedenken nicht im Vorfeld geklärt?
Ziel des Wachstumschancengesetzes ist es, dass wir mehr Wachstum haben. Dadurch steigen die Steuereinnahmen und davon profitiert auch das Land Berlin. Sich jetzt dagegenzustellen, ist kirchturmpolitische Engstirnigkeit. Dass sich jetzt einzelne CDU-Politiker in ihr Mäuseloch zurückziehen, ist absurd. Dieses Gesetz, von dem alle Wirtschaftsverbände sagen, dass es genau richtig ist, das muss jetzt aus der Geiselhaft des Bundesrates entlassen werden. Wir müssen zwei Dinge in Deutschland schaffen. Wir müssen die Migration in den Griff kriegen und in der Wirtschaft den Wachstumsmotor wieder anschmeißen. Das tun wir mit diesem Gesetz. Deswegen wünsche ich mir mehr Unterstützung von der Union.
Im RTL/ntv-Trendbarometer steht die FDP aktuell bei vier Prozent und die Ampel ist weiter ohne Mehrheit. Gibt es noch etwas, was Sie optimistisch macht?
Die Alternative wäre ja, das Land nicht zu reformieren, obwohl alle wissen, dass es getan werden muss. Wenn wir beispielsweise den Haushalt sanieren, müssen wir auch erklären, warum wir es tun. Instabile Haushalte in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt sind extrem gefährlich. In GroKo-Zeiten waren solide Finanzen egal, da wurde Geld für alles Mögliche rausgeschmissen. Das umzukehren, führt natürlich auch zu Konflikten. Wenn man Menschen wieder mehr für Politik gewinnen will, muss man sagen, warum man etwas tut und welche Erfolge sich einstellen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat dabei nicht gerade geholfen.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Schuldenbremse noch einmal bekräftigt. Das begrüße ich. Gleichzeitig heißt das: Der Staat muss maßhalten. Dass wir die Staatsfinanzen sanieren, trägt bereits Früchte. Die Schuldenquote in Deutschland geht zurück. Von fast 70 Prozent zu Zeiten der Großen Koalition auf unter 65 Prozent. Wir arbeiten uns da heraus.
Dann ist die Stimmung im Land schlechter als die Lage?
Die Lage ist herausfordernd. Gleichzeitig hat das Land alle Chancen. Aber die müssen wir auch nutzen.
Mit Christian Dürr sprachen Hubertus Volmer und Volker Petersen
Quelle: ntv.de