Politik

Ampel stellt sieben Fragen Merz kapert Agrardebatte für Frontalangriff

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Wenige Tage nach der großen Bauerndemo in Berlin beschäftigt das Thema erneut den Bundestag. Eigentlich soll über den Agrarbericht diskutiert werden, CDU-Chef Merz nutzt aber die Gelegenheit für eine Generalabrechnung mit der Regierung. Die Ampel-Parteien kündigen derweil ein Gesetzespaket für die Landwirtschaft an.

Friedrich Merz ist nicht gerade ein Surfertyp, allerdings schwang er sich an diesem Vormittag genau dazu auf: Im Bundestag versuchte der CDU-Chef auf der Protestwelle zu reiten, die die Landwirte und ihre Verbündeten in Handwerk und Logistik in den vergangenen Tagen durch Deutschland schwappen ließen. Da passte es hervorragend, dass die Diskussion des Agrarpolitischen Berichtes der Bundesregierung auf der Tagesordnung stand.

Normalerweise ist das eher etwas für die Feinschmecker politischer Kost, die pflichtbewusst alle Streitpunkte rund um Subventionen, Betriebsgrößen und Schweinefleischproduktionsraten durchkauen. Doch diesmal ist alles anders - die Bauern haben einen argumentativen Misthaufen vor Kanzleramt und Bundestag abgeladen, sodass alles zu erwarten war, nur keine ruhige Fachdebatte. Die Ampel-Koalition wollte ihrerseits die Gelegenheit nutzen, den Bauern ein Freundschaftssignal zu senden. SPD, Grüne und FDP einigten sich auf einen Entschließungsantrag, in dem sie ein Gesetzespaket zur Entlastung der Landwirtschaft ankündigten.

Wenn die Landwirte sauer sind, ist das für jeden CDU-Chef das Signal, ebenfalls die Wutregler hochzudrehen. Der ländliche Raum ist das Herzland der Partei, ihre Basis und Quell ihrer Stärke. So tat Merz das, was er am besten kann: Eine Standpauke halten.

"Die Agrarpolitik steht im Kontext einer sehr viel größeren Diskussion in unserem Land", sagte er im Plenum des Bundestages. "Die Demonstrationen sind Ausdruck einer immer größeren Unzufriedenheit und eines aufgestauten Frustes, der sich insbesondere gegen die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen und Parteien richtet."

Nur Özdemir als Kabinettsmitglied da

Dabei zeigte er auf die Regierungsbank und bemerkte, dass dort außer Landwirtschaftsminister Cem Özdemir kein einziges Kabinettsmitglied saß, geschweige denn der Bundeskanzler. Eine größere "Missachtung" und "Respektlosigkeit" könne man gar nicht zum Ausdruck bringen, ereiferte sich Merz. Scholz ist allerdings nicht der erste Bundeskanzler, der der Debatte um den Agrarpolitischen Bericht nicht beiwohnt - andererseits hat er sich bislang tatsächlich in der Bauernfrage kaum gezeigt. Prompt stellte die AfD einen Antrag, Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck herbeizuzitieren. Dabei enthielt sich die Unionsfraktion dann, der Antrag fiel durch.

Özdemir hatte vor Merz gesprochen und deutlich versöhnlichere Töne angeschlagen. "Die Landwirte haben genug, dass wir gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen", sagte er kurz nachdem er einen Seitenhieb in Richtung Union losgelassen hatte - manche täten so, als seien sei die letzten Jahrzehnte "mit dem Einbaum auf dem Amazonas auf Goldsuche unterwegs gewesen". Wer schon keine Demut zeige, solle wenigstens "staatspolitische Verantwortung an den Tag legen". Doch der Landwirtschaftsminister wurde durchaus konkreter, sprach sich für einen Tierwohl-Cent aus und forderte, das Lieferkettengesetz weiter nachzuschärfen. Nur die Beihilfe für den Agrardiesel soll weiterhin gestrichen werden. Der Kompromiss sei "fair und vertretbar", sagte der Minister.

Mit solchen Details zur Entlastung der Landwirtschaft hielt sich Merz nicht groß auf. Er zielte auf das große Ganze. Die Ampel-Koalition bemerke immer weniger, dass wesentliche Teile ihrer Politik keine Mehrheit in der Bevölkerung fänden. "Sie regieren gegen die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler", rief er. Damit gefährdeten die Ampel-Politiker nicht nur die Zustimmung zu sich selbst, sondern "immer weiter" auch zu den Institutionen "unseres demokratischen Rechtsstaates". Das treibe immer mehr Wählerinnen und Wähler "in die Arme der schrecklichen Vereinfacher von links und vor allem von ganz rechts, vor allem in die Arme der Rechtspopulisten", behauptete er.

Endgültig nichts mehr mit dem Agrarbericht zu tun hatte seine Kritik am neuen Staatsbürgerschaftsrecht, das ebenfalls noch diese Woche beschlossen werden soll. Es handele sich dabei um eine "beschleunigte Einbürgerung für Menschen, die überwiegend aus der Türkei und dem arabischen Raum kommen", behauptete er. Dieser Verweis auf die Herkunft war dem CDU-Chef dabei Problembeschreibung genug. Die FDP verteidigt die Pläne dagegen damit, dass künftig nur eingebürgert werden kann, wer einen Job hat und nicht antisemitisch aufgefallen ist. Das ist dann allerdings bereits nach drei Jahren möglich.

SPD verspricht Gesetzespaket bis zum Sommer

Merz schimpfte danach, die Ampel-Politiker sollten nicht ständig die Nazi-Keule gegen Andersdenkende schwenken. Zugleich sprach er sich gegen ein AfD-Verbot aus und sagte, das sei das Mittel desjenigen, der sich nicht mehr zu helfen wisse. Mit einem Aufruf "zur Besinnung" endete er seine Tirade, die in Ton und Form an seine letzte Standpauke erinnerte, als er vor wenigen Monaten Scholz als "Klempner der Macht" beschimpft hatte.

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch wollte dann wieder über die Landwirtschaft sprechen und ging auf den Entschließungsantrag der Ampel-Parteien ein. Darin werden sieben Fragen formuliert, die geklärt werden müssen. Die Themen: Bürokratieabbau, Lieferkettengesetz, tierwohlgerechte Haltung, Pachtpreise, Hilfe bei alternativen Kraftstoffen, steuerliche Entlastungen. Miersch kündigte an, dass es bis zum Sommer ein Gesetzespaket dazu geben werde. "Damit haben wir uns selbst unter Druck gesetzt", sagte er.

CSU-Politiker Alexander Dobrindt wetterte wenig später, das sei ein "agrarpolitischer Insolvenzantrag" und forderte die Steuerrückzahlungen beim Agrardiesel beizubehalten. Dazu dürfte es aber nicht kommen. An diesem Donnerstag zurrt der Haushaltsausschuss letzte Details im Haushalt 2024 in der Bereinigungssitzung fest. Danach geht normalerweise nichts mehr, die zusätzliche Belastung für die Bauern wäre damit praktisch durch - wenn nicht gerade Scholz aus dem Kanzleramt herabsteigt und doch noch eingreift. Anfang Februar soll das Haushaltsgesetz im Bundestag beschlossen werden.

Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte derweil zum Auftakt der Grünen Woche in Berlin, die bisherigen Proteste seien nur das "Vorbeben" gewesen. Wenn sich nichts ändere, komme es möglicherweise zur "Eruption".

Quelle: ntv.de

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